Jetzt droht Krach

Paukenschlag: Gewessler will EU-Renaturierungsgesetz zustimmen

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In einer eilig einberufenen Pressekonferenz von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) kündigte diese an, dem EU-Renaturierungsgesetz zustimmen wollen. 

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) wird am Montag beim Treffen der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg für das EU-Renaturierungsgesetz stimmen. "Jetzt zu zögern, geht sich mit meinem Gewissen nicht aus", sagte Gewessler am Sonntagnachmittag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz in Wien. Sie habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, wolle aber "ein Signal der Entschlossenheit und des Mutes setzen". Seitens der ÖVP hagelte es scharfe Kritik am "Alleingang" Gewesslers. 

"Im entscheidenden Moment will ich das Richtige tun und mich nicht verstecken", betonte die Ministerin. Allfälligen Gegenwind "halte ich aus", hielt sie fest: "Wenn ich in 20 bis 30 Jahren mit meinen Neffen und Nichten spazieren gehe, möchte ich ihnen die Schönheit des Landes zeigen." Auf die Frage eines Medienvertreters, ob sie infolge ihrer Entscheidung einen Koalitionsbruch mit der ÖVP befürchte, meinte Gewessler: "Keineswegs". Sie habe sich ihre Zustimmung mit mehreren Rechtsgutachten absichern lassen.

Ob es morgen überhaupt zur Abstimmung kommt, sei "unklar", meinte Gewessler. Zuletzt hatte sich noch keine qualifizierte Mehrheit für die geplante EU-Verordnung abgezeichnet. "Es steht Spitz auf Knopf", erklärte Gewessler. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, (ÖVP) hoffte auf Zustimmung der EU-Umweltminister.

Qualifizierte Mehrheit durch Gewesslers "Ja"?

Am Montag soll es in Luxemburg eine öffentliche Aussprache unter den Ministern geben. Ob es danach zu einem Votum kommt, dürfte vor allem davon abhängen, ob die belgische Ratspräsidentschaft bei der Aussprache den Eindruck gewinnt, dass eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) doch zustande kommt oder nicht. Dafür müsste eines der Länder, die sich bisher enthalten oder dagegen stimmen wollten, umentscheiden. In EU-Kreisen wird hier immer wieder neben Österreich auch Polen als mögliche Kandidaten genannt.

Gewessler, die für Österreich an dem Umweltrat in Luxemburg teilnehmen wird, hatte in der Vergangenheit betont, dass sie für das EU-Renaturierungsgesetz ist - aber wegen einer einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer nicht zustimmen dürfe. Nachdem jüngst Wien und Kärnten ihre Opposition gegen das EU-Gesetz aufgegeben haben, die anderen Bundesländer aber daran festhalten, war bisher unter Verfassungsjuristen unklar, ob Gewessler noch an die Stellungnahme gebunden ist.

So erfuhr Nehammer von der Gewessler-Bombe

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) erfuhr von der geplanten Zustimmung Gewesslers nur wenige Minuten vor der heutigen Pressekonferenz, berichten Insider. Der ÖVP-Chef nimmt aktuell an der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz teil. Zuvor meinte Nehammer noch, es gebe klare Regeln. "Ich gehe davon aus, dass die Ministerin, die Verfassung einhalten wird, auf die sie angelobt ist."

Kogler: "Juristisch nicht ganz einfach" 

Eine Zustimmung Gewesslers wäre "das Ziel", aber "juristisch nicht ganz einfach", meinte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Er sei davon überzeugt, dass das Klimaschutzministerium noch rechtliche Beratungen einholt, so Kogler in der "Presse" (Sonntag-Ausgabe). "Es ist Neuland. Aus meiner Sicht - und der Sicht verschiedener Juristen - bestehen durchaus Möglichkeiten, diese Blockade der Länder rechtlich zu hinterfragen."

Karas hoffte indes auf eine Zustimmung der EU-Umweltminister zum Renaturierungsgesetz am Montag, wie er am Sonntag in der Pressestunde des ORF sagte. Ob auch Gewessler zustimmen könne, sei eine Frage der innenpolitischen Kompetenzen, meinte er.

Karas erinnerte daran, dass das EU-Renaturierungsgesetz eine Mehrheit im Europaparlament erhalten habe. Das Gesetz sei "Teil der Erfüllung unserer Klimaziele" und eine Antwort auf Umweltkatastrophen, Hochwasser und Murenabgänge. Das Renaturierungsgesetz habe sich radikal verändert. Der EU-Kommissionsvorschlag sei überbordend und bürokratisch gewesen, das EU-Parlament habe aber über 136 Änderungen durchgesetzt. Das Gesetz habe nichts mit Enteignung und dem Verlust von Lebensmittelsicherheit zu tun, sagte Karas zu den Argumenten von Kritikern.

Edtstadler: "Verfassungs- und Gesetzesbruch" 

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler äußerte scharfe Kritik an der Entscheidung Gewesslers. "Wenn Bundesministerin Leonore Gewesseler morgen im Rat so abstimmt, wie sie es heute in ihrer Pressekonferenz angekündigt hat, begeht sie vorsätzlichen einen Verfassungs- und Gesetzesbruch. Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt", so Edtstadler. Die Ideologie dürfe "niemals über dem Recht stehen".

Gewessler sei verfassungsrechtlich an die Stellungnahme der Bundesländer gebunden und auch an das Bundesministeriengesetz, wonach sie das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium herzustellen hat, erklärte Edtstadler weiter. "Sich über die Verfassung und über Gesetze zu stellen, ist eine neue Dimension. Das muss und wird rechtliche Konsequenzen haben."

Totschnig nennt Gewesslers Vorgehen "verantwortungslos" 

Auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sparte nicht mit Kritik an dem Vorgehen Gewesslers. Sie wolle "aus ideologischen Gründen mit der Brechstange für ein Gesetz stimmen, dass eine Flut an Überregulierungen und Doppelgleisigkeiten für unser Land bringen wird." Eine solche politische Entscheidung "ohne Abstimmung mit den Bundesländern und innerhalb der Bundesregierung zu treffen" sei "verantwortungslos", kritisierte Totschnig. 

"Uns muss klar sein: Mit der Zustimmung zu diesem Gesetz werden sich die Lebensmittelpreise verteuern, zahlreiche heimische Arbeitsplätze gefährdet und Europas Standort weiter geschwächt. Uns droht, dass viele Bäuerinnen und Bauern ihre Produktion aufgeben und diese sich ins Ausland verlagert, wo weniger Bürokratie und Überregulierung herrscht. Hier geht es um die Versorgungssicherheit und Souveränität Österreichs", so Totschnig. 

Johanna Mikl-Leitner garantiert niederösterreichisches "Naturparadies" 

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) garantierte indes, "dass Niederösterreich weiterhin dieses Naturparadies bleibt." Und dafür brauche es "kein 151-Milliarden-Belastungspaket aus Brüssel", so Mikl-Leitner. "Seit dem Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002 investieren wir laufend hunderte Millionen Euro in mehr als 500 Renaturierungsprojekte in unserem Land. Ein Drittel der Landesfläche Niederösterreichs sind als Schutzgebiete ausgewiesen. Wir haben zwei Nationalparks, ein Wildnisgebiet und einen Biosphärenpark", erklärte die Landeshauptfrau.

82 Prozent der Bevölkerung befürworten Zustimmung 

Laut einer Umfrage des Market-Instituts (1.000 Online-Interviews) im Auftrag des WWF sprachen sich 82 Prozent der Bevölkerung für eine Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz aus. "Das ist ein klarer Auftrag an die Politik. Inhaltlich spricht schon längst alles für eine Zustimmung Österreichs, weil wir damit unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen in Europa sichern", sagte WWF-Programmleiterin Hanna Simons im Vorfeld der Abstimmung.

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