Die Bildungsministerin über die neue Schule, Rot-Grün und ihre Zukunft.
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Es war eine gute Woche für Claudia Schmied. Die Bildungsministerin ist spürbar gut gelaunt beim ÖSTERREICH-Interview. Grund ist die prinzipielle Einigung über die Ganztagsschule. Gerade hat sie sich telefonisch mit dem VP-Landeshauptmann von Vorarlberg, Markus Wallner, auf eine gemeinsame Vorgangsweise geeinigt, den Tiroler Günther Platter weiß sie bereits auf ihrer Seite. Schon in der kommenden Woche werden die Weichen für den Ausbau der Ganztagsbetreuung in Pflichtschulen von 119.000 auf 200.000 Schüler gelegt.
Verschränkt
Schmied weiß natürlich, dass das nur ein Etappensieg ist. Ihr genügt die Nachmittagsbetreuung nicht, sie will die komplette Ganztagsschule mit dem „verschränkten Angebot“. Soll heißen: Die Kinder verbringen acht Stunden in der Schule, nach dem Unterricht wird mit den Lehrern gelernt, Hausaufgaben gemacht, aber auch entspannt (siehe Stundenplan). Die geforderte „tägliche Turnstunde“ soll so möglich werden. An bisher 100 Standorten wird bereits so gearbeitet. Geht es nach Schmied, soll das bald flächendeckend angeboten werden.
ÖSTERREICH-Interview mit Claudia Schmied:
"Rot-Grün kann ich mir nach der Wahl gut vorstellen"
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ÖSTERREICH: Wir haben „Ganztagsschule ist jetzt fix“ getitelt. Zu früh gefreut?
Claudia Schmied: Nein, ich freu mich ja auch sehr. Es ist sehr viel Bewegung in die Diskussion gekommen. Das ist positiv und jetzt gehen wir in die nächste Etappe.
ÖSTERREICH: Aber versteht die ÖVP unter Ganztagsschule das Gleiche wie Sie?
Claudia Schmied: Es gibt zwei Ausprägungen. Die eine ist die Nachmittagsbetreuung, die andere – mein Ideal – ist die verschränkte Ganztagsschule. Dabei wird der gesamte Tag durch eine optimale Abwechslung von Unterricht, Lernen und Freizeit möglichst attraktiv gestaltet. Da muss aber die ganze Klasse mitmachen.
ÖSTERREICH: Die ÖVP will aber vorerst nur die Nachmittagsbetreuung.
Claudia Schmied: Nein, die ÖVP ist für breitere Angebote. Die Nachmittagsbetreuung ist oft auch ein guter Einstieg in die Ganztagsschule. Es werden auch in der ÖVP immer mehr, die die Schulentwicklung positiv sehen – bis hin zur gemeinsamen Schule. Tirols Landeshauptmann Platter oder die Vertreter der Wirtschaft. Viele Bürgermeister wissen, dass eine gute Ganztagsschule im Ort bereits ein Standortfaktor ist. Für Betriebsansiedlungen, genauso wie für die Bürger.
ÖSTERREICH: Aber all das nützt nichts, wenn die Lehrer nicht mitmachen...
Claudia Schmied: Derzeit ist es ja so, dass zwei Drittel der Lehrer und zwei Drittel der Eltern der betroffenen Klassen zustimmen müssen. Ich sehe es aber ähnlich wie Landeshauptmann Platter, dass die Zustimmung der Eltern reichen sollte. Wir werden auch die Lehrer überzeugen. An den Standorten, die das klassenweise jetzt schon leben, sind alle begeistert: Schüler, Eltern und Lehrer. Die wollen gar nicht mehr tauschen.
ÖSTERREICH: Die Ganztagsschule kostet erheblich mehr...
Claudia Schmied: Ja, dazu muss man nicht in Harvard gewesen sein...
ÖSTERREICH: Woher soll das Geld kommen?
Claudia Schmied: Aus dem Budget. Wichtig ist, dass wir eine dauerhafte Finanzierung haben. Daher meine negative Reaktion auf den ÖVP-Vorschlag, man solle Privatisierungserlöse nehmen.
ÖSTERREICH: Erbschaftssteuer wiedereinführen?
Claudia Schmied: In diese Diskussion möchte ich mich nicht einlassen. Wichtig ist eine langfristige Lösung.
ÖSTERREICH: Eine Frage, die Sie vielleicht nervt: Gibt’s ein neues Lehrerdienstrecht vor der nächsten Wahl?
Claudia Schmied: Das muss vor der nächsten Wahl etwas werden. Wir brauchen ein zeitgemäßes Dienstrecht – auch zur Umsetzung der vielen Schulentwicklungsprojekte und für eine attraktive Entlohnung der Lehrer. Außerdem wäre es ein idealer Zeitpunkt für ein neues Dienstrecht, weil wir bei den Lehrern vor einem Generationswechsel stehen. Aber es ist zweifellos so, dass sich die ÖVP in einem Rollendilemma befindet. Auf der einen Seite vertritt sie die Dienstgeberseite, auf der anderen Seite will sie eine wichtige Wählergruppe aus dem Bereich der Lehrergewerkschaft nicht vergrämen. Und es ist wichtig, dass die Regierung hier gemeinsam als Dienstgeber vorgeht – sonst endet das für Ministerin Heinisch-Hosek und für mich in der Abseitsfalle. Und was es bedeutet in der Abseitsfalle der Lehrergewerkschaft zu landen, haben wir 2009 erlebt. Das soll ein einmaliges Erlebnis bleiben...
ÖSTERREICH: Sie sind also optimistisch, können aber nichts garantieren..
Claudia Schmied: Völlig richtig. Weil es nicht allein in meiner Macht liegt. Schade, aber es ist so.
ÖSTERREICH: Wenn sich die ÖVP in Sachen Bildung bewegt, sollte das die SPÖ bei den Studiengebühren auch tun?
Claudia Schmied: Ich finde es gut, dass verhärtete Fronten aufbrechen. Da wie dort. Dass wir in der SPÖ jetzt unaufgeregt über Kapazitäten sprechen, dass man Studienplatzfinanzierung offensiv angeht, dass es eine Arbeitsgruppe zum Thema Studiengebühren gibt – das sind notwendige Schritte.
ÖSTERREICH: Persönlich würden Sie es für sinnvoll halten?
Claudia Schmied: Bei einem Thema, bei dem es Parteitagsbeschlüsse gibt, will ich nicht mit eigenen Meinungen vorpreschen. Aber ich finde es gut, dass es ernsthaft diskutiert wird.
ÖSTERREICH: Täuscht der Eindruck oder ist tatsächlich nach einer langen Zeit der Stagnation die Bildungspolitik in Bewegung geraten?
Claudia Schmied: Ich glaube ganz fest an das Gesetz der Physik: Keine Energie geht verloren. Wenn man viel intellektuelle Energie in ein Thema investiert, stellt sich der Erfolg früher oder später ein. Und ich denke, dass der Mut zur Gleichzeitigkeit richtig war – möglichst viele Projekte gleichzeitig anzugehen – von den kleineren Klassen, zu Bildungsstandards, neue Matura, Oberstufenreform, NMS als Regelschule bis Ganztagsschule. Immer vorwärts mit den Pferden, immer in Bewegung ...
ÖSTERREICH: Sie klingen so optimistisch und ich will Sie nicht runterholen. Aber von der Gesamtschule z. B. sind Sie noch weit entfernt.
Claudia Schmied: Die gemeinsame Schule bleibt unser großes Ziel. Mit den Maßnahmen Neue Mittelschule und zur Ganztagsschule kommen wir diesem Ziel wieder ein Stück näher. Ich spüre, dass die Zeit dafür auch bei uns reif wird ...
ÖSTERREICH: Spüren Sie auch einen Zeitrahmen?
Claudia Schmied: Da ist zunächst noch eine Wahl dazwischen. Von der hängt ab, wie sich die nächste Regierung zusammensetzt. Bei einer Beteiligung der Grünen ginge alles vielleicht ein bisschen zügiger ...
ÖSTERREICH: Rot-Grün wäre eine Wunschoption?
Claudia Schmied: Ja – vor allem, wenn ich an meine Themengebiete denke, kann ich mir das gut vorstellen, aber auch eine offensivere ÖVP.
ÖSTERREICH: Wie gefällt Ihnen Rot-Grün in Wien?
Claudia Schmied: Einmal abgesehen vom Parkpickerl, das jetzt alles überlagert, finde ich es richtig und wichtig, dass diese Konstellation gewählt wurde.
ÖSTERREICH: Frage an die Kulturministerin: Ist Ihr Konflikt mit Regisseur Haneke beigelegt?
Claudia Schmied: Ich habe Herrn Haneke einen persönlichen Brief geschrieben und ihn zuletzt auch im Kino getroffen. Er war halt enttäuscht, dass kein Regierungsvertreter in Cannes war, als er für Amour ausgezeichnet wurde. Nur: Auch wenn es reizvoll gewesen wäre, nach Cannes zu fliegen, gibt es immer wieder Terminkollisionen – und es ist sich leider nicht ausgegangen. Ich gehe davon aus, dass Haneke nicht so nachtragend ist. Auf der anderen Seite sehe ich es auch positiv, dass ich ihm offensichtlich abgegangen bin.
ÖSTERREICH: Haben Sie zuletzt einen Film gesehen, der Sie besonders bewegt hat? „Amour“ gilt jetzt nicht.
Claudia Schmied: Oh ja, da muss ich darauf bestehen. Amour hat mich wirklich sehr berührt. Vor allem, wenn man selbst Eltern in diesem Alter hat, ist das ein sehr bewegender Film.
ÖSTERREICH: Wie sehen Sie Ihre berufliche Zukunft nach dem Herbst 2013?
Claudia Schmied: Ich kann nur sagen, wo ich sie sehen würde: Hier am Minoritenplatz! Ich würde gerne eine Legislaturperiode weitermachen. In der Schule ist so viel in Bewegung. Da möchte ich schon gestaltend dabei sein.