Bundespräsident nennt russischen Präsidenten einen "Aggressor" und plädiert für gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik der EU
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (online) eingeräumt, dass er Russlands Präsidenten Wladimir Putin falsch eingeschätzt habe. "Ich gebe zu, ich habe mich in Putin geirrt. Ich dachte, er würde sich mit der unentschuldbaren völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Landzugang dorthin zufriedengeben. Tut mir leid, völlige Fehleinschätzung", so Van der Bellen.
"Putin sei ein Aggressor", stellte der Bundespräsident fest. Der russische Präsident lebe im 18. Jahrhundert. "Es gibt ja diese Anekdote, in der gefragt wird: 'Kennt ihr irgendjemanden, auf den Putin noch hört? Antwort: Natürlich - auf Iwan den Schrecklichen, auf Peter den Großen und auf Katharina die Große.' Russland muss in Putins Augen sprichwörtlich groß sein, damit er sich selbst ernst nehmen kann als Führer", so Van der Bellen weiter. Auf die Frage, warum Österreich seit 2022 Putins Kriegskasse durch Kauf von russischem Erdgas um zehn Milliarden Euro gefüllt habe, meinte der Bundespräsident, dass er sich des Problems bewusst sei. "Wir arbeiten daran, das zu ändern."
Gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik
Das vereinte Europa werde jedenfalls durch die Einsicht zusammengehalten, "dass 27 weltpolitische Zwerge ihre Interessen nur als Union verteidigen können", so Van der Bellen weiters. Ironischerweise habe ihn Putin 2019 in Sotschi selbst darauf aufmerksam gemacht, "dass die EU-Staaten zusammen genommen fünfmal so viel fürs Militär ausgeben wie Russland. Und die Amerikaner sogar das Dreifache aller EU-Staaten. Weit daneben lag er damit nicht", konstatierte der Bundespräsident. Die Zersplitterung der europäischen Rüstungsindustrie hätten alle unterschätzt. "Die EU tut sich schwer, die Positionen der reinen Soft Power zu verlassen. Wir müssen lernen, uns zu wehren", betonte der Bundespräsident.
Dennoch warnte Van der Bellen vor allzu düsteren Prognosen im Bezug auf die Europäische Union. "2016 hieß es von manchen Ihrer Kollegen, ich könne nicht mehr gewinnen gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, der erste Stein würde damit fallen, dann würde Emmanuel Macron in Frankreich verlieren und so weiter. Nichts davon ist eingetreten." Zudem seien die Wahlen in Polen und Slowenien sehr ermutigend gewesen, glaubt Van der Bellen trotz des Wahlsieges einer russlandfreundlichen Regierung in der Slowakei und der Regierung Viktor Orbans in Ungarn, der sich selbst als Gegner einer liberalen Demokratie bezeichnet. "Ich glaube, dass in der Stunde der Not dieses vereinte Europa sich auf seine Stärken besinnt. Wenn es denn will. Dass es also Frieden und Wohlstand für seine Bürger sichert."
Bezüglich Italien erklärte der Bundespräsident, dass Giorgia Meloni nicht nur transatlantisch denke und gegen Putin und den Krieg in der Ukraine sei, sondern auch wisse, wie wichtig Brüssel, also die EU, für Italien sei. Dennoch gelte es wachsam zu sein. Gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten hätte er prinzipiell nichts dagegen, so Van der Bellen. "Was ich nicht möchte: dass die EU sich selbst versteht als lose Kombination von 27 Schrebergärten. Wir brauchen vor allem eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik."