Megaressort
Trotz Kritik: Auch Grüne bekommen Generalsekretär
17.01.2020
Für Finanzierung des Klimaschutzes weiterhin mehrere Möglichkeiten vorgesehen.
Wien. Umwelt- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) holt sich Unterstützung für die Führung ihres Megaressorts und macht Sektionschef Herbert Kasser zum Generalsekretär. Die genaue Struktur des neuen Superministeriums ist noch in Arbeit. Es wandern jedenfalls zwei Sektionen und einige Gruppen aus dem bisherigen Landwirtschaftsministerium zu Gewessler, erklärte die Ministerin im APA-Interview.
Damit wird das für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie zuständige Ministerium vermutlich sechs oder sieben Sektionen haben. Kasser, der die Sektion Infrastrukturplanung und -finanzierung, Koordination leitet, bleibt gleichzeitig auch weiter Sektionschef. Sie habe sich bewusst dafür entschieden, keine politische Besetzung vorzunehmen, sondern jemanden aus den Reihen der Sektionschefs zu nehmen, sagte Gewessler. ÖVP-Staatssekretär Magnus Brunner wird einen eigenständigen Aufgabenbereich haben. Welche Themen er übernehmen wird, sei aber noch in Abstimmung.
In der Organisationsstruktur des Ministeriums wird sich auch ein spezieller Schwerpunkt Gewesslers widerspiegeln: die aktive Mobilität. Sie will eine eigene Organisationseinheit für Fahrradfahrer und Fußgänger installieren. Im Regierungsprogramm ist eine Besserstellung dieser Gruppe in der Straßenverkehrsordnung (StVO) und im Straßenraum vorgesehen.
Die Regierung hat sich aber natürlich mehr als nur das vorgenommen. Erstmals seien die zentralen Hebel Mobilität, Energie, Innovation und Technologie in einer Hand, unterstrich Gewessler. Besonders dringlich seien Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, dazu zählten unter anderem die NoVa, die Pendlerpauschale, die Flugticketabgabe - und die Rücknahme des FPÖ-Projekts Tempo 140. Zur Dekarbonisierung im Verkehrsbereich habe die Regierung viele Maßnahmen geplant, denn "der Verkehr ist bei der CO2-Bilanz das Sorgenkind", bekräftigte Gewessler, und dass auch die Abschaffung des Dieselprivilegs Teil der Überlegungen sei und innerhalb der Regierung debattiert werde, wurde von ihr bestätigt.
Die Aussage von Agrarministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP), wonach das Dieselprivileg bleiben werde, sei in Hinblick auf die kleinstrukturierte Bauernschaft in Österreich gefallen. Es gebe in den Regionen unterschiedliche Gegebenheiten, die man berücksichtigen werde. Die ökosoziale Steuerreform werde Lenkungswirkung haben und gleichzeitig sozialgerecht sein. "Wir werden sehen, was sinnvoll ist."
Nach der Finanzierung der zahlreichen Vorhaben der Regierung im Umweltbereich gefragt, sagte Gewessler, dass es "verschiedene Varianten gibt". Das Geld zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs werde etwa aus dem Budget kommen. Auf der anderen Seite geben es Möglichkeiten zur Gegenfinanzierung, etwa im Energieeffizienzgesetz oder über die Zweckwidmung der Auktionserlöse aus dem ETS (EU-Emissionshandelssystem).
"Was uns am meisten kostet, ist kein Klimaschutz", verwies die Ministerin auf "Milliardenkosten für den Kauf von Emissionszertifikaten, Klimawandelfolgeschäden und zerstörte Existenzen". "Das sind die wahren Kosten des Klimawandels." Klimaschutz sei dagegen ein Investitions- und Konjunkturprogramm.
Wer die Verlierer dieser Umwälzungen sein werden, beantwortete Gewessler nur allgemein: "Es gibt Veränderungsbedarf und Brachen, die sehr stark von fossiler Energie abhängen, haben einen größeren Veränderungsbedarf."
Auf Skeptiker, die von "Klimahysterie" und "Zöpfchen-Diktatur" reden, angesprochen, verwies Gewessler auf wissenschaftlich belegte Tatsachen. "Auf der sachlichen Ebene ist es vollkommen klar, aber selbst, wenn ich mit der sachlichen Ebene nichts anfangen kann, bekomme ich durch Klimaschutz saubere Luft, mehr Raum für die Menschen, mehr Lebensqualität, einen besseren öffentlichen Verkehr."
Dass durch Klimaschutz Jobs vernichtet werden, lässt die Ministerin nicht gelten. Alleine im Bereich der E-Mobilität können in den nächsten Jahren 34.000 neue Jobs geschaffen werden. "Es gibt viele Chancen und viele Potenziale für die Wertschöpfung und Arbeitsplätze für die Zukunft." Gewessler verwies auf Studien, wonach die Wertschöpfung und das Wachstum mit Klimaschutz viel größer seien als im Business-as-usual-Szenario. "Es ist ein Weg in Richtung mehr Lebensqualität, mehr soziale Gerechtigkeit und in Richtung zukunftsfähiger Wirtschaft. Und da wollen wir gerne bei den Ersten, bei den Innovationsführern dabei sein."
Gewessler verspricht angstfreie Energiewende: "Fürchten muss sich niemand"
Fürchten muss sich niemand" - Mit diesen Worten reagierte Umweltministerin Leonore Gewessler auf Sorgen der betroffenen Branchen angesichts der im Regierungsprogramm geplanten Ausstiegsszenarien aus Öl-, Kohle- und Gasheizungen. Das Vorhaben sei zwar wirklich groß, aber der Ausstieg solle stufenweise und von Förderungen begleitet erfolgen. Und die Ressource Gas werde der Industrie erhalten bleiben.
Gerade bei der Gebäudewärmung und -kühlung gebe es viele ökologische Alternativen wie Geothermie, Wärmepumpen, Pellets, Biomasse und mehr. Gas, der von der Industrie oft als "Brückentechnologie und mehr" bezeichnete Energieträger, sei in seiner erneuerbaren Form eine "sehr wertvolle, hochwertige Ressource". Sie werde dort gebraucht, "wo es keine Alternative gibt, in der Industrie zum Beispiel", erläuterte die Umwelt- und Verkehrsministerin.
Ausgestiegen wird aus dem Heizen mit Öl und das spätestens im Jahr 2035: Ein Stufenplan soll dies zeitlich terminieren - "und das ist eine Maßnahme, die rasch angegangen werden muss", sagte Gewessler und erinnerte daran, dass aktuell noch 600.000 Ölheizungen in Betrieb seien, die in 15 Jahren verschwunden sein sollen. Das wären 40.000 pro Jahr und knapp über 100 solcher Heizungen täglich, die aus dem Treibhausgas-Orchester genommen werden sollen. "Das ist wirklich eine Aufgabe", gestand die Ministerin ein, aber es gebe kostengünstigere Alternativen. Den Ausstieg werde man zeitlich gut staffeln, mit Förderungen umsetzen und in Summe so rasch vorantreiben.
Der Ausstieg aus Gas sei hingegen ein langfristigeres Thema. Hier gehe es im ersten Schritt darum, dass im Neubau ab dem Jahr 2025 keine Gasheizungen mehr eingesetzt werden sollen. Denn im Gegensatz zur Industrie sollte im Gebäudebereich statt auf den fossilen Energieträger beispielsweise auf "Geothermie, Wärmepumpe, Biomasse oder Pellets" gesetzt werden - und parallel dazu gelte es, das Gasnetz nicht mehr weiter auszubauen. Dieses Programm sei aber langfristig mit Perspektive 2040 angesetzt.
Wien habe im Bereich der Energiewende mit den Fernwärmeversorgungsgebieten erste Schritte gesetzt, nun sollen aber alle diesbezüglichen Themen gemeinsam mit den Bundesländern in der Wärmestrategie umgesetzt werden. Es gelte die Frage zu klären, wie in Österreich der Wärme- und auch der zunehmend wichtiger werdende Kühlungssektor dekarbonisiert und klimafreundlich umgesetzt werden kann.
Eine Renaissance der Hausbrands muss jedenfalls niemand fürchten, sagte Gewessler, denn eine Vielzahl von modernen Heizsystemen - auch mit Holz - sind für Bestandsgebäude die Optionen, "die es gut mit enger Abstimmung mit den Bundesländern zu begleiten gilt", so die Ministerin unter Hinweis auf die jeweiligen Bauordnungen und Vorortbestimmungen. Auch Zinshäuser gelte es natürlich von Gas unabhängig zu machen: "Das ist nichts, was von heute auf morgen geht, aber ich halt es für machbar" - was nicht nur die Gebäude betreffe, sondern "unsere Art mobil zu sein, unsere Art Energie zu produzieren und auf Erneuerbare umzustellen. Sonst wäre ich nicht in dem Job. Es ist eine Herausforderung, aber eine spannende Herausforderung."
Zielpfad 2040: "Es geht um die nächsten zehn Jahre"
Die Klimaneutralität Österreichs bis zum Jahr 2040 ist aus umweltpolitischer Sicht ein radikales, aber auch fernes Ziel, das im Regierungsprogramm verankert ist. Rasches Handeln ist angesagt, "es geht um die nächsten zehn Jahre", stellt Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) fest. Die großen Antworten auf das "Wann" und "Wie" stehen noch aus, erste Maßnahmen sollen aber bald folgen.
Wie hoch die angekündigte "signifikante Erhöhung" des österreichischen Beitrags zum Green Climate Fund ausfallen soll, werde man mit dem Finanzminister diskutieren. Um wie viel die 30 Millionen Euro erhöht werden sollen - Bundespräsident Alexander Van der Bellen und NGOs sehen zumindest eine Verdreifachung als Ziel - konnte Gewessler im Gespräch mit der APA noch nicht beantworten. Beim Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP), bei dem Gewessler im Dezember einen "deutlichen und raschen Nachbesserungsbedarf" ortete, heißt es ebenfalls noch Geduld haben.
Im zuletzt genannten Punkt geht es um die Reduktion der CO2-Emissionen in Österreich bis zum Jahr 2030 im Ausmaß von 36 Prozent gegenüber 2005 im Einklang mit den EU-Zielen. Hier ist laut der Umweltministerin eine Erhöhung seitens der EU zu erwarten. Es gelte daher. in den kommenden Wochen und Monaten zu sehen, wie man innerhalb der EU zu einer ambitionierten Position kommt - und dann erst entsprechend zu agieren. Wartet man also einfach ab? Das werde ein paralleler Prozess sein, aber die Dynamik in der EU wolle man jetzt unterstützen: "Wir wollen uns konsequent in der Gruppe der Klimaschutzvorreiter auf EU-Ebene positionieren und uns jetzt aktiv in die Diskussion einbringen", lauten die Pläne Gewesslers.
Vorreiter in Sachen Klimaschutz will Österreich werden, steht im Regierungsprogramm zu lesen, was das bedeutet, erklärte die einstige politische Geschäftsführerin der NGO Global 2000. Beim öffentlichen Verkehr sei etwa die Schweiz Beispiel, dort gebe es ein 1-2-3-Ticket schon seit vielen Jahren, beim Ausbau erneuerbarer Energien könne man von Dänemark lernen. Eines gilt für alle Orientierungshilfen: "Die Klimaneutralität 2040 ist der Zielpfad, an dem wir uns ausrichten müssen."
Der Weg zum Ziel führt dabei über den Verkehr, seit jeher das Sorgenkind der Umweltpolitik. An die sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalente müssen hier eingespart werden, das ist fast die Hälfte der insgesamt 14,2 Tonnen. "Der öffentliche Verkehr muss zu einer bequemen, effizienten, immer verfügbaren und kostengünstigen Alternative werden", lautet Gewesslers Lösungsansatz. Maßnahmen wie "garantiert mobil" oder das 1-2-3-Ticket sind nur Teile des Schwerpunkts "Dekarbonisierung Individualverkehr". "Ich glaube, wenn wir im Bereich Mobilität die Weichen so gestellt haben, dass im Angebot - und das gerade im ländlichen Raum - öffentliche Anbindung in Taktung und Frequenzqualität wirklich umgesetzt worden sind, dann spürt und sieht man, was öffentlicher Verkehr kann", sieht die Ministerin einen Schlüssel zur Klimaneutralität.
Wenn sich die grüne Handschrift im realen Leben der Österreicher innerhalb der kommenden fünf Jahre umfassend zeigt, wird es aber nicht damit allein getan sein, dass man mit erneuerbarer Energie von der Shopping-Tour ins klimaneutrale Eigenheim reist: "Das Erneuerbare ist nicht unendlich. Wir müssen mit Ressourcen sorgsam umgehen, deswegen setzen wir einen großen Fokus auf Energieeffizienz und Energiesparen." Fragen wie jene nach dem Produktdesign seien ebenso ein zentraler Stellhebel wie es der Umstieg auf E-Mobilität sei. Kreislaufwirtschaft ist für Gewessler ebenfalls ein großes Thema - und damit ein Maßnahmenpaket Reparatur samt Reparatur-Bonus und Senkung der Mehrwertsteuer auf derartige Dienstleistungen. "Da geht es intensiv um EU-Regelungen, Verfügbarkeit von Ersatzteilen und die Stärkung von sozialökonomischen Betrieben." Jedenfalls will Gewessler all diese Aufgaben mit "großer Freude und großem Respekt" angehen.