ÖSTERREICH-Talk
Spindelegger: »Ich will dieses Land befreien«
07.09.2013Der ÖVP-Chef nimmt den Wahlkampf ernst wie kein Zweiter. Er kämpft um die Nummer 1.
>>> Sehen Sie hier das ganze Interview mit Michael Spindelegger als Video
Keiner nimmt den Wahlkampf derzeit so ernst wie Michael Spindelegger. Seit Wochen tourt er – ohne Urlaub – durch das Land, versucht die ÖVP-Basis zu motivieren.
Zum ÖSTERREICH-Interview erscheint er mit Karawane: Drei Bodyguards (akute Terrorgefahr), eine Maskenbildnerin (die ihn vor jedem Auftritt schminkt), zwei exzellente Berater, die seinen Wahlkampf stylen – und das Wort des Jahres geprägt haben: „Entfesseln“.
Entfesselt präsentiert sich der einst als „graue Maus“ titulierte Spindi seit Beginn der TV-Duelle: Er tänzelt durch das Puls4-Studio, redet selbst Frank Stronach in Grund und Boden.
Interviewpartner Wolfgang Fellner schrieb in einem Kommentar: „Er wirkt wie Popeye nach einer Überdosis Spinat!“
Spindi freilich macht dieser Wahlkampf sichtlich Freude. Er wirkt nicht nur aufgedreht – er ist es. Der VP-Chef strahlt eine enorme Portion Optimismus und Siegesfreude aus.
Er plant wirklich schon im Geist ein Österreich mit ihm als Kanzler. Dass er 4 % hinter der SPÖ liegt, kratzt ihn nicht. Die ÖVP will in der letzten Woche ihre gesamte Basis mobilisieren.
Deshalb auch dieser zur Schau gestellte Kampfgeist. Faymann soll im Finish entzaubert werden – dann darf er Vizekanzler und Außenminister werden …
ÖSTERREICH: Herr Vizekanzler, Sie werden mittlerweile als „Entfesselungskünstler“ des Wahlkampfs bezeichnet. Ist das ein Kompliment oder Spott?
Michael SPINDELEGGER: Ich verwende das Wort „Entfesseln“ als Ansage für die österreichische Wirtschaft, die ich von den Fesseln der Bürokratie befreien möchte, und für die Arbeitnehmer, die endlich wieder mehr Netto vom Brutto brauchen!
ÖSTERREICH: Müssen Sie sich nicht vorher von den Fesseln der eigenen Partei befreien?
SPINDELEGGER: Schauen Sie mich an! Schaue ich aus wie jemand, der gefesselt ist? Ganz im Gegenteil: Ich fühle ein großes Potenzial, wie wir Österreich nach vorne bringen können.
VIDEO: Spindelegger über Entfesselung >>>
ÖSTERREICH: Gefesselt werden Sie zum Beispiel von Ihrem Parteifreund, dem Lehrergewerkschafter Neugebauer – der ist ja die ärgste Fessel, die ein Politiker haben kann.
SPINDELEGGER: Das ist keine Fessel. Das neue Lehrerdienstrecht kommt – und das wird uns für das nächste Schuljahr auch gelingen. Da werden wir bei den Berufsschul- und AHS-Lehrern noch etwas nachbessern müssen – und dann wird das, wie beschlossen, kommen.
ÖSTERREICH: Ihr Kontrahent Werner Faymann führt – wenn Sie entschuldigen – einen trottelsicheren Wahlkampf. Für Arbeit. Für Pensionen. Für Gerechtigkeit. Ihren Wahlkampf versteht keiner.
SPINDELEGGER: Bekommt irgendjemand durch ein Faymann-Plakat Arbeit oder Pensionen? Na also. Ich will ein Kanzler sein für die Tatkräftigen, für die Optimisten, für die Entdecker.
ÖSTERREICH: Trotzdem ist als Einziges von Ihrer Entfesselung beim Wähler hängen geblieben, dass alle künftig 12 Stunden am Tag arbeiten sollen.
SPINDELEGGER: Das ist feindliche Propaganda. Wir haben nie verlangt, dass jeder 12 Stunden am Tag arbeiten soll, das ist Schwachsinn. Die 38,5-Stundenwoche bleibt unangetastet. Wir sind nur für flexiblere Arbeitszeiten. Ich will in Zukunft einen Pakt Unternehmer–Arbeitnehmer–Staat haben – für mehr Arbeitsplätze, weniger Steuern, mehr Einkommen.
VIDEO: Spindelegger über das Wahlprogramm >>>
ÖSTERREICH: Sie klingen fast wie Frank Stronach – der will, dass Unternehmen nur mehr 10 % Steuern zahlen.
SPINDELEGGER: Das ist unrealistisch und weltfremd. Wer zahlt dann unsere Schulen und Polizisten, wenn es keine Steuereinnahmen mehr gibt. Ich will als Kanzler dafür sorgen, dass wir von unserem Schuldenberg runterkommen und ein ausgeglichenes Budget haben. Und danach müssen wir runter mit den Steuern, aber nicht auf 10 %.
ÖSTERREICH: Stronach halten Sie für weltfremd? Wirr?
SPINDELEGGER: Das, was er präsentiert, ist völlig wirr. Dass er zum Beispiel für jedes Land einen eigenen Euro haben will. Wie soll denn das funktionieren? Es können doch nicht Italien, Griechenland, Österreich – alle ihren eigenen Euro haben, der überall unterschiedlich viel wert ist. Das ist ja eine völlige Schnapsidee.
ÖSTERREICH: Sie haben ja die tollsten Parteifreunde derzeit. Wirtschaftskammer-Präsident Leitl hat Ihren Wahlkampf ja um den Spruch bereichert, Österreich sei „abgesandelt“.
SPINDELEGGER: Wir haben zu viel Bürokratie, sind zu wenig wettbewerbsfähig, fallen in den internationalen Rankings in Sachen Aufschwung zurück. Das war ein Weckruf des Wirtschaftskammer-Präsidenten, dass wir die Wirtschaft entfesseln müssen.
ÖSTERREICH: Dann sollten Sie jetzt aber in diesem Interview die Ablöse von Wirtschaftsminister Mitterlehner und Finanzministerin Fekter ansagen. Sie stellen ja seit über 20 Jahren den Wirtschaftsminister in diesem abgesandelten Land.
SPINDELEGGER: Ich verstehe nicht, wie Sie so was vermischen können. Wir sind gut durch die Krise durchgekommen – aber jetzt geht es darum, für die nächsten 5 Jahre auf die Überholspur zu kommen. Wir brauchen mehr Wachstum und weniger Steuern für die Arbeitnehmer. Und das geht nur mit einer Entfesselung der Wirtschaft. Wir dürfen doch den Kopf nicht in den Sand stecken. Ich habe als Einziger ein Konzept auf den Tisch gelegt, wie ich bis 2025 420.000 neue Arbeitsplätze schaffen will.
VIDEO: Spindelegger über "Unternehmen Österreich 2025" >>>
ÖSTERREICH: Haben Sie genug Mut, so wie Ihr Landeshauptmann Haslauer zu sagen: In Wahrheit ist die Große Koalition schuld daran, dass dieses Land abgesandelt ist, weil sie zu viel Stillstand produziert.
SPINDELEGGER: Der von Ihnen angesprochene Stillstand hat damit zu tun, dass wir als ÖVP nicht die Nummer 1 sind. Sobald wir Nummer 1 sind, würde eine Große Koalition ganz anders funktionieren. Wilfried Haslauer ist in Salzburg eine neue, mutige Koalition eingegangen, mit der man durchaus Furore machen kann. Und das wird er auch beweisen. Natürlich ist das auch eine Option für den Bund. Aber zuerst schauen wir mal, wie die Österreicher die Karten verteilen – erst dann können wir die Frage beantworten: Wer darf nach dem Wahlergebnis eine Koalition bilden?
VIDEO: Spindelegger über die große Koalition >>>
ÖSTERREICH: Sie glauben allen Ernstes, es reicht, dass Sie Nummer 1 werden – und wir sind in allen Rankings voran?
SPINDELEGGER: Ich werbe darum, dass die Wähler mich mal ranlassen und mir die Chance geben, dass ich beweisen kann, wie ich dieses Land vorwärtsbringen werde: Viel mehr Arbeitsplätze. Viel mehr Wachstum. Ausgeglichenes Budget – so wie Angela Merkel in Deutschland, die da durchaus ein Vorbild ist.
ÖSTERREICH: Die SPÖ behauptet jetzt: Mit Ihnen kommt Schwarz-Blau zurück!
SPINDELEGGER: Das ist ein reiner Wahlkampf-Gruselhit. Die ÖVP regiert in keinem einzigen der neun Bundesländer mit Schwarz-Blau, sondern in vier mit Grün und in vier mit Rot. Es gibt fast 0 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass wir nach der Wahl mit einer Partei regieren, die aus der EU austreten oder den Euro abschaffen will.
ÖSTERREICH: Warum schließen Sie eine ÖVP-FPÖ-Koalition dann nicht aus?
SPINDELEGGER: Weil das mangelnder Respekt vor der Demokratie ist, wenn man 20 % der Wähler ausschließt. Aber sollte ich Nummer 1 werden, dann werde ich natürlich die Nummer 2 zu einer Regierungsbildung einladen. Und wenn die Nummer 2 die SPÖ ist, hoffe ich, dass sich die Sozialdemokraten nicht verschließen werden, mit uns mein Reformprogramm für mehr Wachstum und weniger Steuern umzusetzen. Nur eines sage ich auch gleich: Faymann-Steuern auf Eigentum wird es mit mir nicht geben.
VIDEO: Spindelegger über mögliche Koalitionen >>>
ÖSTERREICH: Und Werner Faymann, Ihren Du-Freund …
SPINDELEGGER: … schätze ich als Person, wir haben ein korrektes Arbeitsverhältnis – aber ich sehe die Zukunft diametral anders als er: Er will Steuern erhöhen, ich will sie senken. Er will die Gesamtschule, ich das Gymnasium, er will die Unternehmen schröpfen, ich will sie beflügeln für neue Arbeitsplätze.