Ein Opferpsychologe berichtet von "Schlägen, Demütigungen und Erniedrigungen". Die Selbsthilfeplattform sucht jetzt nach geistlichen Serientätern.
Entschuldigungen und Demutsgebete alleine reichen der Selbsthilfe-Plattform "Betroffene kirchlicher Gewalt" nicht. Die Protagonisten prüfen deshalb, ob und in welcher Form die katholische Kirche auch rechtlich belangt werden kann. Der Wiener Anwalt Werner Schostal hält eine Klage "theoretisch" für möglich. Die Plattform verzeichnete seit Einrichtung der Hotline vergangenen Dienstag 150 Anrufer und appelliert an Betroffene, sich zu melden, um mögliche "Serientäter" aufzudecken.
Sammelklage nur über Trick möglich
Eine Sammelklage,
wie man sie aus anderen Ländern kennt, ist juristisch in Österreich nicht
möglich, erklärte Schostal. Infrage käme eine Klagshäufung oder die Klage
mittels eines Vereins. Nur über ein derartiges Konstrukt sei eine
Sammelklage möglich. Die Opfer treten ihre Ansprüche an den Verein ab, der
dann klagslegitimiert ist.
"Sadismus" an der Tagesordnung?
Die Hotline der
Plattform, erreichbar unter 0699/10369369, biete Beratung, sammelt
gemeinsame Anliegen und vernetzt Betroffene, wenn das gewünscht wird. "Wir
haben das Gefühl, auf einer Zeitreise zu sein. Wir bekommen täglich einen
lebendigen Einblick in Erziehungsmethoden römisch-katholischer Institutionen
des Österreichs der 60er- und 70er-Jahre", erklärte der Psychologe
Holger Eich. Rund zwei Drittel der dort gemeldeten Fälle stammen aus jener
Zeit, manche Fälle reichen aber auch bis in die Jetzt-Zeit. "Schläge,
Demütigungen und Erniedrigungen", Eich fasst dies unter "Sadismus"
zusammen.
Viele wollen gar kein Geld
34 Prozent der Anrufer berichteten
laut Eich von sexuellen Übergriffen, 23 Prozent von seelischer Gewalt. In
rund zwei Drittel der Betroffenen handelte es sich um Burschen, bei einem
Drittel um Mädchen - zum damaligen Zeitpunkt. Drei Viertel der vorgeworfenen
Taten wurden von Männern verübt. "Den meisten geht es nicht
darum, aus dem, was ihnen widerfahren ist, Geld zu machen", betonte
Eich. Viele würden lediglich darüber sprechen und ihre Erfahrung deponieren
wollen. Etlichen gehe es auch darum, zu erfahren, ob andere Opfer vom selben
Pfarrer oder der selben Ordensfrau als Täter berichtet haben.
Plattform sucht "Serientäter"
Ein Hauptziel der
Plattform sei es deshalb herauszufinden, ob es "Serientäter"
über einen längeren Zeitraum hinweg gibt, so Eich. Dies wäre nicht zuletzt
für die Verjährungsfrist von Bedeutung. Anwalt Schostal zweifelt daran, ob
die Verjährung menschenrechtskonform ist: "Angesichts der immer
noch bestehenden psychischen Schäden sind Verjährungsfristen infrage zu
stellen." Er möchte auch die Mitverantwortung von Papst Benedikt XVI.
geprüft wissen.
Zu Klasnic-Kommission "null Vertrauen"
Die neue, von
der früheren Landeshauptfrau Waltraud
Klasnic geleitete Kirchenkommission lehnt die Plattform ab, denn diese
sei "kirchennah". Der Betroffene Klaus Fluch betonte, dass er sich "nicht
mit der kleinsten Frage" an diese Stelle wenden würde: "Zu
kirchlichen Institutionen habe ich null Vertrauen."
Psychotherapeut Manfred Deiser formulierte die Forderungen der Plattform "Betroffene kirchlicher Gewalt". So sollen etwa eine unabhängige staatliche Kommission nach irischem Vorbild und ein kirchenunabhängiger Fonds gegründet werden. Die Kosten für Psychotherapie sollen übernommen und die Opfer "angemessen" entschädigt werden. Alle Verdachtsfälle sollen an die Justiz weitergegeben und die Kirchenarchive für die Staatsanwaltschaft geöffnet werden, erklärte Deiser.