Warum Reinhold Mitterlehner jetzt an die eigene Partei appelliert und die FPÖ als Gegner sieht.
Dass die ÖVP derzeit in Umfragen unter 20 Prozent liegt, scheint VP-Chef Reinhold Mitterlehner nicht sonderlich „nervös zu machen“, wie er es selbst nennt. Der schwarze Vizekanzler und Parteiobmann setzt im ÖSTERREICH-Interview vielmehr auf „gute Koalitionsarbeit“. Mitterlehner möchte im Herbst mehrere „Projekte mit der SPÖ zusammenbringen“, damit die ÖVP auch wieder in den Umfragen steigen könne.
Eitel Wonne herrscht in der schwarzen Welt dennoch nicht. Teile der ÖVP, vor allem in den schwarzen Länderorganisationen, würden Mitterlehner gerne durch den populären VP-Außenminister Sebastian Kurz ersetzen.
Kurz würde nur bei freiwilligem Rückzug übernehmen
Der VP-Chef will seine Chance allerdings wahrnehmen und selbst bei der nächsten Nationalratswahl als VP-Spitzenkandidat antreten. Sollte er dabei bleiben, würde Kurz nicht gegen ihn mobilmachen. Mitterlehner lässt in ÖSTERREICH auch eine Präferenz für Alexander Van der Bellen als Bundespräsident durchklingen.
»Kurz? Hatte als Minister auch bessere Werte denn als VP-Chef«
ÖSTERREICH: Können Sie sich ein Verbot der Gesichtsverschleierung Nikab oder Burka vorstellen?
Reinhold Mitterlehner: Das kann ich mir schon vorstellen und finde ich diskussionswürdig. Ich würde daher die Diskussion über Vor- und Nachteile offen führen und für eine Umsetzung auch die Entwicklungen in anderen EU-Ländern, wie Deutschland, berücksichtigen.
ÖSTERREICH: Etwas, das bald ansteht, ist die Notverordnung. Kanzler Kern hat eine Grundvoraussetzung genannt, nämlich ein Rückführungsabkommen mit Ungarn. Wie sehen Sie das?
Mitterlehner: Das ist ein wenig eine Henne-Ei-Problematik – also, was kommt zuerst. Und da ist meine Auffassung: Um vorbereitet zu sein, brauchen wir zunächst die Begutachtung und dann die Verordnung. Denn erst dann werden sich andere bewegen. Konkreter ausgedrückt: Die Verhandlungen mit Ungarn kann man besser führen, wenn es die Verordnung bereits gibt. Sonst werden die Gespräche zu wenig führen. Daher bin ich da auf der Seite des Innenministers.
ÖSTERREICH: Ist der 6. September, den Kern genannt hat, um die Notverordnung für die Obergrenze in den Ministerrat zu bringen, realistisch?
Mitterlehner: Ob 30. August oder die Woche danach, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass wir rechtzeitig gerüstet sind: also in den nächsten Wochen.
ÖSTERREICH: Einige in der SPÖ sind hier skeptisch, etwa Sozialminister Stöger. Wie wollen Sie diese Roten überzeugen?
Mitterlehner: Formal haben wir einen Regierungsbeschluss gefasst im Jänner. Es ist unruhig, und Ordnung und Sicherheit sind gefährdet. Daher ist es nötig, hier zu reagieren.
ÖSTERREICH: Wie geht es Ihnen dabei, wenn die FPÖ in Umfragen bei 35 Prozent liegt?
Mitterlehner: Das Brexit-Votum hat gezeigt, dass Umfragen nicht immer zutreffend sind. Aber gehen wir einmal davon aus, dass die Umfragen stimmen, dann ist das in ganz Europa derzeit der Fall, weil rechtspopulistische Parteien Vorteile haben, weil sie Lösungen suggerieren, die dann in der Umsetzung nicht standhalten würden, aber sie eben nichts umsetzen müssen. In Österreich haben wir sogar eine noch schärfere Situation, weil bei uns werden verstärkt populistische Forderungen statt Umsetzungen bewertet. Deswegen müssen wir auch stärker eine inhaltliche Auseinandersetzung führen.
ÖSTERREICH: Das heißt, Sie wollen jetzt ins Match gegen die FPÖ und deren Inhalte gehen? Ist die FPÖ und nicht die SPÖ Ihr Gegner?
Mitterlehner: Das Sicherheitsthema ist komplexer, als es ausschaut, und beim Thema Brexit hat man gesehen, dass die Strafe für populistische Forderungen prompt folgt. Daher plädiere ich auch dafür, die Auseinandersetzung nicht nur mit dem Koalitionspartner zu führen, sondern vor allem mit den Oppositionsparteien. Viele Stimmen, die bei Strache oder bei Frau Griss geparkt waren, sind für uns gewinnbar. Insofern ist gerade die FPÖ unser wirklicher Gegner.
ÖSTERREICH: Immer mehr VP-Bürgermeister sprechen sich für Van der Bellen aus. Sehen Sie das mit Wohlwollen oder nicht?
Mitterlehner: Wir hatten auch das letzte Mal keine Wahlempfehlung abgegeben, weil jeder Bürger für sich beurteilen muss, wofür ein Kandidat steht. Und da ist klar, dass Norbert Hofer die Bürger dort abzuholen scheint, wo ihre Probleme liegen. Ob er die richtigen Rezepte hat, um Probleme zu lösen, muss jeder selbst entscheiden. Und auf der anderen Seite steht Alexander Van der Bellen doch für eine gewisse Internationalität und europäische Gesinnung. Und durch den Brexit haben viele begriffen, dass die EU zwar Probleme hat, aber dass es keine Alternative gibt. Diese Abwägung treffen auch Bürgermeister.
ÖSTERREICH: Aber wen würden Sie als Reinhold Mitterlehner präferieren – auch, wenn man es aus dem von Ihnen Gesagten bereits ahnen kann?
Mitterlehner: Ich werde mich dementsprechend möglicherweise noch äußern. Aber da wir als Partei keine Wahlempfehlung abgeben, möchte ich auch noch abwarten, was sich im Wahlkampf tut. Wir haben nicht nur eine reine Zuschauerrolle, gerade international und vom Wirtschaftsstandort her gesehen, sind wir abhängig, wie das kommentiert wird.
ÖSTERREICH: Teile der FPÖ, wie zum Beispiel Herr Hofer, sagen, dass sie eine Glock-Pistole tragen oder besitzen. Was halten Sie davon?
Mitterlehner: Das muss jeder für sich entscheiden. Ich finde es problematisch, denn sollte es wirklich zu einer Auseinandersetzung kommen, wird so eine Glock kaum nutzen. Mir ist es lieber, wenn wir einen sicheren Staat haben und übergeordnete Instanzen für die Sicherheit sorgen. Eine Pistole würde im Ernstfall auch nicht helfen.
ÖSTERREICH: Die ÖVP hat Kanzler Kern in seiner Forderung, dass es keine EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mehr geben dürfe, unterstützt.
Mitterlehner: Um die Verhandlungen abzubrechen, wäre ein einstimmiger Beschluss im EU-Rat nötig, und diese Einstimmigkeit sehe ich nicht. Aber wir tragen die kritische Position des Kanzlers durchaus mit, weil die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung in der Türkei sehr problematisch ist. Zugleich muss man sagen, dass der EU-Beitritt der Türkei nicht vor der Tür steht. Ganz im Gegenteil.
ÖSTERREICH: Sie hatten in der „Presse“ Außenminister Kurz mit Androsch (Thronfolger von Kreisky) verglichen. Wollen Sie sagen, Sebastian Kurz werde nicht VP-Chef und Ihr Nachfolger?
Mitterlehner: Die Antwort hatte einen Scherzhintergrund. Es ist positiv, dass wir qualifizierte Persönlichkeiten mit guten Umfragewerten haben. Aber es hängt natürlich auch immer von der Funktion ab, die man hat. Ich hatte auch als Minister wesentlich bessere Umfragewerte. Alles zu seiner Zeit. Ich bin gewählter Obmann und mache meinen Job mit Verve und Dynamik. Alles andere wird sich von selbst ergeben.
ÖSTERREICH: Das heißt, Sie wollen auch bei einer Neuwahl als VP-Spitzenkandidat antreten?
Mitterlehner: Ich möchte keine Spekulation über Wahlen oder Spitzenkandidaten vom Zaun brechen. Wir haben Projekte für den Herbst als Koalition definiert, die wir weiterbringen müssen. Sonst haben beide Parteien ein Problem. Üblicherweise ist es so, dass der jeweilige Obmann auch der Spitzenkandidat ist.
ÖSTERREICH: Die ÖVP liegt in Umfragen bei unter 20 Prozent. Ist das ein Alarmzeichen?
Mitterlehner: Jede öffentliche Diskussion über den Kurs der ÖVP hilft sicher nicht der Partei. Daher kann jeder etwas zum positiven Gefüge beitragen. Ich habe eine klare Linie. Je mehr wir in der Regierung zustande bringen, statt Neuwahlgespenster herbeizureden, desto mehr werden beide Regierungsparteien profitieren.
ÖSTERREICH: Ist das jetzt ein Appell an die eigenen Leute?
Mitterlehner: Da und dort können das Einzelne als Appell verstehen. Ich sage das aber allen sowieso auch persönlich.