Nach türkischen Feiern
Telefonat mit Erdogan: Nehammer mahnt Respekt gegenüber Gastland ein
02.06.2023Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach teils nationalistischen Erdogan-Siegesfeiern in Wien in einem Telefonat mit dem wiedergewählten türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan "Respekt gegenüber dem Gastland" eingemahnt.
"Das ist eine Frage des Anstandes und der Wertschätzung wechselseitig, und das habe ich auch gegenüber den Türken, die in Österreich leben, eingefordert. Und Erdogan hat ja da einen gewissen Einfluss", sagte Nehammer nach dem Moldau-Gipfel der APA.
Erdogan habe ihn bei dem Gespräch zu einem möglichst baldigen Besuch in die Türkei eingeladen, sagte Nehammer. Ein Termin soll nun fixiert werden. Österreich und die Türkei würden in Kürze auch hundert Jahre diplomatische Beziehungen feiern.
Beziehungen wieder neu aufbauen
Das Telefonat fand am Rande des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau statt. Erdogan war zwar zu dem europäischen Gipfeltreffen eingeladen, aber nicht nach Moldau gereist. Die Gelegenheit zu dem Gespräch habe sich nach Erdogans Wiederwahl ergeben, so Nehammer, "damit wir die Beziehungen Österreich-Türkei wieder neu aufbauen". Seit dem Getreideabkommen für die Ukraine habe er mit Erdogan "eine sehr tragfähige Beziehung über die Kriegsmonate entwickelt", sagte Nehammer.
Der Anruf habe auch Gelegenheit geboten, "darauf hinzuweisen, dass wenn türkische Staatsbürger in Österreich auf den Straßen feiern, der Respekt gegenüber dem Gastgeberland nicht verloren gehen darf". In dem Telefonat habe er sowohl sich selbst als auch Erdogan als "Patrioten" bezeichnet, aber dies von Nationalismus und Hass gegenüber anderen abgegrenzt, sagte Nehammer. Erdogan habe diese Sprache positiv aufgenommen. Der türkische Präsident habe den Überschwang der Feiern mit seinem Wahlsiegs erklärt, aber auch betont, dass es keine Probleme gebe, die man nicht aus dem Weg räumen könnte.
Wolfsgruß
Zu den Verstößen bei den Feiern in Wien-Favoriten, sagte Nehammer: "Als ehemaliger Innenminister nehme ich das sehr ernst. Diejenigen, die gegen österreichische Gesetze verstoßen, müssen auch mit der Konsequenz des Rechtsstaates rechnen. Also, alle die den Wolfsgruß gezeigt haben und identifiziert werden, werden auch dementsprechend angezeigt und strafbehördlich verfolgt." Es gebe auch eine kontinuierliche Beobachtung der Szene durch das Innenministerium und den Verfassungsschutz. Man dürfe aber nicht von einzelnen Provokateuren und Rechtsbrechern auf die türkische Minderheit in Österreich schließen und alle über einen Kamm scheren.
Weitere Themen des Gesprächs sei die Rolle der Türkei als Sicherheitspartner bei der Migration gewesen. "Wir setzen weiter darauf, dass wir mit Erdogan auf Augenhöhe verhandeln." Erdogans politischer Gegner Kemal Kilicdaroglu habe im Wahlkampf mehr damit gedroht, irreguläre Migranten nach Europa zu schicken, als Erdogan, sagte Nehammer.
Die Türkei brauche auch Unterstützung für die Versorgung und Unterbringung der 2,6 Millionen Flüchtlinge im Land, sagte Nehammer. Erdogan gehe es außerdem um den Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sowie um die Zollunion mit der EU.
Pushbacks
Zu Vorwürfen von Pushbacks an der EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei sagte der Kanzler: "Der Pushback per se ist nicht illegal. Wenn ein irregulärer Migrant die Grenze überschreitet und nicht Asyl sucht, hat jedes Land das Recht, seine Grenze zu schützen und denjenigen, der illegal die Grenze überschritten hat, auch wieder zurückzubringen." Österreich setze sich dafür ein, dass Asylverfahren in Drittstaaten durchgeführt werden, "damit der Druck von der europäischen Außengrenze reduziert wird". Dies würde das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören.
Forderungen nach einem EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland lehnt Nehammer ab. Zunächst wäre eine Prüfung der Vorwürfe gegen griechische Grenzbeamte abzuwarten. "Das ist noch nicht einmal alles passiert. Daher ist es absurd, ein Verfahren in dieser Form gegen Griechenland einzufordern." Ein Verfahren gegen Athen hatte zuletzt der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas gefordert.