Kritik an Schengen
Strache stellt EU-Personenfreizügigkeit infrage
29.05.2018
Vizekanzler sieht "Potenzial Osteuropas für Westeuropa abgezogen" - und "Verdrängungsprozess" am heimischen Arbeitsmarkt.
Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) regt an, die EU-Personenfreizügigkeit infrage zu stellen. Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung im Haus der Europäischen Union in Wien hat Strache am Dienstagabend gesagt: "Wir müssen offen diskutieren, dass es auch nicht gut ist für die europäische Entwicklung, das gesamte intellektuelle, gut ausgebildete Potenzial Osteuropas für Westeuropa abzuziehen."
EU lehne es ab über die Freizügigkeit zu diskutieren
Die EU, kritisierte Strache, lehne es ab, die Freizügigkeit überhaupt zu diskutieren. Er hingegen wolle "im Interesse der osteuropäischen Länder dafür Sorge tragen, dass nicht alle Pflegekräfte in Westeuropa arbeiten und in der Slowakei keine mehr zu finden sind". Dass die Personenfreizügigkeit zu den Grundpfeilern der EU gezählt wird, ist für den Vizekanzler dabei kein Hindernis - aus mehreren Gründen: "Wenn ich erkenne, dass das den Ländern in Osteuropa zum Teil nicht dienlich ist, zum Teil aber auch bei uns dazu führt, dass ein Verdrängungsprozess stattfindet - wenn Menschen, die gut qualifiziert sind und zu viel verdienen, in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden, weil sie von günstigeren Arbeitskräften ersetzt werden - dann sind das Bereiche, wo man darüber diskutieren muss: Ist das eine g'scheite Regelung oder sollte man nicht darüber nachdenken, hier zumindest zum Teil regulierende Lösungen zu finden, wie man das im Interesse aller besser macht?"
Seine jüngst viel kritisierte Schelte für die EU-Grenzschutzagentur Frontex, sie würde aus Nordafrika über das Mittelmeer flüchtende Menschen "fast als Schlepperorganisation nach Europa" bringen, relativierte Strache insofern, als er nicht die Agentur, sondern deren politisches Mandat kritisiert habe. Dies werde von Journalisten allerdings öfter "bewusst und manchmal auch boshaft reduziert". "Es macht keinen Sinn, über Flüchtlingsaufteilungen in Europa zu diskutieren, wie das die Deutschen vorschlagen", bekräftigte Strache einmal mehr. "Wichtig ist, die Außengrenzen zu schützen und zu sichern, dann brauchen wir eine solche Asyldebatte gar nicht zu führen."
Strache verteidigt Mitgliedschaft der FPÖ in der rechtspopulistischen EU-Fraktion
Strache verteidigte auch erneut die Mitgliedschaft der FPÖ in der rechtspopulistischen und EU-kritischen EU-Parlamentsfraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF), wo sich die Freiheitlichen in der Gesellschaft der französischen Rassemblement National (vormals Front National), der italienischen Lega, der niederländischen Partei für die Freiheit von Geert Wilders oder des belgischen Vlaams Belang befinden. "Wir stehen zu dieser Zusammenarbeit", bekräftigte er, "diese Parteien sind ja sehr erfolgreich in ihren Ländern - und das nicht ohne Grund." Aber auch hier beklagte Strache "verkürzte Berichterstattung über Aussagen von (Lega-Chef Matteo) Salvini oder Anderen". Sowohl die deutsche AfD als auch die italienische Lega hätten "einen sehr proeuropäischen Zugang - aber mit der kritischen Perspektive, gegen Zentralismus zu sein und gegen eine 'Schuldenunion' einzutreten". Für die FPÖ und sich persönlich nimmt Strache das ebenfalls Anspruch: "Wenn man kritisch ist gegenüber gewissen Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union, dann heißt das nicht, dass man ein Feind Europas ist."
Auch mit der Kritik am Vorgehen der ungarischen Regierung hat Strache seine Probleme: "Der Vorwurf gegenüber Ungarn ist, dass eine demokratische Wahl stattgefunden hat und die Wähler halt nicht so gestimmt haben wie manche sich das vorgestellt haben in der Europäischen Union - und dass es eine Zweidrittelmehrheit gibt für die dortige Regierung, die Kraft ihrer Zweidrittelmehrheit verfassungsgesetzliche Änderungen vorgenommen hat. Die können einem gefallen oder auch nicht, aber sie sind demokratisch legitimiert." Was allerdings Polen betrifft, räumte Strache ein, "kann man selbstverständlich die rechtliche Auffassung mittragen, dass es dort gewisse gesetzliche Entscheidungen mit einfacher Mehrheit gegeben hat, wo die Europäische Union Verfassungsmehrheit vorsieht - und daher gewisse Entwicklungen kritisiert und einfordert, dies anders und im Sinne unseres Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit zu lösen."