Wegen der Kampusch-Aktenweitergabe schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. Die ÖVP will nun eine Entscheidung wegen der Schiedsstelle.
Die ÖVP verlangt anlässlich des Wirbels um die Veröffentlichung von Unterlagen im Fall Kampusch eine rasche Entscheidung in Sachen Aktenübermittlung im Innenministerium-Untersuchungsausschuss - und zwar eine Entscheidung für die von der ÖVP vorgeschlagene Schiedsstelle. "Ich fordere Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ultimativ auf, diese Schiedsstelle einzusetzen", sagte ÖVP-Generalsekretär Hannes Missethon.
Einen konkreten Ablauftermin für das Ultimatum nannte er nicht, der "Logik" des Ausschusses folgend sei aber der kommende Dienstag - wenn er das nächste Mal tagt - naheliegend. Welche Schritte die ÖVP zu unternehmen gedenkt, wenn der Forderung nicht nachgekommen wird, führte Missethon vorerst nicht aus.
SPÖ: Innenminister zuständig
Der SP-Fraktionschef im
Untersuchungsausschuss, Rudolf Parnigoni, will zwar über Vorschläge der ÖVP
zur Lösung des Aktenstreits sprechen, hält aber an der Verpflichtung des
Innenministeriums zur Übermittlung der Unterlagen fest. "Ich denke, wir
werden uns über diese Vorschläge unterhalten, keine Frage", sagt Parnigon.
"Ich halte aber fest, dass nach der Verfassung das Innenministerium
verpflichtet ist, die Akten dem U-Ausschuss zu liefern." Das Parlament habe
dann für die Einhaltung des Datenschutzes zu sorgen.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Nach der Weitergabe der
Kampusch-Akten schaltete sich unterdessen die Staatsanwaltschaft ein.
Konkret ermittelt sie wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses. Wie der
Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Gerhard Jarosch, am Freitag sagte, sei
aber noch nicht abschätzbar, wie groß der Kreis der möglichen Verdächtigen
ist. Sollte die undichte Stelle gefunden werden, drohen jedenfalls bis zu
drei Jahre Haft.
Wer hatte Zugriff auf Akten?
Innenministerium, Wiener
Landesgericht oder Parlament: An einem dieser drei Orte muss jener
Unbekannte sitzen, der die höchst vertraulichen Akten über die
Gefangenschaft von Natascha Kampusch an die Öffentlichkeit spielte. Nur an
diesen drei Orten lagerten die Akten. So wie in jedem Kriminalfall gibt es
zwei Akten: Auch im Fall Natascha Kampusch existiert ein Polizeiakt, den die
Polizei über ihre Ermittlungen führt, und ein Gerichtsakt der Justiz. Der
Gerichtsakt wurde, nach dem der Fall im Herbst 2006 abgeschlossen wurde, von
der Staatsanwaltschaft in einen Tresor gesperrt. Während der Akt unter
Verschluss war, hatten allerdings Richter und Mitarbeiter Zugang dazu.
Akt im Parlament
Als der U-Ausschuss ins Leben gerufen wurde, der
Behördenfehler im Fall Kampusch untersuchen soll, wurde der Akt vom
Ausschuss angefordert. (Vorsitzender des U-Ausschusses ist Peter
Fichtenbauer von der FPÖ.) Die Staatsanwaltschaft überstellte den Akt ins
Parlament. Dort lagert er heute im Aktenraum. Allein dort sollen mehr als
100 Menschen Zugang zu den Akten haben.
Der Polizeiakt ist nach wie vor im Innenministerium. Dort steht er der Natascha-Kampusch-Kommission zur Verfügung. Diese Kommission soll im Auftrag des Innenministeriums den Fehlern und Pannen in den Ermittlungen und der Suche nach dem Entführungsopfer nachgehen. Vorsitzender ist Ludwig Adamovich, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs.
Wichtiger Teil im Akt fehlt
Das Gratisblatt, das intime Details
der Entführung ausplauderte, zitiert aus Protokollen einer Polizistin, mit
der Natascha als Erstes sprach und einem Arzt, der sie untersuchte. Beide
Protokolle müssten sowohl im Polizei- wie im Gerichtsakt vorhanden sein. Was
beim Gerichtsakt im Parlament fehlt, ist das Vernehmungsprotokoll, in dem
Natascha ihre Leidensgeschichte seit ihrer Entführung einem Polizisten
erzählt. Ein Richter hatte daraufhin entschieden, dass diese Dinge Nataschas
Privatangelegenheit sind.
Das ist wichtig: Tauchen nämlich Geheimnisse aus diesem Vernehmungsprotokoll auf, kann die undichte Stelle nicht im Parlament sitzen. Bleiben noch Justiz und Innenministerium. Von diesen Stellen will natürlich niemand Nataschas Geheimnisse den Medien verraten haben.
Haftstrafe droht
Sollte die undichte Stelle gefunden werden,
drohen bis zu drei Jahre Haft. Das sieht die Bestimmung über die "Verletzung
des Amtsgeheimnisses" im Strafgesetzbuch (Paragraf 310) vor. Dieser
Paragraf gilt nicht nur für Beamte und Mitarbeiter der Justiz, sondern auch
für Abgeordnete und Mitarbeiter in vertraulichen Untersuchungsausschüssen.