OECD-Bildungsbericht
Schulsystem hat 5 gravierende Schwächen
02.07.2009
Laut OECD ist es im Wesentlichen teuer, unflexibel und ineffizient.
Während die Schüler noch bis morgen bzw. nächste Woche auf ihr Zeugnis warten müssen, erhielt die österreichische Bildungspolitik ihre verbale Beurteilung bereits am Donnerstag - in Form eines umfangreichen Bildungskapitels im OECD-Wirtschaftsbericht. Die Leiterin des OECD-Bildungsbereichs, Barbara Ischinger, lobte zwar das "ambitionierte Programm" zur Reform des Bildungswesen. Gleichzeitig stellt die OECD im Schulsystem aber "gravierende Schwächen" in fünf Bereichen fest.
Mängel in 5 Punkten
In folgenden "Fächern"
hat das Schulsystem das Klassenziel nicht erreicht: Die im internationalen
Vergleich nur durchschnittlichen Leistungen österreichischer Schüler, die
Abhängigkeit des Bildungssystems von der Unterstützung der Eltern, die frühe
Trennung von Kindern in verschiedene Schulformen, die schlechten Leistungen
von Kindern mit Migrationshintergrund sowie die geringe Studentenquote.
Teuer, unflexibel und abhängig
Die OECD bezeichnet das
Schulsystem als "hochregulierten und teuren öffentlichen Dienst, dessen
Personal und andere Ressourcen schwierig umzuverteilen sind, dessen
Management mehr input- als output-orientiert ist und wo politische
Entscheidungen von mächtigen Interessensgruppen abhängen".
Mehr als viele andere OECD-Länder stehe Österreich "vor der
Herausforderung, sein Erziehungssystem neu erfinden zu müssen".
Früher in Kindergärten
Die OECD empfiehlt, das Angebot
für die vorschulische Erziehung, also Kindergärten, weiter auszubauen und
gleichzeitig für Kinder ab drei Jahren die Teilnahme zu erhöhen. "Dieses
Angebot sollte sich auf Kinder aus sozial benachteiligten Familien und
solche mit Migrationshintergrund konzentrieren", so Ischinger. Weiters
rät die OECD von der extrem frühen Trennung der Schüler in Hauptschule und
Gymnasium im Alter von zehn Jahren abzugehen und die Entwicklung der "Neuen
Mittelschule" zu fördern.
Kostenneutrale Reform
Die dafür nötigen Ressourcen an
Lehrkräften und Schulinfrastruktur sollte bereitgestellt werden, wobei diese
Mittel laut Ischinger "angesichts sinkender Schülerzahlen zu einem
großen Teil durch einen effektiveren Einsatz der Lehrkräfte und durch eine
Anpassung der Schulinfrastruktur aufgebracht werden könnte".
Studiengebühren richtig
Schließlich sollte, so die
Empfehlung in dem Bericht, den Universitäten erlaubt werden, sich ihre
Studenten auszusuchen und Studiengebühren einzuheben, wobei die
Benachteiligung sozial Schwächerer durch entsprechende Förderungen vermieden
werden sollten. "Auch wenn die Öffentlichkeit in Österreich bisher
Studiengebühren skeptisch gegenüber steht, ist es schwer vorstellbar, wie
die Zahl der Studienplätze bei gleicher Qualität ohne die Einführung von
Gebühren erhöht werden soll", so Ischinger.
In anderen Ländern würden Studiengebühren damit gerechtfertigt, dass Hochschulabsolventen erhebliche Renditen aus ihrer Ausbildung ziehen, etwa in Form höherer Einkommen oder einem geringeren Arbeitslosigkeits-Risiko. Für Ischinger könnten damit "Studiengebühren dazu beitragen, dass Gering- und Durchschnittsverdiener in geringerem Umfang durch ihre Steuern das Uni-Studium zukünftiger Spitzenverdiener finanzieren müssen".
Hohe Pro-Kopf-Ausgaben
Einmal mehr wird auf die hohen Ausgaben
pro Schüler bzw. Student hingewiesen, die zu den höchsten im OECD-Raum
gehören. Dagegen seien die Bildungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt
nahe dem OECD-Durchschnitt. Auf der anderen Seite ist im Bericht von
"Überkapazitäten" die Rede, die sich im Schulsystem aufgebaut hätten.
Allerdings seien diese Ressourcen nicht sehr beweglich und somit schwer
anderweitig einzusetzen.
Mini-Klassen
Die größten Überkapazitäten in der
Schulinfrastruktur seien demografisch verursacht. In allen Altersgruppen
würden die Schülerzahlen sinken, was "Anpassungen in Größe und Verteilung
der Schulinfrastruktur in Form von Räumen und Lehr-Kapazität erfordert". So
gibt es vor allem an Volks- und Hauptschulen sowie an Berufs- und
berufsbildenden Schulen zahlreiche Klassen, die deutlich unter der von der
OECD empfohlenen Klassengröße von 25 Kindern liegen.
Mini-Schulen
Kritik kommt auch an Kleinschulen in Österreich,
viele Schulen hätten weniger als 200 Schüler, was von der OECD als optimale
Schulgröße angesehen wird. Vor allem im Volksschulbereich ist der weitaus
überwiegende Teil unterhalb dieser Größe. Die OECD ortet hier "Spielraum für
Anpassungen".
Lehrer machen nichts oder Bürokratie
Weitere
"Überkapazitäten" sieht die OECD bei den Lehrern. Hier gebe es einen nicht
zu vernachlässigenden Anteil, der "unterbeschäftigt" erscheine. Gleichzeitig
würden die Personalaufwendungen mit 70 Prozent der gesamten Kosten im
Pflichtschulbereich über dem OECD-Schnitt von 63 Prozent liegen. Viele
Lehrer wären zudem mit unterrichtsfremden Aufgaben befasst, etwa in der
Administration.
Schmied fühlt sich bestätigt
SPÖ-Unterrichtsministerin
Claudia Schmied sieht sich in ihren Reformvorhaben "gestärkt und gestützt".
Den von der OECD festgestellten großen Einfluss von Interessensgruppen wie
Gewerkschaft oder Bundesländern könne sie "aus eigener Erfahrung
bestätigen". Es sei ein "Faktum, dass die faktenbasierte Bildungspolitik
dort an ihre Grenzen stößt, wo sie an den Macht- und Einflussbereich von
Interessensgruppen stößt". Umso wichtiger wäre hier ein "starker politischer
Konsens der Bundesregierung".
Hahn hat ebenfalls Recht
Für ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes
Hahn decken sich die Empfehlungen der OECD im Tertiärbereich - Einführung
von Studiengebühren und Auswahlverfahren - mit seinen Überlegungen, "das
wird irgendwann zu diskutieren sein. Man sollte den OECD-Bericht als
Grundlage für eine Diskussion "frei von Ideologie" darüber hernehmen.
In dieser Hoffnung machte ihm allerdings der Koalitionspartner gleich einen Strich durch die Rechnung: Obwohl sie den Bericht insgesamt als wichtige Grundlage für bildungspolitische Vorgaben bezeichnete, schloss Schmied aus, dass die SPÖ den Empfehlungen nach Studiengebühren und Aufnahmeverfahren folgen könnte: "Ich kann mir das nicht vorstellen", was Hahn nüchtern mit "Sie sehen, wir haben noch Diskussionsbedarf" quittierte. Und SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder meinte, dass sich eine Partei nicht von der OECD ihr Programm schreiben lasse und diese SP-Entscheidung gegen diese Maßnahmen die "Freiheit ist, die sich die Politik nimmt".