"Sieg Heil"-Sager
Skinhead-Causa geht ans Gericht
05.05.2010
Der Staatsanwalt gibt die heiße Kartoffel an die weisungsfreie Richterin ab. Es geht um mögliche Wiederbetätigung und Anstiftung durch einen ORF-Redakteur.
Im Zusammenhang mit dem Wiederbetätigungsverfahren, das nach einer ORF-"Am Schauplatz"-Reportage gegen zwei jugendliche Skinheads und den ORF-Redakteur Eduard Moschitz als möglichen Bestimmungstäter geführt wird, hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt die weiteren Ermittlungen an das Landesgericht Wiener Neustadt abgetreten. Ausschlaggebend für diese ungewöhnliche Entscheidung, die vom Justizministerium bereits genehmigt wurde, ist das besondere öffentliche Interesse an dem Fall.
Richter weisungsfrei
Die Strafprozessordnung sieht vor, dass die
an sich dafür zuständige Staatsanwaltschaft Beweisaufnahmen durch einen
unabhängigen Richter zu beantragen hat, wenn die Bedeutung der
aufzuklärenden Straftat und die Person des Tatverdächtigen ein über das
übliche Ausmaß hinausgehendes mediales Echo erwarten lassen. Während
Staatsanwälte an Weisungen gebunden sind, agieren Richter völlig
weisungsfrei. In besonders glamourösen Fällen werden daher im
Ermittlungsverfahren ausnahmsweise Richter für die Aufnahme von Beweisen
herangezogen, um nach außen hin die völlige Unbefangenheit des
Ermittlungsleiters zu signalisieren.
"Bedeutsame Straftat"
Im gegenständlichen Fall liegt
nach übereinstimmender Ansicht von Staatsanwaltschaft,
Oberstaatsanwaltschaft (OStA) und Justizministerium eine bedeutsame mögliche
Straftat vor: Es steht der Verdacht im Raum, die beiden Skinheads, die vom
ORF unter anderem zu einer Veranstaltung von FPÖ-Obmann Heinz-Christian
Strache begleitet wurden, könnten sich dabei im nationalsozialistischen Sinn
wiederbetätigt und damit gegen das Verbotsgesetz verstoßen haben. Vor allem
aber wird der ORF-Redakteur Moschitz verdächtigt, die Jugendlichen zu "Sieg
heil!"-Rufen angestiftet zu haben, "um seine Reportage lebendig
zugestalten", wie es im an sich geheimen, von der OStA und dem Ministerium
abgesegneten Vorhabensbericht der Staatsanwaltschaft heißt, in dem sich
diese dafür ausgesprochen hat, in diesem Fall vorerst nicht weiter tätig zu
werden.
ORF soll Rohmaterial rausrücken
Dort wird auf Basis einer
von der FPÖ eingebrachten Anzeige weiters der aufzuklärende Verdacht
geäußert, der ORF könnte "allenfalls Beweismittel vernichtet haben", weshalb
weiter darauf gepocht wird, dem ORF zu Beweissicherungszwecken das gesamte
Filmmaterial abzuverlangen und nicht nur die ausgestrahlte Reportage sowie
die bereits sichergestellte Kassette mit Rohmaterial vom Dreh der
FPÖ-Veranstaltung.
Preisgekrönter Moschitz
Auch die Person des ORF-Redakteurs
macht es nach Ansicht der Justizbehörden notwendig, die Ermittlungen einem
unabhängigen Gericht zu überlassen. Im staatsanwaltschaftlichen
Vorhabensbericht wird Moschitz als "Gallionsfigur eines kritischen
Journalismus" bezeichnet und darauf verwiesen, dass mehrere seiner Beiträge
im In- und Ausland mit Preisen ausgezeichnet worden sind.
Frisch gebackene Richterin
Damit liegt es in der Hand einer
jungen, erst am vergangenen Montag am Landesgericht Wiener Neustadt zur
Richterin ernannten Juristin, in dieser delikaten Causa die weiteren
Ermittlungsschritte zu setzen und unter anderem darüber zu entscheiden, ob
das Redaktionsgeheimnis den ORF vor der Beschlagnahme der über das der
Justiz bereits zur Verfügung gestellte Material hinausgehenden Daten schützt
oder die umfassende Sicherstellung geboten und notfalls mit Beugemaßnahmen
durchzusetzen ist. Der ORF verweigert die Herausgabe von weiterem
Drehmaterial unter Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis, die Vorwürfe von FPÖ
und Ermittlungsbehörden hat der öffentlich-rechtliche Sender vehement
zurückgewiesen.
Am Ende der Ermittlungen hat die Richterin das zusammengetragene Beweismaterial der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zu übermitteln. Diese hat das Material zu sichten, rechtlich zu würdigen und darüber zu entscheiden, ob gegen die Verdächtigen Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird. Bis es so weit ist, dürften mit Sicherheit noch einige Monate ins Land ziehen.