OGH stellt sich gegen Beschlagnahmung und gibt ORF nun Recht.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat am Donnerstag den Beschluss des Wiener Oberlandesgerichts (OLG) als rechtswidrig aufgehoben, mit dem dem Antrag der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt auf Sicherstellung sämtlicher Bänder für eine ORF-"Am Schauplatz"-Reportage über rechtsgerichtete jugendliche Skinheads stattgegeben worden war. Für den OGH wurde der ORF mit diesem Antrag in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.
Das Redaktionsgeheimnis schütze "alle Mitteilungen an Journalisten. Da gibt es keine Abwägungen. Das Redaktionsgeheimnis ist absolut", stellte der Senatsvorsitzende Eckart Ratz in der Begründung fest. Der als nichtig aufgehobene OLG-Beschluss hat laut Ratz "auf Luft" basiert.
Endgültige Entscheidung
Mit der Entscheidung steht endgültig fest, dass der ORF das Bild- und Tonmaterial nicht herausgeben muss, das die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt im Zuge eines Wiederbetätigungsverfahrens beschlagnahmen wollte. Das Strafverfahren hatte "Am Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz mit einer Skinhead-Reportage losgetreten.
Moschitz begleitete mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe, unter anderem wurde eine Wahlkampfveranstaltung von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache besucht, bei der angeblich Nazi-Sager getätigt wurden. Gegen die Jugendlichen wurde ein Verfahren nach Paragraf 3g Verbotsgesetz eingeleitet, Moschitz als möglicher Anstifter als Mitbeschuldigter geführt.
Redaktionsgeheimnis
Mit diesem "Kunstgriff" wurde von der Anklagebehörde insofern das Redaktionsgeheimnis umgangen, als sich Beschuldigte eines Strafverfahrens nicht mehr auf dieses berufen können. Wie der OGH nun allerdings feststellte, hätte das Redaktionsgeheimnis nur dann ausgehebelt werden dürfen, wenn gegen Moschitz ein "dringender Tatverdacht" vorgelegen wäre. Ein solcher sei jedoch von den Instanzen bisher nicht angenommen worden und damit offenbar nicht gegeben, betonte der Senatsvorsitzende Eckart Ratz.
Weg durch die Instanzen
Für das Höchstgericht sind sämtliche Mitteilungen, die einem Journalisten in Ausübung seines Berufs zukommen, vom im Par. 31 Mediengesetz verankerten Redaktionsgeheimnis geschützt, betonte der Fünf-Richter-Senat. Folglich waren davon auch die Filmaufnahmen umfasst, die Moschitz mit den beiden Skinheads im Strache-Wahlkampf sowie zuvor im Innenhof eines Gemeindebaus anfertigte - wo es nach Ansicht der Anklagebehörde bereits zu von Moschitz initiierten strafbaren Handlungen im Sinne des Verbotsgesetzes gekommen sein könnte, was jedoch die Jugendlichen, Moschitz und der ORF bestreiten. Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wollte zu Beweissicherungszwecken sämtliche Bänder beschlagnahmen, was in erster Instanz von der zuständigen Richterin abgelehnt wurde.
In zweiter Instanz bekam die Anklagebehörde dann recht, wobei sich im Nachhinein herausstellte, dass im betreffenden Senat des Wiener Oberlandesgerichts (OLG) die Schwester einer Oberstaatsanwältin saß, die - wenn auch nur am Rande - in dieser Sache bereits tätig gewesen war. Damit war eine Unvereinbarkeit gegeben, die für sich bereits die Nichtigkeit des OLG-Beschlusses bewirkt hätte, wie der OGH nun deutlich machte. Senatspräsident Ratz sprach von einem "Betriebsunfall", der "furchtbar ausschaue", aber nicht besonders dramatisch sei: "Wenn es die Schwester bemerkt hätte, wär' sie die Erste gewesen, die sich für befangen erklärt hätte und draußen gewesen wäre."
Urteil
Gravierender bewertete der OGH, dass die Justiz im vorliegenden Fall das Redaktionsgeheimnis nicht entsprechend beachtet hatte. "Die Sicherstellung von einem Medium recherchierten Materials stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung dar, ist doch der Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen eine der Grundbedingungen der Pressefreiheit und bildet somit einen wesentlichen Bestandteil der konventionsrechtlichen Garantie. Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren. Dies könnte zur Folge haben, dass die lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als 'public Watchdog' beeinträchtigt und ihre Fähigkeit, präzise und verlässliche Informationen zu bieten, nachteilig berührt werden", hieß es nach dem öffentlichen Gerichtstag in einer offiziellen Presseerklärung des Höchstgerichts.