Erschwerungsgrund
"Religiöse Gewalt" soll Strafen verschärfen
03.02.2010
Justizministerin Bandion-Ortner will neue Erschwernisgründe einführen, aber keine neuen Delikte. Die SPÖ ist gegen die Vermischung von Religion und Strafe.
Nach dem umstrittenen Totschlags-Urteil gegen einen gebürtigen Türken, der bei einem Scheidungsstreit mit einem Messer auf seine Frau eingestochen hatte, plant die ÖVP nun eine Gesetzesänderung. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) will im Strafgesetzbuch festschreiben, dass allfällige religiöse Hintergründe eines Verbrechens niemals als Milderungsgrund, sondern im Gegenteil strafverschärfend wirken sollen. Zweiteres lehnt die SPÖ allerdings ab und warnt vor der Hereinnahme der Religion ins Strafrecht. Sie fordert eine Überprüfung des umstrittenen Urteils durch den OGH.
Zu mildes Urteil gegen Türken
Anlass für den Vorstoß ist
die Debatte um ein mildes Urteil gegen einen gebürtigen Türken, der seine
Frau im vergangenen Oktober nach einem Streit um die Scheidung mit über
zwölf Messerstichen schwer verletzt und mit einem Stahlrohr attackiert
hatte. Weil die Frau vor Gericht zu keiner Aussage bereit war und der
Staatsanwalt dem seit 1980 in Österreich lebenden Mann eine - auch mit
seiner Herkunft aus der Türkei begründete - "allgemein
begreifliche, heftige Gemütsbewegung" attestierte, wurde er nicht
wegen versuchten Mordes, sondern "nur" wegen Totschlags angeklagt.
Das Gericht schloss sich dem an und verhängte sechs Jahre Haft. Für
versuchten Mord wären zehn bis 20 Jahre bzw. Lebenslang möglich gewesen.
Große Empörung über Urteil
Unmittelbar nach dem
Schuldspruch protestierten in ungewohnter Einigkeit alle fünf
Parlamentsparteien gegen das Urteil. Auch unter Juristen ist die
Vorgehensweise von Staatsanwalt und Gericht umstritten, hatte doch der
Oberste Gerichtshof (OGH) schon vor Jahren festgehalten, dass eine
ausländische Herkunft noch keine strafmindernde Affekt-Handlung begründen
kann. Vielmehr sei bei der Beurteilung "von einem rechtstreuen
Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die inländische
Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist". Auch
das Justizministerium stellte dies wenig später in einem Erlass an die
Staatsanwaltschaften klar.
"Erschwerungsgründe"
Nun will Ressortchefin
Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) auch im Strafgesetzbuch festschreiben, dass
mögliche religiöse Hintergründe einer Tat niemals strafmindernd wirken
können. Im Gegenteil: Religiöse Motive sollen künftig als "Erschwerungsgründe"
gelten, womit die Gerichte gehalten wären, tendenziell höhere Strafen zu
verhängen. Zusätzliche Straftatbestände oder höhere Strafrahmen etwa gegen "Ehrenmorde"
soll es aber nicht geben, wie die Ministerin gegenüber der APA betonte: "Mord
bleibt Mord - mehr als lebenslänglich kann nicht verhängt werden."
Vermischung von Religion und Strafrecht
Die SPÖ lehnt die
Vermischung von Religion und Strafrecht allerdings ab. Zwar betont auch
Justizsprecher Hannes Jarolim, dass religiöse Motive nicht strafmildernd
wirken dürfen. Er sieht das allerdings durch den Erlass des Ministeriums
ausreichend sichergestellt. Eine gesetzliche Strafverschärfung für Täter mit
religiösen Motiven lehnt er ab. "Staat und Religion sind zwei Paar
Schuhe. Religion spielt keine Rolle, es gelten die Gesetze", deponiert
Jarolim. Er fordert Bandion-Ortner stattdessen auf, das umstrittene
Anlass-Urteil zur Abklärung zum OGH zu schicken.
Religion als "Teil der Lösung"?
Kritik am Plan
Bandion-Ortners kommt auch von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in
Österreich (IGGiÖ). "Taten wie Zwangsheirat, Ehrenmord oder
weibliche Genitalverstümmelung sind auf keinen Fall religiös zu legitimieren",
betonte deren Sprecherin Carla Amina Baghajati. Im Gegenteil müssten
derartige Probleme auch mit religiösen Argumenten bekämpft werden. Die
Religion sei daher nicht das Problem, sondern "ein Teil der Lösung".
Baghajati schlägt daher vor, statt "religiös bedingter"
den Begriff "traditionsbedingte Gewalt" zu verwenden.
Opposition gespalten
Die Opposition ist in der Frage gespalten:
FPÖ und BZÖ begrüßen den Vorstoß Bandion-Ortners grundsätzlich. Allerdings
fordert die FPÖ mehr betreute Wohnungen für scheidungswillige Migrantinnen,
das BZÖ will auch die "Herabwürdigung religiöser Lehren"
strenger bestrafen. Die Grünen lehnen die Hereinnahme religiöser Motive in
das Strafrecht dagegen ab: "Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein
kaltblütiger Mord aus Rache eines Österreichers anders beurteilt werden
soll, als ein Mord eines Türken, der vielleicht aus falschen
Ehrvorstellungen gehandelt hat."