ÖVP-Politiker für NATO-Beitritt
Polit-Streit um Österreichs Neutralität
06.03.2022Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine bringt auch eine Debatte über Österreichs Neutralität in Gang.
Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol plädierte am Sonntag in der "Kleinen Zeitung" für einen NATO-Beitritt oder die Mitarbeit an einer europäischen Armee der EU: "Ein neutraler oder bündnisloser Staat bleibt allein, wenn er angegriffen wird". Für ÖVP-Wehrsprecher Friedrich Ofenauer muss über die Neutralität und ihre Ausgestaltung "ernsthaft diskutiert werden".
ÖVP-Politiker für NATO-Beitritt
Für Khol zeigt das Beispiel der Ukraine, dass nur Bündnis-Mitglieder geschützt werden. Gleichzeitig würden drei Viertel der Österreicher noch immer fest hinter der Neutralität stehen, schrieb er in einem Gastkommentar in der "Kleinen Zeitung". Diese müssten von den Folgen des russischen Angriffs informiert und von "den neuen Notwendigkeiten des Schutzes" überzeugt werden.
ÖVP-Wehrsprecher Ofenauer legte am Sonntagnachmittag nach und betonte per Aussendung, dass die Neutralität nur zur Sicherheit Österreichs beitragen können, wenn mit dieser die Unverletzlichkeit und Integrität des Staatsgebietes von allen Staaten akzeptiert und respektiert werde. Am Beispiel der Ukraine sehe man, was passiere, wenn diese Integrität nicht respektiert werde und ein Land bei seiner Verteidigung auf sich alleine gestellt sei. "Aus diesem Grunde muss über die österreichische Neutralität und ihre Ausgestaltung ernsthaft diskutiert werden, denn sie ist nur eine Seite einer Medaille." Die zweite Seite sei die militärische Landesverteidigung im Gleichklang mit der zivilen, wirtschaftlichen und geistigen Landesverteidigung. Gerade der geistigen Landesverteidigung, bei der im Rahmen der politischen Bildung demokratischen Strukturen und rechtsstaatlichen Prinzipien an die Bevölkerung herangetragen werden, müsse "wieder neues Leben eingehaucht werden".
Zuletzt hatte schon der als ÖVP-nahe geltende Ex-Streitkräftekommandant Günter Höfler gewarnt, dass die Neutralität in der Geschichte noch nie ein Land vor einem Aggressor bewahrt habe. Einzige Alternativen seien eine starke bewaffnete Neutralität wie die Schweiz oder ein NATO-Beitritt. Dies würde die Bevölkerung auch mittragen, wenn die Politik sich ideologiefrei damit auseinandersetze und es der Bevölkerung erkläre, so Höfler.
Absage von der SPÖ
Von der Sozialdemokratie kam am Sonntag eine Absage. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat sich ihrerseits in einem Gastkommentar in der "Kleinen Zeitung" für die Neutralität stark gemacht: "Die Neutralität stärkt als Eckpfeiler der österreichischen Außenpolitik unsere Sicherheit", betonte sie. Im Sinne einer engagierten Neutralität könne Österreich dabei trotzdem klar Stellung beziehen, wenn Völkerrecht gebrochen werde. Auch die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) pochte in der ORF-Sendung "Hohes Haus" auf die Beibehaltung einer "aktiven Neutralitätspolitik", bei der Österreich sich zwar nicht aktiv an militärischen Auseinandersetzungen beteiligt, aber gleichzeitig zu Solidarität verpflichtet. "Österreich ist eine Dialogmacht, deshalb sind wir auch UNO-Standort, deshalb finden bei uns Abrüstungs- und Friedensgespräche statt." Das habe mit der Neutralität zu tun und das solle man aus sicherheitspolitischen Gründen auch nicht aufs Spiel setzen.
SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried forderte am Sonntag per Aussendung von Bundeskanzler Karl Nehammer und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) eine "unmissverständliche Klarstellung der ÖVP-Position zur Neutralität". Immerhin werde Ex-Klubobmann Khol von der Partei immer wieder ausgeschickt, um in Diskussionsrunden oder Kommentarspalten ÖVP-Positionen zu vertreten. Nehammer hatte zuletzt zwar hervorgehoben, dass die Neutralität 1955 eine Bedingung der Russen für die Freiheit Österreichs gewesen sei. Sie habe sich allerdings als "praktikables Instrument" bewährt. Diese Beteuerungen des Kanzlers würden angesichts von Khols Ansage allerdings unglaubwürdig klingen, so Leichtfried. Es sei zu hoffen, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen klare Worte an die ÖVP richte, dass die immerwährende Neutralität Österreichs nicht zur Debatte stehe. Dieser hatte zuletzt eine Aufgabe der österreichischen Neutralität abgelehnt. "Wir haben gute Erfahrungen mit der Neutralität gemacht", sagte Van der Bellen diese Woche.
FPÖ hält an Neutralität fest
Die Freiheitlichen halten ebenfalls an der Neutralität fest: Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer betonte am Sonntag auf Twitter, Österreichs solle die Neutralität im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung (militärisch, wirtschaftlich, zivil, geistig) schützen. "Seien wir stolz auf unsere Neutralität anstatt einem NATO-Beitritt das Wort zu reden." Auch Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek, Chef der steirischen FPÖ, sprach sich in der "Kleinen Zeitung" dagegen aus, mit Blick auf die Ukraine die 'immerwährende Neutralität' Österreichs kurzerhand über Bord zu werfen". Bundeskanzler Nehammer müsse vielmehr die "Neutralität wieder aktiv mit Leben befüllen und die militärische Landesverteidigung in den Fokus rücken".
Bei den NEOS sieht man unterdessen Handlungsbedarf. Rechtlich habe Österreich seine Neutralität durch die unionsrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Verträge von Maastricht, Nizza, Amsterdam und Lissabon ohnehin aufgegeben, "auch wenn die Politik wider besseres Wissen Werbung mit ihr macht", so Gründungsmitglied Veit V. Dengler am Wochenende in einem Gastkommentar für den "Standard". Nun sei es Zeit, "die verbliebenen Reste der Neutralität zu beseitigen". Die EU reiche als Schutzgemeinschaft nicht. Das einzige funktionierende und historisch sehr erfolgreiche Verteidigungsbündnis sei die NATO und Österreichs Beitritt zu dieser sei fällig. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger hatte zuletzt auf eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und ein gemeinsames europäisches Berufsheer gedrängt. "Die Frage, ob das möglich ist innerhalb der Neutralität, ist eine rechtsdogmatische."