ÖVP-Dilemma: Warum die Türkisen ein Revival des seinerzeitigen Schüssel-Gusenbauer-Wahlkampfs fürchten.
Polit-Gespenster. Teile der ÖVP-Strategen setzen derzeit auf einen eigenen Klassenkampf gegen SPÖ-Chef Andreas Babler. Sie wollen diesen als „ultra-links“ abtun und unterstützen die Kampagne der Industriellenvereinigung gegen Millionärssteuern – sie nennen diese „Schnüffelsteuer“. Andere Strategen der Schwarz-Türkisen fürchten hingegen, dass der neue SPÖ-Vorsitzende – der bekanntlich stark auf den Sozialfight setzt – eine Art Revival des Duells Wolfgang Schüssel gegen Alfred Gusenbauer auslösen könne.
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Auch damals setzte die ÖVP auf eine heftige Kampagne gegen den damaligen SPÖ-Chef, indem sie permanent daran erinnerte, dass dieser einst „den Boden in Moskau geküsst“ habe. Im Jahr 2023 ist das die Warnung vor dem „Marxismus“. Damals blieb der einstige VP-Kanzler Schüssel eisern auf seiner Linie und „hat die Ängste der Menschen und die Sozialthemen unterschätzt“, warnt ein VPler. Während die Roten im Nationalratswahlkampf 2006 einen aggressiven sozialpopulistischen Wahlkampf führten.
Am Ende wurde die SPÖ damit knapp Erste. Droht der ÖVP dies wieder? „Wenn es zu einem rot-blauen Duell kommt, kriegen wir ein Problem“, warnt ein VPler. Derzeit führt die FPÖ bekanntlich in sämtlichen Umfragen. Sollte die SPÖ aufholen – die ÖVP befindet sich nach jeder Menge Ermittlungen und durch Teuerung und Co in einer Krise – und es zu einem Kampf um Platz eins zwischen Andreas Babler und Herbert Kickl kommen, könnte das den Roten helfen.
Erst im Herbst werde klar, wie SPÖ liege
Hoffnungen. Meinungsforscher sehen in Babler durchaus Potenzial: Er könne wieder die 27 Prozent erreichen, die die Roten bei der Nationalratswahl 2017 erhielten. Das wären immerhin sechs Prozentpunkte zusätzlich und möglicherweise Platz 1. Kickl wird freilich ein ähnliches Potenzial eingeräumt. Allerdings könnten einige Wähler in letzter Sekunde davor zurückschrecken, FPÖ zu wählen, falls der Platz 1 für Kickl realistisch wäre.
In der ÖVP setzt man darauf, dass der mühsam beigelegte Streit in der SPÖ wieder aufflammen könnte und hofft hierbei vor allem auf den am SPÖ-Parteitag unterlegenen Hans Peter Doskozil und dessen engere Unterstützer. Sollten die Konflikte wieder aufbrechen, hätte die ÖVP freilich die Chance, in ein Duell mit der FPÖ um Platz eins zu treten, und könnte ihrerseits vom Match mit Kickl profitieren.
Zudem will sich die Kanzlerpartei mit der Nationalratswahl Zeit lassen. Bis September 2024 könnte sich die Teuerung stark abmildern und die Sozialthemen wieder in den Hintergrund rücken. Sollte allerdings das Zuwanderungsthema wieder dominieren – würde die SPÖ zwar darunter leiden, aber vor allem die FPÖ der Nutznießer sein.
Annäherung. In der FPÖ berichtet man hinter den Kulissen jedenfalls, dass die ÖVP sich immer stärker den Freiheitlichen annähere. Dabei würden zum einen die schwarz-blauen Koalitionen in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg helfen. Zum anderen dürfte die Abneigung gegen die SPÖ – samt Angst vor einem Sozialfighter-Wahlkampf – die ÖVP wieder verstärkt gen Blau rücken.
In Teilen der Kanzlerpartei scheint man jedenfalls zu hoffen, dass man – falls die FPÖ Nummer eins würde – den „Wolfgang-Schüssel-Coup“ wiederholen könne. Der wurde bekanntlich 2000 als Dritter von der FPÖ zum Kanzler gemacht, bevor er 2006 gegen die Roten verlor.
Die Blauen dementieren, dass sie „diesen Fehler aus 2000 wiederholen“ würden. Und die SPÖ hofft auf das 2006er-Szenario.