Fall Israilov
Polizei hätte Mord verhindern können
15.11.2010Laut Anwältin wurde dessen Bitte um Polizeischutz "nicht einmal ignoriert".
Am Dienstag startet im Wiener Straflandesgericht der Prozess um den am 13. Jänner 2009 auf offener Straße in Wien-Floridsdorf erschossenen tschetschenischen Asylwerber Umar Israilov. "Der Mord hätte verhindert werden können", zeigten sich Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), und Nadja Lorenz, Anwältin der Familie Israilov, Montagmittag in einer Pressekonferenz im Wiener Palais Epstein überzeugt.
Polizeischutz
Obwohl klar war, dass im Sommer 2008 aus Tschetschenien ein Mann mit dem Auftrag nach Wien gereist war, Israilov zu beseitigen, wurde laut Lorenz dessen Bitte um Polizeischutz "nicht einmal ignoriert". Österreich habe "zu wenig unternommen, um ihn zu schützen" und "die internationale Dimension dieses Falles missachtet", sagte Kaleck.
Folter
Israilov hatte sich 2001 in seiner Heimat im Widerstand gegen die russische Besatzungsmacht betätigt. Nach Darstellung seiner Anwältin fiel er 2003 in die Hände des von Russland protegierten Regimes und soll dabei vom späteren tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow persönlich gefoltert worden sein. Als Umar Israilov die Flucht gelang, wurde laut Lorenz sein Vater für elf Monate inhaftiert, ebenfalls grausamer Folterungen unterzogen und von Kadyrow mit dem Umbringen bedroht, sollte sein Sohn nicht zurückkehren.
Verfahren eingeleitet
Israilov leitete jedoch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Verfahren gegen Kadyrow wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte in die Wege und diente sich dem ECCHR als Kronzeuge an, um den Präsidenten verhaften zu lassen. "Das war unglaublich mutig, das zu tun. Er hat diesen Mut mit dem Leben bezahlt", stellte dazu nun Manfred Nowak, der ehemalige UNO-Sonderberichterstatter über Folter, vor den zahlreich erschienenen Medienvertretern fest. In Tschetschenien bzw. Russland stünden "schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen" auf der Tagesordnung, Russland sei "mit Abstand jener Staat, wo die massivsten Menschenrechtsverletzungen in Europa stattfinden", betonte Nowak. Dessen ungeachtet gebe es von keinem einzigen Mitglied des Europarats Bestrebungen, "stärker gegen Russland vorzugehen", bedauerte der wissenschaftliche Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte.
Verantwortung
Für Lorenz und Kaleck besteht kein Zweifel , dass der Mord am zum Tatzeitpunkt 27-jährigen Israilov von Kadyrow gesteuert wurde, weil es jener gewagt hatte, den Präsidenten anzuzeigen. Kadyrow sei "noch nicht angeklagt, aber der Prozess sollte den Grundstein legen, dass Kadyrow irgendwann zur Verantwortung gezogen werden kann", meinte Lorenz. Ihrem ehemaligen Mandanten, den sie seit 2007 betreut hatte, "war es ganz wichtig, dass er seinen Teil dazu beiträgt, dass Kadyrow und sein Regime gestoppt werden", hielt die Anwältin fest. Ganz in diesem Sinn appellierte der ECCHR-Generalsekretär an die österreichischen Behörden, ihrem Ermittlungsauftrag nachzukommen und gegen Kadyrow "allenfalls Strafverfolgungsmaßnahmen in die Wege zu leiten".
Im bevorstehenden Schwurgerichtsverfahren müssen sich drei Männer wegen Mordes, Bildung einer kriminellen Organisation und versuchter Überlieferung an eine ausländische Macht verantworten. Sie sollen die ursprünglich als Entführung geplante Bluttat organisiert haben bzw. direkt daran beteiligt gewesen sein. Die Verhandlung wird unter stärksten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden - bereits die heutige Pressekonferenz war aus Sicherheitsgründen vom Parlament ins Palais Epstein verlegt worden, wo ein Großaufgebot an Staatsschützern die Veranstaltung überwachte.
Israilovs Witwe lebt nach Auskunft ihrer Rechtsvertreterin mit ihren vier Kindern in Österreich. Israilovs Vater hat demgegenüber zu seiner Sicherheit Europa verlassen, weil er beim EGMR in seinem eigenen sowie im Namen seines Sohnes das Verfahren gegen Kadyrow weiterbetreiben will. Der Vater wird dem Vernehmen nach jedoch für die Dauer des Prozesses um die Ermordung seines Sohnes nach Wien kommen und als Zuhörer an der Verhandlung teilnehmen.