ORF-Wahl: Die Radio-Strategien von Wrabetz und Grasl.
ORF-Chef Alexander Wrabetz und Finanzdirektor Richard Grasl planen im Falle ihrer Bestellung zum Generaldirektor Änderungen in der Strategie der ORF-Radioflotte. Wrabetz legt den Schwerpunkt der Nachjustierungen bei Ö1 an, Grasl bei Ö3 und FM4. Das Hitradio Ö3 sehen beide Bewerber zunehmend unter Druck.
Wrabetz sieht Ö3 "sowohl beim älteren als auch beim ganz jungen Publikum von 'Aussegmentierung' bedroht", wie es in seinem Bewerbungskonzept heißt. Deswegen sei es "notwendig, den Marketingauftritt von Ö3 zu stärken und die Musikprogrammierung flottenstrategisch zu unterstützen". Musikalisch und programmlich soll Ö3 weiter "sehr breit positioniert" bleiben, "was unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ein außerordentlich ambitioniertes Konzept ist", so der amtierende ORF-General. Zudem will Wrabetz "alle Anstrengungen unternehmen, das noch nicht genehmigte Projekt 'Visual Radio' schon 2017 umzusetzen". FM4 bleibt bei Wrabetz das "alternative, zweisprachige Kulturradio des ORF" mit einer "progressiv positionierten, klaren Alternative zu kommerziellen Radio-Angeboten".
Ö1 soll "zeitgemäßer" klingen
Ö1 soll im Jahr 2017 im Sinne des Channel-Management-Prinzips strukturiert werden. Wrabetz Konzept sieht eine Programmschemareform sowie eine Erneuerung der Signations und Sounddesigns vor. Für die Überarbeitung des akustischen Designs wurde der Musiker und Komponist Christian Muthspiel engagiert. "Ö1 wird moderner, zeitgemäßer klingen", so Wrabetz. Die Schemareform soll eine "weitere Stärkung der Kultur- und Informationskompetenz von Ö1, die Konzentration des Angebots und der Ressourcen auf die relevanten Zeitzonen, eine Stärkung des Live-Angebots sowie die klarere Positionierung von Ö1 als Klassiksender mit wohldosierten Ausflügen in die Genres Jazz und Weltmusik" bringen.
Grasl will die Flottenstrategie des öffentlich-rechtlichen Senders erneuern und vor allem FM4 nach dem Vorbild von BBC Radio 1 zu einem in der Hörerakzeptanz jungen Radio umbauen. So soll der drohende Reichweiten-Rückgang von Ö3 vermieden werden. "Noch nie seit Eintreten der Privatsender in den Radiomarkt ist der Marktführer Ö3 so sehr unter Druck gestanden, wie das derzeit der Fall ist. Im breiten Spagat zwischen den 14-jährigen ZuhörerInnen auf der einen bis zu den 49-jährigen ZuhörerInnen auf der anderen Seite des Ö3 zugedachten Spektrums, gerät das Hitradio in einen Zangengriff von beiden Seiten", schreibt der Finanzdirektor in seinem Konzept.
"Maximales Risiko" für Ö3
"Eine brisante interne Marktstudie spricht sogar davon, dass Ö3 derzeit einem maximalen Risiko ausgesetzt ist. Problematisch ist, dass in der derzeitigen Flottenstrategie das Segment der jungen HörerInnen nicht mehr abgedeckt ist und diese vom Mitbewerber Kronehit abgeworben werden. Digitale Angebote wie Spotify, Soundcloud oder Apple Music machen bei jüngeren HörerInnen, die "Music only" ohne Nachrichten- und Wortanteile wünschen, zusätzliche Konkurrenz." In einer ORF-Marktforschungsstudie werde laut Grasl sogar "explizit davor gewarnt, dass durch die derzeitige Strategie Ö3 nachhaltigen Schaden erleiden könnte, da es sich am Markt zu breit positionieren muss".
Insbesondere in der jungen Zielgruppe 14 bis 29 Jahre und bei den Hörern "at work" - also während des Arbeitstages - habe diese "Erosion bereits eingesetzt". Während nämlich Ö3 mit der Alterung der Bevölkerung ein Stück in die erwachsenere Zielgruppe mitgerückt ist, schaffe es FM4 derzeit nicht, die damit entstehende Lücke in der jüngeren Zielgruppe zu schließen. "In der besagten Studie wird Kritik an der Positionierung von FM 4 geübt. Man konzentriere sich mit FM4 auf das kleinste Segment des Marktes (Alternative), sei aber nicht einmal in diesem gut profiliert, die Hördauer sei unterdurchschnittlich, FM4 trage derzeit kaum etwas zur Flottenstrategie bei. Auf diese Problematik ist in den vergangenen Monaten von der Radio-Verantwortlichen mehrfach hingewiesen worden, der General- und der Hörfunkdirektor haben Korrekturmaßnahmen bisher aber abgelehnt", so Grasl.
Vorbild für ein FM4 neu könnte laut Grasl das BBC Radio 1 sein, das etwas progressiver als Ö3 ist und auf heimischen Brit-Pop setzt. Auf FM4 neu könnten österreichische Musikgruppen aufgebaut werden. "Wenn die Abstimmung Ö3/FM4 besser gelingt, kann es für die Regionalradios auch leichter werden, im Schlager-/Oldie-/Volksmusik-Segment zielgruppengenauer zu punkten. Denn derzeit findet der meiste HörerInnenaustausch zwischen Ö3 und den Regionalradios statt." Für Ö1 plant Grasl eine "behutsame Schemareform" und eine Modernisierung der Journale.
Digitalradio: Mehr davon
Punkto Digitalradio-Strategie plädieren beide Bewerber für eine Ausweitung des Angebots. Wenn Digitalradio in Österreich - in Planung ist der Standard DAB+ - eingeführt wird, sollte der ORF laut Wrabetz die Möglichkeit bekommen, zu seinen bestehenden Radios auch visuelle Angebote zu senden, seine Landesradios bundesweit auszustrahlen und zusätzliche Frequenzen für Sparten-Kanäle im Bereich Wissenschaft, Jazz, Jugend und Integration zu bekommen. Grasl schweben als digitale Ableger ein Informationsradio und ein Kinderradio vor.
Organisatorisch sehen beide Kandidaten eine eigene Radiodirektion vor. "Gerade in den kommenden Jahren gibt es einige die Radioprogramme übergreifende strategische und operative Aufgaben, die vom Head of Radio wahrgenommen werden müssen", so Wrabetz, der wegen der geplanten Zusammenlegung der ORF-Standorte am Küniglberg und der Integration der Redaktionen in einem multimedialen Newsroom wiederholt mit der Abschaffung der Funktion liebäugelte. Wrabetz' Radiodirektor ist denn auch nur für die "Übergangsperiode zum neuen Operating Model und Standort-Konzept" vorgesehen und soll bis zum Abschluss der Standortzusammenlegung und dem Ende der nächsten Geschäftsführungsperiode 2021 auslaufen. "In der Zielstruktur wird die Geschäftsführung aus Generaldirektor, Programmdirektor, Kaufmännischer Direktor und Technischer Direktor bestehen. Weiters wird die Geschäftsführung um einen Chief-Digital-Officer (Direktor Digital) ergänzt", schreibt der ORF-Chef.
Auch Grasl weist darauf hin, dass es in der kommenden Geschäftsführungsperiode eine eigene und alleinstehende Radiodirektion braucht. Als Gründe nennt Grasl die Stärkung es Binnenpluralismus in der Information, die Übersiedlung der 800 Hörfunk-Mitarbeiter und die notwendigen Korrekturen in der Radio-Flottenstrategie.