In einem Comuniqué beschreibt Daniel Simon von "Amicale Mauthausen", selber Opfer der Neonazi-Attacke, wie er die Vorfälle erlebt hat.
Am Samstag, den 9. Mai war wie jedes Jahr seit 1948 am Gelände des ehemaligen NS-Lagers Ebensee, Nebenlager von Mauthausen (Österreich), eine Delegation der Amicale de Mauthausen anwesend, um neben anderen Erinnerungsverbänden aus mehreren europäischen Ländern dem 64. Jahrestag der Befreiung des Lagers zu gedenken: Frankreich war repräsentiert durch 8 Überlebende, ca. weitere 50 Personen und – dieses Jahr – von Schülern und dem Bürgermeister von Triel-sur-Seine. Auf uns sollten dort Neonazis warten.
Am Ende eines riesigen – von den Deportierten gegrabenen – und für die Öffentlichkeit zugänglich gemachten Stollens fand die Provokation und Aggression statt. Auf der anderen Seite der Mauer, an der ein Gitterfenster den Zutritt zum damals nicht fertiggestellten Abschnitt des Stollens verhindert, zogen in Schwarz gekleidete Gestalten mit Vermummung und einer Waffe , die nach einer Maschinenpistole aussah, in kurzen Abständen von einem Querstollen kommend im Stechschritt und den Hitlergruß zeigend vor uns vorbei.
Die Inszenierung war von Schüssen begleitet, die Richtung Fenster abgefeuert wurden; Plastikkugeln, von denen mich eine an der Schläfe traf, wenig später einen anderen Franzosen der Gruppe an der Wange. Fassungslos und bestürzt, während die Provokation andere Personen der italienischen Delegation zum Fenster lockt, verlassen wir die Stelle und nehmen dabei von den Vermummten kommende Beschimpfungen wahr.
Am Gedenkort angekommen – an der Stelle eines Massengrabes ein paar Hundert Meter entfernt - benachrichtigen wir die Organisatoren über das, wovon wir gerade Zeugen und Opfer wurden. Sie verständigen sogleich die Polizei. Wir nehmen ganz gewöhnlich an der Zeremonie teil, wie an jenen, die an anderen Orten in den darauffolgenden Tagen folgen sollten.
Der symbolisch auf die Vereinigung der Deportierten verübte Angriff provoziert in Österreich emotionale Reaktionen, die ziemlich außergewöhnlich sind. Ein Kommuniqué der Innenministerin, breites Echo in den Medien. Nur handelt sich um kein isoliertes Ereignis: alles scheint darauf hinzudeuten, dass sich der zunehmende Druck der rechtsextremen Gruppierungen, einige davon explizit neonazistisch, sich in einer Gesellschaft einschreibt, die lange Zeit brauchte und noch immer Schwierigkeiten hat, alte Verdrängungen und politische Ambiguitäten aufzubrechen. Aber, wenn es zwar österreichische Besonderheiten gibt, die politische Landkarte Europas birgt andere beunruhigende Herde.
Die Polizei hat die Verhaftung von mehreren Personen verlautbart: sehr junge Leute. Soll so sein. Doch die Operation war genau vorbereitet, die Stelle und der Zeitpunkt kalkuliert, die Szenenabfolge durchdacht. Der Hypothese einer inkonsequenten Köpfen entstammenden improvisierten Operation fehlt jegliche Wahrscheinlichkeit. Anklage wurde natürlich erhoben, für die Aggression, die keine physischen Verletzungen zur Folge hatte, die jedoch von symbolischer und kollektiver Tragweite ist.
Wie schwerwiegend diese Fakten und unsere Aufregung sein mögen, diese Vorgänge werden uns nicht die getätigten Anstrengungen vergessen lassen, die nicht nur in den hohen Sphären des österreichischen Staates, sondern in den lokalen Netzen, durch die Gemeinden, die Universitäten und vor allem durch die Vereinigungen, die sich in einer couragierten und unerbittlichen Arbeit engagieren, Spuren in den Orten und den Köpfen freizulegen und uns an den Orten des Mauthausen Lagernetzes mit Achtung und Herzlichkeit empfangen. Genau das ist der Fall in Ebensee, das ein österreichischer Journalist anlässlich der Ereignisse am 9. Mai mit dem Terminus Naziland stigmatisierte. Diese Pose ist gleichfalls demagogisch, sie beleidigt ungerecht unsere Freunde des Zeitgeschichte Museums Ebensee.
Im Übrigen wissen sehr wenig Österreicher, selbst in gebildeteren Kreisen, dass die Nazis im November 1943 in Ebensee ein Lager errichtet hatten, in dem bis zu 18.000 Häftlinge zusammengepfercht waren. Allein im Monat April 1945 starben 4.800 von ihnen, und die Befreiung geschah nicht vor dem Nachmittag des 6. Mai 1945. Ein österreichischer Minister äußerte die Befürchtung, dass die aktuellen Vorkommnisse dem Tourismus schaden könnten! Wir laden die Österreicher ein, ihr eigenes Land zu besuchen: an der Seite jener Landsleute, die sich bemühen das Vergessen, die Indifferenz, ja sogar die Nostalgie zu bekämpfen. Wir stellen ihnen gerne Tourbegleiter zur Verfügung.
Daniel Simon, Präsident