Regierung

Schallenberg reist in den Irak: "Präsenz zeigen"

08.09.2023

Außenminister Alexander Schallenberg besucht von Montag bis Mittwoch den Irak.  

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© APA/GEORG HOCHMUTH
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In Bagdad sind Treffen mit Staatspräsident Abdul Latif Rashid, Premier Mohammed Shia' al-Sudani und Außenminister Fuad Hussein geplant. Zudem wird die österreichische Botschaft Bagdad feierlich wiedereröffnet. "Es ist wichtig, dass wir Präsenz zeigen", erklärte Schallenberg im Vorfeld. Am Mittwoch ist in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, ein bilaterales Wirtschaftsforum geplant.

Der Irak sei nicht nur das Thema Migration betreffend "ein wichtiger Partner", betonte der Außenminister (ÖVP) im Gespräch mit der APA. Er sei auch ein "Stabilitätsfaktor" in der Region. "Wenn der ins Rutschen gerät, gerät die ganze Region ins Rutschen." Es gebe "ja die unterschiedlichsten Interessen, die im Hintergrund um Einflussnahme auf den Irak ringen". Österreich war zuletzt bis 1991 mit einer Botschaft im Irak vertreten. Die Entscheidung, in Bagdad wieder vor Ort präsent zu sein, spiegle die gesteigerte Bedeutung des Irak für Österreich und Europa wider, hieß es aus dem Außenministerium (BMEIA).

Teil unserer Sicherheitsstruktur

Schallenberg: "Unsere Sicherheit beginnt nicht erst an der Landesgrenze. Die mehr als hundert Außenvertretungen sind Teil unserer Sicherheitsstruktur, und da zähle ich Bagdad an erster Stelle dazu." Mit der Präsenz vor Ort sende Österreich nicht nur ein Zeichen der Unterstützung an irakische Partner, sondern stärke auch das "Frühwarnsystem" im Hinblick auf Entwicklungen im Migrationsbereich, hieß es aus dem Außenministerium (BMEIA). "Erst vor Kurzem wurden zwei Übereinkommen mit dem Irak unterzeichnet, die auch die operative Zusammenarbeit im Migrationsmanagement verbessern sollen."

Schlussendlich werde die Wiedereinrichtung einer Botschaft zudem dazu beitragen, das Handels- und Investitionspotenzial zwischen Österreich und dem Irak zu heben. Und weiter: "Im Herzen einer extrem volatilen Weltregion gelegen, ist es in unserem Interesse zur Stabilität des Irak beizutragen und dort demokratische Prozesse und Strukturen zu stärken."

Beteiligung an NATO-Mission

Daher werde sich Österreich ab dem Herbst auch an der Ausbildungs- und Beratungsmission der NATO (NMI) beteiligen. "Denn die immer noch fragile Sicherheitslage im Land ist weiterhin Nährboden für Extremismus, Terrorismus und illegale Migration." Das Bundesheer soll an der Mission mit bis zu zehn Militärangehörigen beteiligt sein. Das Außenministerium verwies im Zusammenhang mit der Teilnahme des neutralen Österreich an einer NATO-Mission auf das langjähriges Engagement im Rahmen der NATO-Initiative "Partnerschaft für den Frieden". Die völkerrechtliche Grundlage für eine Beteiligung Österreichs an der NMI bildet demnach die Resolution 2249 des UNO-Sicherheitsrats vom 20. November 2015. Darin wurden alle UNO-Mitgliedstaaten aufgefordert, terroristische Handlungen im Irak zu "verhüten und unterbinden".

Die Resolution bezog sich damals auf Maßnahmen gegen die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) und ähnliche Gruppierungen im Irak und Syrien. Der IS hatte ab 2014 weite Teile Syriens und des Irak erobert, konnte aber Ende 2017 im Irak und 2019 auch in Syrien besiegt werden. Außenminister Schallenberg und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) hatten im Juni den Beschluss einer Bundesheerbeteiligung begrüßt und die Wichtigkeit des österreichischen Engagements im Irak auch für die nationale Sicherheit hervorgehoben.

"Die Terrorgruppe 'Islamischer Staat' ist in ihren Grundfesten erschüttert, aber nicht vollkommen zerstört. Die fragile Sicherheitslage und die Schwäche staatlicher Institutionen sind weiterhin ein Nährboden für Extremismus, Terrorismus und illegale Migration. Wir dürfen nicht übersehen, dass diese Entwicklungen auch bis zu uns nach Europa ausstrahlen können. Österreich kann mit der Teilnahme an der Trainings- und Ausbildungsmission einen wesentlichen Beitrag für mehr Sicherheit und Stabilität leisten", teilte die Ministerin damals mit. "Der Irak ist ein Schlüsselfaktor für Stabilität in der Region. Die Sicherheit des Irak hat damit auch unmittelbare Auswirkungen auf Europa und Österreich. Mit unserer Teilnahme an der NATO-Ausbildungsmission unterstützen wir unsere irakischen Partner im Kampf gegen den Terrorismus und bekämpfen damit auch Fluchtursachen und illegale Migration aus der Region", betonte seinerseits Schallenberg.

Das politische System im Irak steht 20 Jahre nach dem Einmarsch der US-Truppen zwecks Beseitigung des damaligen Diktators Saddam Hussein und zwölf Jahre nach dem zumindest teilweisen Abzug auf eher tönernen Beinen. Das irakische Parlament hatte den kurdischen Politiker Abdul Latif Rashid im Oktober des Vorjahrs zum Präsidenten ernannt und damit nach mehr als einem Jahr politischer Blockade den Weg für die Bildung einer neuen Regierung freigemacht. Der 78-jährige in Großbritannien ausgebildete Ingenieur war von 2003 bis 2010 der für die Wasserversorgung zuständige Minister. Zwar hat der Präsident im Irak eine überwiegend zeremonielle Funktion. Seine Ernennung ist jedoch ein kritischer Schritt bei der Bildung einer neuen Regierung.

Aus der Parlamentswahl am 10. Oktober 2021 war an sich der schiitische Kleriker Moqtada al-Sadr als Sieger hervorgegangen. Er konnte jedoch keine Regierung bilden. Sadrs 73 Abgeordnete zogen sich im Sommer aus dem Parlament zurück, nachdem er angekündigt hatte, nicht mehr politisch tätig sein zu wollen. Der Schritt führte zum schwersten Gewaltausbruch seit Jahren. Im Irak wird der Präsident aus den Reihen der Kurden gewählt, der Ministerpräsident ist ein Schiit und der Parlamentspräsident ein Sunnit. Streit zwischen den größten kurdischen Parteien hatte bisher die Ernennung eines Präsidenten verhindert.

Nach den Treffen mit der politischen Führung in Bagdad am Dienstag steht für Schallenberg am späten Nachmittag auch ein Besuch bei der EU-Unterstützungsmission EUAM im Camp Dublin am Programm. Im früheren US-Militärcamp wurden im Zuge der NATO-Ausbildungsmission auch irakische Polizeieinheiten geschult.

Am Dienstagabend erfolgt der Weiterflug nach Erbil. Dort wird der Außenminister mit dem Präsidenten der Region Kurdistan-Irak, Nechervan Barzani, Premier Masrour Barzani sowie dem Vorsitzenden der nationalistisch-konservativen Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), Massoud Barzani, sowie dem Patriarchen der Chaldöisch-Katholischen Kirche, Kardinal Louis Raphaël Sako, Gespräche führen.

Patriarch Sako hatte Mitte Juli angekündigt, dass er sich aus der Patriarchalresidenz in Bagdad zurückziehe und in die Autonome Region Kurdistan im Norden des Irak in ein Kloster begebe. In einem Schreiben hieß es, er habe diese Entscheidung getroffen, weil der irakische Präsident Abdul Latif Rashid ein vom früheren Präsidenten Jalal Talabani erlassenes Sonderdekret aus dem Jahr 2013 aufhob. Dieses hatte Sako weitreichende Befugnisse zur Verwaltung chaldäischer Stiftungsangelegenheiten eingeräumt und offiziell als Oberhaupt der Chaldäischen Kirche anerkannt.

Für Schallenberg ist in Erbil zudem die Teilnahme an einem österreichisch-irakischen Wirtschaftsforum geplant, da gerade die Region Kurdistan-Irak als Handelspartner von großem Interesse ist. Die Lage der Kurden in der Region sei eine Frage, die sich über die die gesamte Region ziehe, erinnerte Schallenberg. "Über die Türkei, Syrien bis in den Irak hinein." Österreich habe aber stets den Kontakt gepflegt, erinnerte der Außenminister. So seien die ersten "Direktflüge, die es in den Westen gab", von den Austrian Airlines zwischen Erbil und Wien geführt worden.

In der Kurdenregion im Nordirak gibt es regelmäßig Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, vordringlich in der knapp 100 Kilometer von Erbil entfernt liegenden Stadt Kirkuk. Bei Demonstrationen rivalisierender ethnischer Gruppen kamen dort Anfang September vier Menschen um Leben. Grund für die Proteste war eine Ankündigung der Zentralregierung in Bagdad, wonach ein Hauptquartier der Armee in der Stadt geräumt und der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) übergeben werden soll.

Arabische und turkmenische Anrainer demonstrierten anschließend tagelang gegen die Pläne. Kurden hielten Gegenproteste ab und sprachen sich für das Vorhaben aus. Am Samstag brach Gewalt zwischen den Anrainergruppen aus, wie Medien meldeten. Auch Schüsse sollen demnach gefallen sein. Die Zentralregierung beschloss nach Angaben des Gouverneurs der Stadt schließlich, ihre Pläne zunächst zu verschieben. In Kirkuk kehrte daraufhin Augenzeugen zufolge wieder Ruhe ein. Eine in der Stadt vorübergehend verhängte Ausgangssperre wurde aufgehoben.

Der ethnisch gemischte und für die Ölproduktion wichtige Ort steht unter Kontrolle der Zentralregierung, wird aber auch von der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak beansprucht. In dem Ort leben Kurden sowie Araber und Angehörige der turkmenischen Minderheit. Die kurdischen Peschmerga-Truppen hatten die Kontrolle über die multiethnische Stadt 2014 übernommen, nachdem die irakischen Regierungstruppen vor der Blitzoffensive der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) geflohen waren.

Die KDP schloss dort ihre Büros, als die irakische Zentralregierung 2017 die Kontrolle über die gesamte Provinz übernahm. Zuvor hatte die kurdische Minderheit des Landes in dem Gebiet ein von Bagdad nicht akzeptiertes Unabhängigkeitsreferendum abgehalten. Die Zentralregierung griff danach mit harter Hand durch. Später verbesserten sich die Beziehungen zwischen den beiden Seiten wieder. Der Verlust der ölreichen Region Kirkuk war aber besonders bitter, weil die Ölexporte aus dem Gebiet für einen Großteil der Einnahmen der Autonomieregion sorgten.

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