Seit Jahresbeginn
Strafprozessreform schafft massive Mehrarbeit
01.04.2008
Drei Monate nach Inkrafttreten der Reform ist der eklatante Personalmangel bei Richtern, Staatsanwälten und Kanzleikräften unübersehbar.
Das neue Straf-Vorverfahren ist aus Sicht der Richter und Staatsanwälte nicht wirklich gut angelaufen. Die Staatsanwälte klagen über Probleme bei der Aktenübermittlung, einen überschießenden bürokratischen Aufwand und schweren Personalmangel bei den Kanzleikräften. Die Richter erachten ihre personelle Ausstattung auch als "viel zu schlecht". Von "praktischen Umsetzungsproblemen" sprechen die Strafverteidiger, sie rechnen aber mit einer baldigen Besserung.
Zahllose Überstunden sind normal
Aus Sicht der
Staatsanwälte ist die StPO-Reform - die seit Jahresanfang in Kraft ist -
zwar sinnvoll. Das Personal - vor allem im Kanzleibereich - muss aber ihrer
Ansicht nach dringend aufgestockt werden. Bei den Staatsanwälten selbst sind
in Wien noch nicht alle Stellen besetzt und wohl auch einige Planposten mehr
nötig. Derzeit wird jedenfalls an Abenden und Wochenenden gearbeitet.
Beim Kanzleipersonal ist laut Staatsanwaltschaft die Situation wirklich eng. Auf zwei Staatsanwälte kommt derzeit eine Kanzleikraft - und nötig wäre ein Verhältnis von 1:1. In zwei Monaten sind im Kanzleibereich unbezahlt 1.000 Überstunden - denn pro Person werden nur 15 ausbezahlt - geleistet worden.
Viel mehr bürokratischer Aufwand
Grund für die gigantische
Mehrarbeit ist auch der mit den neuen Opfer- und Beschuldigten-Rechten
gestiegene Bürokratie-Aufwand. So muss der Ankläger bei jeder Bestellung
eines Sachverständigen Polizei, Opfer und Beschuldigten verständigen und
eine Woche warten, ob Einspruch erhoben wird. Auch z.B. bei einem
behaupteten Peitschenschlag-Syndrom nach einem Verkehrsunfall. Und das sind
Massenfälle.
Anzeigen bleiben 8 Tage liegen
Bei der Aktenübermittlung durch
die Polizei besteht auch ein großes Problem. Wegen eines technischen
Nadelöhrs hängen Anzeigen rund acht Tage bei der Polizei, ehe sie
elektronisch an die StA übermittelt werden. Dringende Akten - z.B. in
Haftsachen - müssen deshalb persönlich ins Landesgericht getragen werden.
Richter sind 100 Mann zuwenig
Die personelle Ausstattung der
Richter ist ebenfalls mangelhaft. Insgesamt fehlen laut Richtervereinigung
100 Richterposten. Mit der Reform wurde zwar der Untersuchungsrichter
abgeschafft und dem Staatsanwalt die Leitung im Vorverfahren übertragen. Für
die Richter brachte sie aber teils deutlichen Mehraufwand und teils
schwierige Aufgaben.
Reform bringt Mehrarbeit
So bekommt der Ermittlungsrichter - der
für die Genehmigung von Grundrechtseingriffen und Entscheidungen über
Rechtsmittel zuständig ist - den Akt oft erst in einem fortgeschrittenen
Stadium und muss dann in sehr kurzer Frist Entscheidungen treffen. Und
häufig wird in einem viel früheren Stadium angeklagt, weshalb der
Hauptverhandlungs-Richter selbst fehlende Ermittlungen oder Vernehmungen
durchführen muss. In Summe werden die Verfahren dadurch länger.
Rechtsanwälte in der Warteschleife
Die Strafverteidiger
melden Probleme bei der Akteneinsicht. Es dauert im Regelfall zweimal so
lange wie bisher, teilweise sehen Anwälte den Akt in der Haftverhandlung zum
ersten Mal - und beim Recht auf den Anwalt ab der ersten Einvernahme.
Berger will noch zuwarten
SPÖ-Justizministerin Maria Berger zeigt
zwar Verständnis für die Nöte der Justiz und will das Personal auch
aufstocken, wenn nötig. Allerdings könnte man die Auswirkungen der Reform
erst nach einem halben Jahr beurteilen. Wenn die Arbeitsbelastung
tatsächlich über längere Zeit besteht, will Berger "personell helfen".