Minister: Viele Projekte im Blick, Kindergrundsicherung als Kernprojekt - Will in "politisch heikler Situation" Beitrag leisten - "Blaue Gesundheitspolitik kann ihre Gesundheit gefährden"
Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) hat im APA-Sommerinterview - wie schon zuvor signalisiert - einen Rücktritt vom eigentlich geplanten Polit-Rückzug ins Auge gefasst.
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Herzensprojekte
Es gebe noch zahlreiche Projekte, die ihm am Herzen liegen, etwa die Kindergrundsicherung, denkt er an ein Weitermachen. Außerdem wolle er in heiklen politischen Zeiten seinen Beitrag leisten, sagte er mit besorgtem Blick auf autoritäre Tendenzen in ganz Europa sowie die derzeit starke FPÖ.
Er habe stets betont, das Amt nie angestrebt zu haben, habe es aber aus Verantwortung übernommen und gern gemacht. "Und dann gesagt, okay, das wird dann irgendwann zu Ende sein", verwies der Minister auf seine ursprüngliche Ankündigung, nach dieser Legislaturperiode für kein weiteres Amt zur Verfügung zu stehen.
Er stelle nun aber fest, "wir sind in einer politisch sehr, sehr, sehr heiklen Situation". "Mir geht es schon darum, auch ernst zu nehmen, wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Frauenrechte, Pressefreiheit - wenn ich nach Ungarn schaue - plötzlich zur Disposition stehen." Und da sträube sich "alles" in ihm und daher sei nun seine Bereitschaft vorhanden, etwa bei Regierungsverhandlungen oder auch "in irgendeiner Funktion meinen Beitrag zu leisten", so Rauch.
"Gegen die FPÖ"
Es reiche nicht, zu sagen, "gegen die FPÖ zu sein", betonte der Vorarlberger. "Sondern mir geht es wirklich darum, mich für eine positive, für eine sozial ausgewogene, für eine zusammenhaltende Gesellschaft einzusetzen - dafür, dass meine Enkelkinder eine lebenswerte Zukunft haben." Auch sollten diese mit "dem Habitus einer Zuversicht" in diese Zukunft hineingehen "und nicht mit dieser depressiven, hassgetriebenen, spaltergetriebenen Haltung". "Das macht uns kaputt, das vergiftet uns als Gesellschaft und das beraubt uns unserer wirklichen Lebensgrundlage als Demokratie."
Es mache einen "fundamentalen Unterschied", ob es in Österreich nach der Wahl eine blaue Regierungsbeteiligung gibt oder nicht. "Weil die FPÖ wird umsetzen, was sie sagt", so Rauch. Und das Vorbild der Freiheitlichen sei Ungarn. "Wir hatten eine österreich-ungarische Monarchie, das war zu Kaisers Zeiten. Ich will keine Österreich-ungarische Regentschaft zwischen (Ungarns rechtsnationalen Premier Viktor, Anm.) Orbán und Kickl." Denn dann würde man Österreich nicht wiedererkennen. "Und ich finde, das muss man auch in dieser Deutlichkeit sagen und wenn man das sagt, dann muss man dafür kämpfen, dass das nicht stattfindet."
Scharfe Kritik übte Rauch an der FPÖ auch im Zusammenhang mit deren Umgang mit der Corona-Pandemie und der von den Blauen verbreiteten Impfskepsis: "Blaue Gesundheitspolitik kann Ihre Gesundheit gefährden", so der Minister. Denn diese werde "jenseits der Wissenschaftlichkeit" betrieben. Die FPÖ sei "tatsächlich dafür mitverantwortlich, dass die Impfbereitschaft generell gesunken ist", die Partei operiere "jenseits von Zahlen, Daten und Fakten". Seine Botschaft an die Bevölkerung laute: "Bitte geht zu eurem Hausarzt oder eurer Hausärztin. Lasst euch von denen beraten, glaubts nicht irgendeinen Schwachsinn, der im Internet propagiert wird, der von der FPÖ plakatiert wird."
Thema Impfung
Er lasse sich auch von der FPÖ nicht abschrecken, seine Überzeugungen vorzubringen, erinnerte er daran, dass er etwa in der Debatte um Fördergelder aus dem niederösterreichischen Corona-Fonds für Vereine rund um Covid-Leugner Martin Rutter dem niederösterreichischen FPÖ-Landesrat Christoph Luisser vor laufender Kamera das Mikrofon weggenommen hatte, "weil es mir zu viel geworden ist, was er da verzapft hat". "Und ich werbe offensiv dafür: Für die HPV-Impfung, auch für die Auffrischung bei Covid, für die Influenza-Impfung und selbstverständlich für die Mumps-Masern-Röteln-Impfung."
Mitgrund für seine Überlegungen, der Bundespolitik doch noch erhalten zu bleiben, sind auch zahlreiche begonnene oder geplante Projekte, die noch anstehen. Rauch verwies auf den von ihm im April vorgelegten Fünf-Punkte-Plan für künftige sozialpolitische Reformen mit Fokus auf die Kindergrundsicherung - eine Idee, die in den Grundzügen auch die SPÖ verfolgt.
Im APA-Interview legte Rauch nun erste Details seiner diesbezüglichen Vorstellungen offen: Es müsse sich um ein dreigliedriges Modell handeln. Ein Element werde aus einem bestimmten Sockel an Geldleistung bestehen, das jedes Kind bekommt - "egal wie hoch das Einkommen der Eltern ist". Darin sollten aber auch bereits jetzt bestehende Leistungen zusammengefasst werden, so Rauch.
Seine Pläne
Als "zweites Element" bezeichnete er einen einkommensabhängigen Teil, "weil es einen Unterschied macht, ob die Eltern gut gesettelt sind". "Und das dritte Element sind Sachleistungen, die bestehen können aus einem warmen Mittagessen, Lernhilfe, Nachhilfe oder Gesundheitsvorsorgeleistungen, die nicht direkt in Geldleistungen angeboten werden."
Klar sei, dass dies ein großes Projekt darstellt, von dem viele Ministerien und "eine Fülle von Gesetzen" sowie Länderkompetenzen betroffen wären. "Ich halte es für umsetzbar. Die Vorlaufzeit, glaube ich, wird zwei Jahre betragen, weil das ist schon komplex." Das Vorhaben sei auch ökonomisch bzw. volkswirtschaftlich gut zu argumentieren, verwies er auf eine OECD-Studie, wonach die Kinderarmut in Österreich 17 Milliarden Euro koste.
"Das rechnet sich, weil wenn ich das nicht tue, dann habe ich Kinder und Jugendliche, die nicht arbeitsmarktfit sind, mit Aufstiegs- oder Bildungsdefiziten, in weiterer Folge in Betreuungseinrichtungen, die sehr teuer sind". Die Kindergrundsicherung wäre also ein "Investment und dieses Investment bringt einen Return". "Nicht sofort, aber in ein, zwei drei, vier, fünf Jahren." Sollten die Grünen nach der Neuwahl im Herbst neuerlich in eine Regierung einziehen, "dann wäre das ein Kernelement in meinen Augen, wofür ich ringen würde, es umzusetzen".
Im Wahlkampf will Rauch auch durchaus weiterhin auf unorthodox anmutende Social Media-Auftritte setzen, etwa auf der Plattform TikTok, auf der er in selbstironisch vorgetragener Jugendsprache Werbung fürs "Checken" des "Impfjuice" für die FSME (Zecken)-Impfung machte - oder bezüglich der nun bis zum 30. Lebensjahr kostenlosen HPV-Impfung. Der Erfolg gebe ihm Recht, erklärte Rauch: "Im letzten Jahr im Juli etwa haben wir 1.000 Personen geimpft in dieser Altersgruppe und heuer 17.000." Die HPV-Impfung sei eine "riesige Erfolgsgeschichte" - "wenn wir es schaffen, dort die Impfraten in die Höhe zu bekommen". Denn sollte man eine Durchimpfung von rund 90 Prozent erreichen, könne es gelingen, Gebärmutterhalskrebs fast auszurotten.
Er will weiter regieren
Gefragt nach einem Wahlziel nannte Rauch die Teilnahme an einer Dreierkoalition. Diese werde wohl aus der ÖVP und der SPÖ bestehen und "entweder aus den NEOS oder aus den Grünen". "Ich glaube, es ist gut und wichtig, wieder dabei zu sein", sagte Rauch, der auch auf die "grüne Handschrift" der aktuellen Regierung verwies.
Einen "erleichterten" Rückblick richtete er auf die von ihm eingeleitete Gesundheitsreform, wobei er hier ebenfalls noch Handlungsbedarf für die kommende Regierung sieht. "Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, dass es besser wird", man sei auf gutem Weg, etwa mit den Primärversorgungszentren und dem Plan, 100 neue Kassenstellen zu schaffen, dies werde man sehr wohl umsetzen, sagte er auch mit Blick auf zweifelnde Stimmen etwa aus der Ärztekammer. Auch zum Gesamtvertrag laufen Verhandlungen zwischen der Sozialversicherung und der Ärztekammer und auch die Digitalisierung treibe man voran. "Was es jetzt braucht, ist dran zu bleiben, fünf Jahre dran zu bleiben. Das ist harte Arbeit, auch für den nächsten Gesundheitsminister", blickte Rauch auch bei diesem Thema in die Zukunft.
Für umsetzbar hält der Minister auch seinen jüngsten Vorschlag einer Verschärfung der Waffengesetze, der u.a. ein weitreichendes Messertrageverbot an öffentlichen Orten mit wenigen Ausnahmen vorsieht. "Meine Überzeugung ist, dass wir neben der Säule der Integrationsbemühungen, der sozialen Arbeit, neben dem Aufeinander-Zugehen, der Hilfe und Unterstützung schon auch klare Spielregeln brauchen. Und ein Messertrageverbot ist ein solch klares Signal."
Bezüglich der Debatte rund um hohe Sozialhilfe-Auszahlungen für kinderreiche Familien betonte Rauch einmal mehr, Faktum sei, dass eine durchschnittliche Familie etwa 740 Euro Sozialhilfe - "und das für durchschnittlich neun Monate" - bekomme. Wie schon zuvor plädierte der Minister für eine bundesweite Vereinheitlichung der derzeit unterschiedlich hohen Auszahlungsbeträge, auf eine konkrete Höhe wollte sich Rauch aber nicht festlegen. Gleichzeitig warnte er einmal mehr, alle "in einen Topf zu werfen": "Das ist entwürdigend, es ist beschämend, nämlich für die Menschen, die darauf angewiesen sind, und das sollte man nicht tun."