ÖSTERREICH-Interview

Riess-Passer: "Was 2000 wirklich lief"

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Exakt 10 Jahre nach der von wütenden Protesten begleiteten Angelobung erinnert sich die FPÖ-Vizekanzlerin.

ÖSTERREICH: Sie haben nie in Interviews oder in einem Buch die Bilanz von Schwarz-Blau gezogen. Warum nicht?
SUSANNE RIESS-PASSER: Es ist ohnehin alles bekannt, und meine persönliche Befindlichkeit würde ich gerne für mich behalten. Ich sehe die schwarz-blaue Regierungszeit heute so wie alte Kriegsveteranen, die an ihre alten Schlachten denken. Man wird sentimental, erinnert sich gern – aber die Dinge sind abgeschlossen. Das Kapitel Politik ist für mich beendet – ein für alle Mal. Ich gebe dieses Interview auch nur, damit nicht der Eindruck entsteht, dass ich mich für diese Regierungszeit genieren würde – ich bin im Großen und Ganzen stolz darauf, was wir geleistet haben in diesen zwei Jahren Regierungszeit – obwohl wir natürlich auch Fehler gemacht haben.

ÖSTERREICH: Sind Sie mit Schwarz-Blau gescheitert?
RIESS-PASSER: Ich betrachte mich insofern als gescheitert, als ich gerne bewiesen hätte, dass die FPÖ dauerhaft regierungsfähig ist, dass sie das Land auch nachhaltig verändern kann – dass die FPÖ Österreich die Reformen bringen kann, die das Land so dringend braucht. Da bin ich gescheitert – an der FPÖ, an Haider, an Knittelfeld.

ÖSTERREICH: Sie sind in diese Regierung gegangen nach einem triumphalen Wahlsieg. Unter ihrer Führung erreichte die FPÖ 1999 fast 27 Prozent und Platz 2.
RIESS-PASSER: Es war Haiders Wahlsieg – er war das Gesicht nach außen, ich habe die Partei nach innen organisiert. Haider wollte vom Tag des Wahlsiegs weg in die Regierung – ich war dagegen. Meine Meinung war: Die FPÖ ist für die Regierung noch nicht bereit, wir müssen uns erst vorbereiten, Strukturen und Inhalte aufbauen. Haider hat gesagt: Das ist die einmalige Chance zur Regierung – wir siegen uns sonst zu Tode.

ÖSTERREICH: Wie kam es dann zu Schwarz-Blau? Wie hat es Haider geschafft, die ÖVP aus der Großen Koalition loszueisen?
RIESS-PASSER: Man hat gespürt: SPÖ und ÖVP können nicht mehr miteinander. Und am Beginn der ganzen Geschichte stand eigentlich ein Angebot der SPÖ. Die SPÖ hat bei uns vorgefühlt, ob wir eine Minderheitsregierung der SPÖ unterstützen würden. Das Angebot war: Wir tolerieren eine SPÖ-Minderheitsregierung, sie geben uns zwei unabhängige Minister, machen uns international salonfähig und nach einem Jahr kann man über eine echte Koalition Rot-Blau reden. Das war dem Jörg zu wenig und er hat begonnen, bei der ÖVP für eine echte Koalition vorzufühlen. Dann ging alles ganz schnell. Die ÖVP hat von der SPÖ den Finanzminister gefordert, die haben Nein gesagt. Haider hat öffentlich gesagt, er steht zur Verfügung. Und das war der Start.

ÖSTERREICH: Wie sind Sie zur Vizekanzlerin geworden?
RIESS-PASSER: Ich wollte immer, dass Haider den Vizekanzler selbst macht. Er wollte in Kärnten bleiben, erst bei der nächsten Wahl als Kanzler nach Wien gehen. Daraufhin hat er im Gespräch mit Schüssel den Herbert Scheibner und mich als mögliche Vizekanzler genannt. Es war witzig: Schüssel wollte Scheibner, weil er ihn aus dem Parlament gut kannte. Das hat den Jörg so misstrauisch gemacht, dass er gesagt hat: Wenn der Schüssel unbedingt den Scheibner will, dann muss es die Susanne machen. So war der Jörg – misstrauisch vom Start weg.

ÖSTERREICH: Wie haben Sie Schüssel erlebt?
RIESS-PASSER: In meinem Erleben war Schüssel der mit Abstand beste Politstratege in Österreich. Er ist immer perfekt vorbereitet, plaudert nicht, sondern kommt wie ein Schachspieler Zug um Zug rasch zum Ergebnis. Unsere Annäherungsphase war nicht einfach …

ÖSTERREICH: … weil er dachte, er trickst Sie aus?
RIESS-PASSER: So ähnlich. Man muss sich seinen Respekt erarbeiten – aber dann war er ein loyaler Partner.

ÖSTERREICH: Heute vor zehn Jahren – am 4. 2. 2000 – sind Sie auf der Flucht vor Tausenden Demonstranten durch einen unterirdischen Gang zur Angelobung in die Hofburg marschiert. War das ein tragischer Auftakt?
RIESS-PASSER: Tragik ist zu viel gesagt, aber ich war damals sehr verärgert, weil ich unbedingt oben über den Ballhausplatz gehen wollte – Demonstranten hin oder her. Man hat uns gesagt: „Ihr müsst durch den Tunnel.“ Und ich sagte wütend: „Nein, ich gehe niemals durch den Tunnel.“ Dann kam der Chef der Stadtpolizei und hat mich regelrecht angefleht: „Nehmen Sie Rücksicht auf die Gesundheit meiner Polizisten, es wird Verletzte geben, helfen Sie uns.“

ÖSTERREICH: Dann kamen sofort die Sanktionen der EU. War das ein Schock?
RIESS-PASSER: Ich wusste, irgendwas kommt, der Eklat mit der EU lag in der Luft. Das hat sich hochgeschaukelt, völlig irrational und durchaus auch mit dem Zutun einiger Protagonisten aus Österreich.

ÖSTERREICH: Wie haben Sie den Regierungsstart erlebt?
RIESS-PASSER: Sehr turbulent. Ich hatte so wahnsinnig viel zu arbeiten, bin gar nicht zum Nachdenken gekommen. Ich musste in Tag- und Nachtarbeit ein Team aufbauen, die Infrastruktur, die Abläufe der Regierung – wir haben in Rekordzeit das Budget saniert, die Pensionsreform geschafft, das Kindergeld eingeführt. Und das alles unter dem Trommelfeuer der Medien, die Tag für Tag geschrieben haben, das ist die grässlichste, peinlichste Regierungsmannschaft aller Zeiten, eine Buberl-Partie, Haiders Sekretärin regiert Österreich, das Land geht kaputt.

ÖSTERREICH: Wie war das Verhältnis zu Haider?
RIESS-PASSER: Am Anfang der Regierungszeit groß­artig. Er hat uns als Regierungsteam öffentlich verteidigt, hat im Hintergrund die Fäden gezogen als Parteiobmann und im Koalitionsausschuss. Der Bruch kam aber schon nach einem Jahr bei der Wienwahl. Die FPÖ hat sieben Prozent verloren. Haider, der sich im Wiener Wahlkampf gegen meinen Rat besonders heftig engagiert hat, ist plötzlich auf Konfrontation mit mir gegangen und hat mir öffentlich vorgeworfen, dass wir als schwarz-blaue Regierung eine „Politik ohne Herz“ machen. Das war der Punkt, wo ich zum ersten Mal gesagt habe: Gut, dann mach’ es selber!

ÖSTERREICH: Warum der Krach?
RIESS-PASSER: Es war eigenartig: Je professioneller wir in der Regierung geworden sind, je besser die persönlichen Umfrage­werte von Grasser und mir wurden, umso stärker wurde der Druck von ihm und von der Partei. Ich habe immer appelliert: Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren, halten wir zusammen. Aber die FPÖ war immer weniger bereit, die nötigen unpopulären Maßnahmen zu beschließen, die eine gute Regierung treffen muss. So lief es schon nach einem Jahr hinter den Kulissen der FPÖ auf den Crash hinaus, und irgendwann war diese Entwicklung nicht mehr zu bremsen.

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