Nach dem Bekanntwerden einer Spende des Neuseeland-Attentäters an die österreichischen rechtsextremen "Identitären" prüft die Bundesregierung nun die Auflösung der Organisation. Das kündigte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch nach dem Ministerrat an. Es gebe "keine Toleranz für gefährliche Ideologien, ganz gleich, aus welcher Ecke sie kommen".
Man könne eine finanzielle Unterstützung und somit Verbindung des neuseeländischen Attentäters mit den Identitären bestätigen, sagte Kurz. Egal welche Art von Extremismus, "sowas darf keinen Platz in unserem Land und in unserer Gesellschaft haben", und so etwas dürfe "niemals toleriert werden". Man werde mit der "vollen Härte des Gesetzes" gegen derartiges Gedankengut vorgehen. Es brauche Aufklärung, ob es hier "Machenschaften im Hintergrund" gegeben habe. Auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) kündigte schonungslose Aufklärung
"Wenn es die Gesetze hergeben"
Eine Auflösung der rechtsextremen Identitären sei keine Entscheidung der Politik, sondern der Behörden, verwies Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf den Rechtsstaat. Eine Vereinsauflösung werde es geben, "wenn es die Gesetze hergeben". Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) distanzierte sich klar von der Bewegung: "Die freiheitliche Partei hat mit den Identitären nichts zu tun."
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung habe natürlich seine Arbeit schon aufgenommen, sagte Kurz auf die Journalistenfrage, ob das BVT (das derzeit im Fokus eines Untersuchungsausschusses steht) überhaupt handlungsfähig sei. Es seien ja im BVT Veränderungen vorgesehen, darunter eine Berichtspflicht an Kanzler und Vizekanzler - dies wolle man nun zügig umsetzen. Auch eine angedachte Anti-Extremismusstelle in Österreich soll nun schnell vorangetrieben werden.
Im Rahmen des Rechtsstaates
Für die Prüfung der Vereinsauflösung der Identitären ist das Innenministerium zuständig, und zwar "im Rahmen des Rechtsstaates", wie Kurz erklärte. Es werde geprüft, ob eine terroristische Vereinigung vorliege, es gebe Ermittlungen gegen den Chef der Identitären und ob es weitere Kontakte zwischen dem Neuseeland-Attentäter und österreichischen Staatsbürgern gegeben habe. Die Entscheidung über eine Auflösung werde nicht von der Politik, sondern von Behörden getroffen. "Meiner Meinung nach sollte jedes radikale Gedankengut bekämpft werden", betonte Kurz. Aber es gebe den Rechtsstaat und wenn eine terroristische Vereinigung vorliege, "wird es natürlich Konsequenzen auf den Verein haben".
Schon einmal hat die Regierung übrigens prominent die Prüfung einer Vereinsauflösung bekanntgegeben: Damals ging es um die Burschenschaft "Germania" und den Skandal um rassistische und NS-verherrlichende Liedertexte. Das Auflösungsverfahren wurde aber schließlich eingestellt, die Staatsanwaltschaft hatte zuvor ihre Ermittlungen unter anderem wegen Verjährung beendet.
Vizekanzler und FPÖ-Chef Strache betonte im Pressefoyer nach dem Ministerrat ebenfalls, dass jede österreichische Verbindung zu dem "bestialischen Attentäter" von Christchurch "schonungslos aufgeklärt" werden müsse. Es gebe hier "null Toleranz". Justiz und Exekutive hätten rasch gehandelt, der Rechtsstaat funktioniere, im Sinne einer Wachsamkeit gegenüber allen extremistischen Richtungen, egal ob links, rechts oder von einer Religionsgemeinschaft. Maßstab für eine Vereinsauflösung sei immer die geltende Rechtslage, meinte auch Strache. Der Rechtsstaat gelte für alle Bürger, deshalb seien die Ermittlungsergebnisse abzuwarten.
FPÖ-Verbindungen?
Gefragt, ob er Verbindungen der FPÖ zu den Identitären ausschließen könne, unterstrich Strache: "Die freiheitliche Partei hat mit den Identitären nichts zu tun." Es sei auch klare Beschlusslage der Partei, dass jemand, der sich dort engagiere, "auch keinerlei Funktion in FPÖ innehaben kann". Freilich könne er nie ausschließen, wenn jemand zu ihm komme und ein gemeinsames Foto wolle, während er im Land unterwegs sei, sagte Strache. Er frage ja nicht jeden, der ein Selfie wolle, bei welchem Verein er tätig sei.
Auf die Frage, ob er es bereue, dass er in der Vergangenheit etwa ein Werbevideo der Identitären auf seine Facebook-Seite gestellt und ihren "friedlichen Aktionismus" gelobt hatte, verteidigte Strache seine damaligen Beiträge. Auf der Bewertungsgrundlage im Jahr 2016 habe es sich offensichtlich um eine Jugendbewegung als Gegenkultur zur politisch Linken gehandelt. Es obliege der Justiz, zu bewerten, ob Verstöße gegen den Rechtsstaat vorliegen und es sei "gut", dass die Justiz ermittle. Er selbst habe wie auch seine Partei eine klare Position, erklärte Strache: "Wer den Rechtsstaat nicht lebt, der hat auch mit Konsequenzen zu rechnen."
Terror-Verdacht gegen Martin Sellner
Auf seiner Waffe stand „Ernst Rüdiger von Starhemberg“. 2018 reiste er durch Österreich. Und in ebendiesem Jahr spendete der australische Neonazi-Terrorist auch 1.500 Euro an die österreichischen Identitären. Die Rede ist vom Massenmörder von Christchurch, Brenton Tarrant, dessen Spuren nach Österreich jetzt auch den Sprecher der hiesigen Identitären, Martin Sellner, unter Druck bringen.
Am Montagabend fand in der Wohnung des Rechtsextremen in Wien eine Hausdurchsuchung statt. Die Staatsanwaltschaft Graz bestätigt, dass sie wegen des „Verdachts auf Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ gegen Sellner ermittle. Tarrant, der in Neuseeland 50 Menschen in zwei Moscheen getötet hatte, erhielt nach seiner Spende eine Dankes-E-Mail von Sellner.
Dieser rechtfertigt sich damit, dass dies „automatisierte Dankes-E-Mails“ seien. Trotzdem meldete er auch nach dem Terrorattentat diese für Identitäre ungewöhnlich hohe Spende (so Sellner selbst) nicht den Behörden.
Sellner bedankte sich bei dem Christchurch-Killer
Der Sprecher der Identitären ging am Montagabend jedenfalls mit einem Tweet, in dem er die Razzia selbst öffentlich machte, in die Offensive. Wollte er seine Kameraden via Twitter über mögliche weitere Razzien im Milieu informieren? Die Razzia fand schließlich bislang nur in Sellners Wohnung in Wien, nicht aber im Hauptquartier der Identitären in Graz statt.
Laut Verfassungsschutz sind die Identitären „einer der führenden Träger des modernen Rechtsextremismus“. Zudem sind sie (siehe Kasten unten) international vernetzt. Die Reisen des Neonazi-Terroristen durch Österreich und andere europäische Länder beschäftigen daher mehrere Geheimdienste. Die Identitären warnen vor „dem großen Austausch“ (Zuwanderung) – worauf sich auch der Christchurch-Attentäter bezogen hatte.
Sellner dementiert jegliche Kontakte zu Tarrant. Der österreichische Rechtsextreme übt sich zudem in absurden Verschwörungstheorien, wonach der Neonazi-Mörder „Patrioten schaden“ wolle.
Identitäre: International vernetzte "moderne Rechtsextremisten"
Sie verzichten auf Springerstiefel und Glatzen und geben sich „moderner“.
Die Identitären – ihren Ursprung nahmen sie in Frankreich – sind laut heimischem Verfassungsschutz freilich führende „moderne Rechtsextremisten“, die international vernetzt agieren. Diese „neue Rechte“ propagiert „den Kampf gegen den großen Austausch“, sprich Zuwanderung. Das absurde Pamphlet des Christchurch-Attentäters berief sich auf ebendiese Ideologie.
Politwirbel: Opposition attackiert Kickl wegen Neonazi-Gefahr
Die Opposition fordert von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl dringend Aufklärung über „gefährlichen Rechtsextremismus in Österreich“. Sie wirft Kickl vor, dass er diesem „kaum Beachtung“ schenke. Kanzler Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Strache forderten gestern „volle Aufklärung“ über allfällige Verbindungen des Christchurch-Attentäters zu Österreich. FPÖler, darunter Strache und Kickl selbst, traten in der Vergangenheit übrigens gelegentlich mit Identitären auf.
Isabelle Daniel