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Pilnacek-Kommission sieht Zwei-Klassen-Justiz in Österreich

15.07.2024

Die Pilnacek-Kommission sieht Probleme in der österreichischen Justiz. Seilschaften, Anbiederung, Zerschlagungs-Wünsche und eine höchst problematische Zwei-Klassen-Justiz. 

 

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© APA/HELMUT FOHRINGER
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Die Kommission, welche nach dem Tod von Ex-Sektionschef Christian Pilnacek (ehemals Österreichs oberster Justiz-Beamter) und wegen des Auftauchens eines Tonband-Mitschnitts eingesetzt worden ist, sieht Probleme in der österreichischen Justiz. Pilnacek hatte bei einer heimlich aufgenommenen Runde mit Bekannten  in einem Innenstadtlokal im Sommer 2023 über Versuche der ÖVP berichtet, Ermittlungen zu beeinflussen.

 

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Einflussnahmen "positiv", das heißt: "Ja, es gab diese"

Die vom Justizministerium eingerichtete Untersuchungskommission hat politische Interventionen in der Amtszeit des verstorbenen Ex-Sektionschefs Christian Pilnacek bestätigt. 

Man habe in allen angeführten Punkten eine "positive", weil zutreffende Befundung abgegeben, sagte Kommissionsleiter Martin Kreutner bei der Präsentation des Berichts am Montag. Pilnacek hatte bei einer Runde mit Bekannten im Wirtshaus über Versuche der ÖVP berichtet, Ermittlungen zu beeinflussen.

230 Seiten-Bericht zeigt "Seilschaften, Anbiederung, Zerschlagungs-Wünsche"

Der Originalbericht umfasst 230 Seiten, Untersuchungszeitraum war von 1. Jänner 2010 bis 14. Dezember 2023. Sechs Monate lang hatte die Kommission, die im Dezember des vergangenen Jahres eingesetzt worden war, ermittelt. Am Sonntag wurde der Bericht an das Justizministerium übermittelt.

Warten auf Bericht. Dieser wird aber nicht sofort, sondern "zeitnah" komplett veröffentlicht. Das Ministerium habe als Medieneigentümer noch um ein paar Tage Zeit ersucht, um die Veröffentlichung medienrechtlich abzuklären, so Kreutner.

Laptop von Pilnacek 

Wesentlicher Teil der Untersuchungen der Kommission war der Laptop Pilnaceks. Dieser hat offenbar auch Akten aus der Zeit nach dessen Suspendierung enthalten. Auf dem Laptop sollen sich auch viele Verschlussakten finden.

Zudem sind interne Kommunikation aus der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sowie Korrespondenzen mit ÖVP-nahen Personen festgehalten.

Warnung vor Hausdurchsuchungen via Messenger-Dienst

Der ehemalige Präsident des bayrischen Verfassungsgerichtshofs, Peter Küspert nannte als "typisches Phänomen" die "Neigung in geschlossenen Organisationen, Mitglieder der eigenen Gruppe zu begünstigen". Das betreffe etwa Amtsgeheimnisse, den Datenschutz und Befangenheitsregelungen. Weiters ortet der Bericht "Nahebeziehungen", "Seilschaften" sowie "politische Anbiederung" sowie eine "pseudoamikale Struktur".

Vertrauliche Information - etwa zu Hausdurchsuchungen - werde an politische Repräsentanten etwa über Messenger-Dienste weitergegeben.

Zadic reagiert: "Einflussnahmen auf juristische Prozesse" 

"Die Kreutner-Kommission bestätigt, dass es Einflussnahmen auf juristische Prozesse gab", reagierte Justizministerin Alma Zadic (Grüne) in einer Stellungnahme.

"Zwar hat sich nach Ansicht der Kommission in meiner Amtszeit bereits viel verbessert, dennoch muss einiges getan werden, um die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der Justiz zu stärken", sagt Zadic.

 

Niemand wisse nämlich, wie künftige Justizminister und -ministerinnen agieren werden. "Daher muss der nächste Schritt eine von der Politik wirklich unabhängige Generalstaatsanwaltschaft sein." 

© APA/ROLAND SCHLAGER

WKStA-Leiterin Ilse-Maria Vrabl-Sanda

Anzeige bei der Staatsanwaltschaft 

Der Leiter der weisungsunabhängigen Kommission - Martin Kreutner - hat bereits Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht, was zu Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) geführt hat.

Dabei geht es aber nicht um die Umstände von Pilnaceks Tod - ein Fremdverschulden wurde ausgeschlossen -, sondern um die Abnahme persönlicher Gegenstände nach seinem Tod durch Kriminalbeamte.

Die fünf Quellen der Pilnacek-Kommission

Kommissionsleitner Kreutner schilderte die sechs Quellen der Ermittlungsarbeit. Die Kommission hat sich am 21 Dezember 2023 konstituiert und sofort mit der Arbeit begonnen. Informationen bekam sie durch:

  1. Intensives Aktenstudium: "Ein Zeitraum von 14 Jahren ist sehr viel. Allein der Eurofighter-Akt füllt Bibliotheken. Wir haben in den sechs Monaten gezielt nachgeschaut und nach Verbindungen gesucht", sagte Kreutner.
  2. "Wir haben 60 Interviews geführt mit Auskunftspersonen – 75% kamen aus der Justiz. Immer auf Basis der Freiwilligkeit. Und unter Quellenschutz. Es waren sehr bewegende Gespräche. Sie dauerten bis zu drei Stunden."
  3. Whistleblower-Hotline. Auch hier gab es völlige Anonymität für Hinweisgeber.
  4. Offene Quellen: Berichte der parlamentarischen U-Ausschüsse, parlamentarische Anfragebeantwortungen, Medienberichte.
  5. Internationale Quellen: Rechtsstaatlichkeits-Bericht der EU-Kommission, Greco-Bericht (Staatengruppe gegen Korruption), UN-Spezialistenberichte gegen Korruption

In Einzelfällen sieht Kommission "höchst problematische Zwei-Klassen-Justiz" 

Die Befunde der Kommission: Das österreichische Justizsystem ist im Allgemeinen ein sehr gutes mit hoher Kompetenz.
In Einzelfällen hat die Kommission aber folgendes festgestellt:

  • Eine höchst problematische  Zwei-Klassen-Justiz. "Die gibt es leider, de facto", zeigte Anti-Korruptions-Experte Kreutner auf.
  • Auch das Fehlen ausreichender Distanz zwischen Politik und Justiz, sowie Justiz und Medien wurde beklagt. 
  • Eine fragwürdige Fehlerkultur bei Compliance-Vorwürfen in den eigenen Reihen in der Justiz.
  • Ungelöste Problematik in der Zusammenarbeit zwischen Dienst- und Fachaufsicht.
  • Ein "Rechtsgrundlagen-Nebel" für jenen Abschnitt des Verfahrens, der dem Bundesminister für Justiz zugeordnet ist.
  • Parteipolitische Vorhaben zur Zerschlagung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
  • Die vergangenen 14 Jahren – seit 2010 – wurden untersucht und nicht nur die letzten vier Jahre. 

Der staatsanwaltschaftliche Instanzenzug soll auf zwei Instanzen beschränkt werden. Die StA ermittelt, macht Anträge ans Gericht, das Gericht entscheidet darüber. Bei den "clamorosen" Fällen gehen an Oberstaatsanwälte bis hin zur Justizministerin. Das sei das "30-Augen-Prinzip", wo viele über einen Teilaspekt der möglichen Anklage entscheiden.

Justizministerin entscheidet in "clamorosen" Fällen über Kronzeugen-Status

Die Justizministerin entscheidet im aktuellen System in "clamorosen" Fällen über den Kronzeugen-Status, sagte Kreutner. 

Die Kommission ortete einen "Verantwortungsnebel" im Umfeld staatsanwaltschaftlicher Verfahren. Vorwürfe in den eigenen Reihen würden ebenfalls nicht entsprechend aufgearbeitet. Schließlich wurde auch offen Kritik daran geübt, dass es "parteipolitische Bestrebungen" zur Schwächung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegeben habe. 

Das Ende der Demokratie

Am Ende seiner Präsentation zitierte Kreutner den französischen Aufklärer Charles de Montesquieu:

"Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann bzw. die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“ 

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