Horror-Bericht

AI: Lager Traiskirchen ist Krebsgeschwür

13.08.2015

Amnesty präsentierte den Traiskirchen-Bericht. Es ist eine Abrechnung.

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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat am Freitag den Bericht über ihre Prüfung des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen vorgestellt. In dem Zentrum gebe es zum Teil eine unmenschliche Behandlung. Besonders hervorgehoben wurde die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge - diese würden "vollkommen sich selbst überlassen".

AI-Generalsekretär Heinz Patzelt zeigte sich bei der Pressekonferenz "unsagbar zornig", sprach von einem "aufgeplatzten Krebsgeschwür." Gleichzeitig appellierte er an die Bundesregierung und die Landeshauptmänner, ihre Verantwortung bei der Unterbringung von Asylwerbern wahrzunehmen. Sollte der heute vorgestellte Bericht keine Wirkung auf die Unterbringung und Betreuung in Traiskirchen zeigen, will AI das völlig überfüllte Flüchtlingslager "sehr bald" wieder prüfen, kündigte Patzelt an.

Warteschlangen bei der Ausgabe der Identitätskarten, Duschnischen für Männer und Frauen ohne Vorhänge oder Trinkwasserleitungen statt Wasserflaschen - die von Amnesty International (AI) in Traiskirchen festgestellten Probleme sind vielfältig und ließen sich einfach beheben. Generalsekretär Heinz Patzelt sieht gleich mehrere Menschenrechtskonventionen im Zentrum verletzt.

   Vertreter von AI besuchten das Erstaufnahmezentrum am 6. August und konnten sich nach einer Führung durch die Lagerleitung und Beamte des Innenministeriums am Gelände einige Stunden frei bewegen. Im Rahmen der Research-Mission wurde mit 30 Asylwerbern gesprochen, erklärte Teamleiterin Daniela Pichler bei der Pressekonferenz. Diese Gespräche wurden mit Audio und Foto dokumentiert. Gesprochen wurde auch mit Vertretern des Unternehmens ORS sowie der Leitung des Frauenhauses im Zentrum. Jede Bedingung für den Besuch wurde eingehalten, zeigte sich Patzelt zumindest diesbezüglich erfreut.

   Nicht jedoch was die Zustände im überfüllten Lager betrifft: "Das Versagen anderer Staaten kann niemals eine Rechtfertigung sein für das, was sie vorgefunden haben", so Patzelt über die Überprüfung und später: "Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten." Pichler schilderte zunächst ihre persönlichen Eindrücke und zeigte sich betroffen darüber, wie die Asylwerber in der "enormen Hitze" im Schatten Zuflucht suchen. Auch habe auf dem Gelände eine "dominante Stille" geherrscht. Am meisten habe sie überrascht, dass nur vereinzelt Flüchtlinge auf die AI-Vertreter zugekommen seien, um ihre Geschichte zu erzählen.

   Die Erkenntnisse aus dem Besuch wurden in einem Bericht zusammengefasst, der die Bereiche Unterkunft, Verpflegung, Sanitäranlagen, Medizin und die spezielle Situation unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge behandelt. "Es gibt keine angemessene Unterkunft für die Flüchtlinge", 1.500 Menschen mussten zum Zeitpunkt der Prüfung im Freien schlafen, so Pichler. Auch vor dem Zentrum, in Parks oder auf dem Bahnhof nächtigen die Asylwerber. Zwar seien es seit dem Aufnahmestopp etwas weniger, die bereits beim Besuch angekündigten Busse seien aber kein Ersatz: Sie kommen einer "unmenschlichen Behandlung gleich".

Stundenlanges Anstehen

Für die Ausstellung der Identitätskarten müssen sich die Asylwerber oft stunden- oder tagelang anstellen, oft werde dadurch die Essensausgabe verpasst. Laut Pichler gibt es nur einen Drucker hierfür. Ein Problem, das sich rasch lösen ließe, so die Teamleiterin.

 Eine besonders prekäre Situation stelle jene der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar. "Sie sind derzeit nicht ausreichend geschützt in Traiskirchen, sondern de facto vollkommen sich selbst überlassen", kritisierte Pichler und ortet eine Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention. Auch für eine weitere besonders schutzbedürftige Gruppe - die Frauen - bestehe kein ausreichender Schutz in Traiskirchen. So gebe es etwa unter den Obdachlosen Schwangere oder Frauen mit neugeborenen Kindern. Die Duschen in den Sanitäranlagen müssen gemischt genutzt werden, es gebe nur Nischen ohne Vorhänge.

Traurige Eindrücke

"Elend" und die ungeschützt der Hitze ausgelieferten Menschen, das waren auch die Eindrücke des medizinischen Experten Siroos Mirzaei. Für die tausenden Flüchtlinge, teils mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier Ärzte und drei Psychologen zur Verfügung. Den Ärzten bleiben nur wenige Stunden pro Tag für die Behandlung kranker Flüchtlinge, denn die meiste Zeit werde für die Erstuntersuchung aufgewendet. Manche würden sich auch nicht in die Ordination trauen, da sie befürchten, aufgrund einer Krankheit nicht in Privatunterkünfte zu kommen, stellte Mirzaei fest. Die psychologische Betreuung sei "völlig unzureichend", so der Experte weiter.

Mirzaei kritisierte vor allem auch die radiologische Untersuchung zur Altersfeststellung, denn diese sei "unzuverlässig" und sehr teuer. Das hierfür aufgewendete Geld wäre besser in der Betreuung aufgehoben, meinte er. "Die medizinische Versorgung in Traiskirchen ist derzeit mangelhaft." Auch die Sanitäranlagen sind in einem schlechten Zustand. In einer Toilette "schwammen Exkremente", auch war der Boden nass, so Mirzaei. Auch er sah aufgrund der gemeinsamen Duschen die Menschenwürde von Frauen verletzt: "Die Probleme wären leicht zu lösen."

Zentrale irritiert
Generalsekretär Patzelt erklärte, AI Österreich erstattet der Zentrale in London laufend Bericht. Diese reagierte dann auch irritiert über die Information zur "Massenobdachlosigkeit" und glaubte an eine Fehlermeldung. Überprüfungen von Flüchtlingslagern seien in vielen anderen Ländern "Routine", in Mitteleuropa jedoch die Ausnahme. "Ich bin unsagbar zornig", so Patzelt, denn der Staat versage bei der Versorgung von Kriegsflüchtlingen und verletzte etwa die UN-Kinderrechtskonvention oder die Frauenkonvention. Einzig die Antifolterkonvention und jene gegen die Todesstrafe werde nicht verletzt, stellte er fest.

Bundesregierung und Landeshauptleute
Die Hauptverantwortung für die Situation tragen die Bundesregierung und die Landeshauptleute, sie kommen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach, so Patzelt. Das "Quoten-Ping-Pong" etwa sei "unerträglich. Flüchtlingsunterbringung sei "kein Gnadenakt", es handle sich weiters um eine "Management-Aufgabe, die zu lösen ist, wenn man will". Der "Pseudonotstand" sei selbst verursacht, meinte der Generalsekretär. Auch er pochte auf rasche, einfache Lösungen etwa bei den Sanitäranlagen gegen die "unfreiwillige Peep-Show".

AI informierte nach der Überprüfung auch das Innenministerium über die Erkenntnisse, es habe ein "sachliches, offenes Gespräch" gegeben, so Patzelt. Er unterstützt die Forderung der Bundesregierung nach verbindlichen Quoten auf EU-Ebene, denn anderenfalls verdiene die EU keinerlei menschenrechtliche Anerkennung, so der Generalsekretär.

Durchgriffsrecht gefordert
Gefordert wird das bereits angekündigte Durchgriffsrecht des Bundes bei der Schaffung von Quartieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sollen umgehend einen gesetzlichen Vormund erhalten und Familien bei der Unterbringung nicht getrennt werden. AI verwies auch auf das Angebot von Hilfsorganisationen, Ärzte in das Zentrum zu entsenden - dieses sei bis jetzt jedoch nicht angenommen worden. Eine einfache Lösung wäre auch bei der Trinkwasserversorgung möglich. Da es in vielen Ländern nicht üblich ist, dieses aus der Wasserleitung zu konsumieren, sollte es in Glasflaschen abgefüllt werden, so Patzelt: Man erwarte "kein teures Evian". Erfreut sind die Asylwerber über jene Personen, die privat Hilfsgüter zum Zentrum bringen, so Pichler.

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