Die 2005 unter dem damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser eingeführte Steuerbefreiung von Trinkgeldern steht auf dem Prüfstand.
Am Freitag hat dazu die erste öffentliche Verhandlung im Verfassungsgericht (VfGH) Wien stattgefunden. Nach einer Reihe von Fragen hat sich das Richterkollegium zu Beratungen zurückgezogen. Eine Entscheidung könnte es in den Sommermonaten geben - oder die Verhandlungen gehen im September weiter, erklärte VfGH-Sprecher Christian Neuwirth.
Aufhebung erwartet
Experten und Beobachter gehen überwiegend
davon aus, dass die Verfassungsrichter die 2005 eingeführten Bestimmungen
aufheben werden. In einem Prüfbeschluss vertraten die Verfassungsrichter
bereits im Jänner die vorläufige Auffassung, dass diese Steuerbefreiung
"unsachlich und damit gleichheitswidrig" ist. Denn sie bringe diesen
Arbeitnehmern einen erheblichen Steuervorteil, nicht nur gegenüber
Selbstständigen, die Trinkgelder bekommen, sondern auch gegenüber allen
Arbeitnehmern, die keine Trinkgelder erhalten.
Vier Fünftel der vom VfGH geprüften Beschlüsse werden erfahrungsgemäß aufgehoben, hieß es aus dem Finanzministerium. Im Fall einer Aufhebung sind die Begründungen der Richter ausschlaggebend für das weitere Vorgehen, ob das betreffende Gesetz - § 3 Abs. 1 Z 16a EStG 1988 - "repariert" werden kann oder zur Gänze aufgehoben wird. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage des politischen Willens.
Unterschiedliche Behandlung
Zu den strittigen Punkten der
bestehenden Regelung zählt unter anderem die unterschiedliche Behandlung
selbstständig und unselbstständig Tätiger. Nur Trinkgelder unselbstständig
beschäftigter Personen sind steuerbefreit, woraus sich aus Sicht der
Verfassungsrichter ein "erheblicher Steuervorteil" für angestellte
Trinkgeldbezieher ergibt.
Diese Differenzierung wäre nur dann verfassungskonform, wenn es dafür eine sachliche Rechtfertigung gebe - und eine solche konnten die Verfassungsrichter in ihrem Prüfbeschluss "vorderhand" nicht erkennen. Das - bei der Beschlussfassung auch vom damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser vorgebrachte - Argument, dass für die Versteuerung der Trinkgelder aufwändige Erhebungen nötig wären, lässt der VfGH nicht gelten.
Sonderstellung von Croupiers
Weiterer strittiger Punkt ist die
Sonderstellung von Croupiers. Die so genannte "Cagnotte" - jene Zuwendungen,
die Casino-Besucher quasi pauschal für alle dortigen Arbeitnehmer leisten -
ist nämlich von der Steuerbefreiung ausgenommen. Konkret ist die Klage eines
Croupiers auch Anlass für die aktuellen Prüfung der Trinkgeldbefreiung durch
die Verfassungsrichter.
Die Steuerbefreiung habe keine nennenswerten budgetäre Auswirkungen gehabt, ging aus der Fragebeantwortung eines Vertreters des Finanzministeriums hervor.