FPÖ-Chef scherzt über ÖVP-'Erbpacht' bei EU-Kommissaren.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vize Heinz-Christian Strache haben offenbar eine klare Arbeitsteilung, was den künftigen EU-Ratsvorsitz betrifft. "Er kümmert sich um den Europäischen Rat und ich um Österreich", sagte Strache am Mittwoch bei einer Festveranstaltung mit Kurz zum Europatag in Wien. In ihrem Ausblick auf den EU-Vorsitz betonten die beiden vor allem die Migrationspolitik.
Der FPÖ-Chef, der vor zwölf Jahren mit scharfer Kritik am damaligen ÖVP-Kanzler und EU-Ratspräsidenten Wolfgang Schüssel aufgefallen war, konnte sich bei der hochkarätigen Veranstaltung einen weiteren Seitenhieb auf den Koalitionspartner nicht verkneifen. "Wir haben eine kaiserliche Erbpacht bei der ÖVP: Jeder Kommissar kommt aus der ÖVP", sagte er mit Blick auf den derzeitigen EU-Kommissar Johannes Hahn und seine Vorgänger Benita Ferrero-Waldner und Franz Fischler, die zuvor mit Schüssel über die Lage der EU diskutiert hatten.
Auf einer Linie
Inhaltlich gaben sich Kurz und Strache in einem vom früheren "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust moderierten Zweiergespräch auf einer Linie und betonten vor allem die Migrationsfrage. So sprach sich Kurz dafür aus, die Diskussion über eine EU-Flüchtlingsverteilung zu beenden. Sollte unter bulgarischer Ratspräsidentschaft ein weiterer Anlauf im Juni scheitern, "dann bin ich dafür, dass man irgendwann dieses Thema beendet". Österreich wolle sich als Ratsvorsitz auf den Außengrenzschutz konzentrieren. "Was es dringend bräuchte, wäre der klare politische Willen, auch solche unangenehme Entscheidungen zu treffen", sagte er mit Blick auf die von ihm geforderte strikte Asylpolitik an den EU-Außengrenzen.
Strache wies darauf hin, dass der Ratsvorsitz die EU wieder näher an die Bürger bringen wolle. Man habe immer gesagt, dass die EU große Probleme lösen solle. "Dann kommt ein so großes Problem auf uns zu und dann gibt es ein Versagen der EU an den Außengrenzen", sagte er mit Blick auf die Migrationskrise. Dies habe zu einem "Vertrauensverlust" geführt, den der österreichische Ratsvorsitz "kompensieren" wolle.
Brexit
Beide Politiker äußerten sich überzeugt, dass die Migrationskrise das Brexit-Votum ausgelöst habe. Den EU-Austritt der Briten könne man nicht mehr ändern, sagte der Kanzler. "Was noch zu retten ist, ist der Schengenraum", sagte er mit Blick auf die "größte Errungenschaft" und "die Basis auch für den wirtschaftlichen Erfolg der Europäischen Union". "Daher halte ich es für höchst problematisch, dass wir nach wie vor den Schengenraum aufs Spiel setzen. Der Schengenraum wird nur bestehen können, wenn wir unsere Außengrenzen ordentlich schützen." Der Ratsvorsitz Österreichs wolle aus diesem Grund "einen Schritt machen in Richtung Vollendung des Schengenraumes" durch den Schutz der Außengrenzen. Sollte dies gelingen, "dann haben wir einen großen Beitrag geleistet".
Bezüglich der Brexit-Verhandlungen sprachen sich Kurz und Strache aus, keine Bestrafung Londons vorzunehmen. "Es wäre falsch, irgendwelche Revanchegelüste vonseiten der EU zu leben", sagte der FPÖ-Chef. Die Hoffnung sei, "dass sich kaum etwas ändert, außer dass die Briten, die immer schon einen Sonderweg gegangen sind, kein Stimmrecht mehr haben", so der FPÖ-Chef, der eine mögliche künftige Partnerschaft mit London auch als Modell für die gewünschte "besondere Partnerschaft" mit der Türkei sieht.
Kurz zeigte sich diesbezüglich "nicht so optimistisch, dass man für alle Seiten eine zufriedenstellende Lösung finden wird". Die derzeit diskutierten Modelle in Anlehnung an die Partnerschaften der EU mit der Schweiz oder Norwegen seien nämlich jeweils auch mit Pflichten für London verbunden, und das sei "nicht ganz" im Sinne der Briten. "Wie es wirklich ausgeht, wird uns wahrscheinlich noch Jahre beschäftigen", rechnet Kurz nicht mit einer raschen Einigung auf die künftigen EU-Großbritannien-Beziehungen. Die EU solle in den Brexit-Gesprächen "nicht zu großzügig" sein, es sei aber auch "nicht notwendig", es den Briten "zu zeigen", um potenzielle Nachahmer abzuschrecken. In den anderen Staaten sei die EU-Zustimmung nach dem Brexit nämlich gestiegen. "Es gibt kein anderes Land, das diesen Weg gehen will."
"Flexiblere Nachbarschaftspolitik"
Der Kanzler bekräftigte auch neuerlich sein Eintreten für eine Reform des EU-Budgets nach dem Brexit. "Es geht hier nicht nur um die Frage, wer zahlt wie viel", ging er indirekt auf die Kritik an der harten Position Österreichs ein. Es würden nämlich auch viele Empfängerstaaten auf Korruption und Misswirtschaft bei den Förderungen hinweisen. "Wenn sowohl Zahler als auch Empfänger unzufrieden sind, dann muss das Programm hinterfragt werden", sagte Kurz.
Während Strache die Forderung nach einem Abbruch der Türkei-Verhandlungen bekräftigte und die Suche nach Bündnispartnern auf EU-Ebene ankündigte, sprach sich Kurz für eine "flexiblere Nachbarschaftspolitik" aus, die auf die jeweiligen Partnerländer eingehe. Durch eine maßgeschneiderte Lösung könnte man etwa in der Ukraine "eine wesentlich entspanntere Situation" schaffen, sagte er mit Blick auf die Kritik Russlands am EU-Annäherungskurs Kiews. Gegenüber der Türkei könnte man hingegen ein "ehrlicherer Partner" sein. Was künftige Beitritte betrifft, solle sich die EU ganz auf den Westbalkan konzentrieren "und daran arbeiten, dass sie (die Beitrittsperspektive, Anm.) möglichst schnell Realität wird".
"Ja, es wird eine intensive Zeit werden", sagte Kurz mit Blick auf die Ratspräsidentschaft. So seien angesichts der herannahenden Europawahlen gleich 300 Triloge der drei EU-Institutionen geplant. "Der ganzen Regierungsmannschaft wird nicht langweilig werden", sagte der ÖVP-Chef vor dem Publikum, in dem die ÖVP-Regierungsmannschaft fast vollzählig versammelt war.