Vizekanzler und VP-Parteichef tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück
Josef Pröll verlässt die Politik, die ÖVP braucht damit einen neuen Obmann. Der Vizekanzler zog mit seinem heutigen Schritt die Konsequenz aus einem Lungeninfarkt, den er am 18. März erlitten hatte. Er könne nach seiner Erkrankung den Anspruch, den er an sich selbst gestellt habe, nicht erfüllen, erklärte Pröll bei einem eilig einberufenen Pressestatement im Finanzministerium Mittwochvormittag. Ein Nachfolger könnte bereits am Donnerstag in einer Vorstandssitzung der Volkspartei gekürt werden, als Favorit gilt Außenminister Michael Spindelegger.
Nach zwei Thrombosen und einem Lungeninfarkt vor etwas über drei Wochen, den ich als deutlichen Warnschuss und eigentlich als Zäsur in meinem Leben wahrgenommen habe, hatte ich sehr viel Zeit nachzudenken, über meine bisherige politische Arbeit, über meine Ziele und über meine Möglichkeiten für die Zukunft. Die vergangenen acht Jahre, die letzten drei davon besonders, waren sehr sehr stark und von besonderer Intensität geprägt.
Zwei große Fragen belasten aus meiner Sicht die Politik und die öffentliche Diskussion. Es sind die Fragen nach Anstand und Stillstand in der Politik unserer Landes. Ein Mangel an Anstand einzelner Politiker, auch aus der Österreichischen Volkspartei, hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik insgesamt massiv beschädigt. Das Verhalten dieser Politiker war und ist zutiefst beschämend. Keine Partei, und schon recht nicht die Österreichische Volkspartei, kann ein derartiges Verhalten in ihren Reihen tolerieren.
Wir haben die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen in Österreich ohne Zweifel besser bewältigt als andere und auch schneller. Wir haben dafür - keine Frage - viel eingesetzt. Politisch, finanziell und auch ich ganz persönlich vom Arbeitsaufwand her. Der Erfolg unserer Anstrengungen zeigt, dass wir heute besser dastehen als viele in Europa und der Welt. Die Arbeitslosigkeit sinkt von Monat zu Monat. Selten zuvor hatten soviele Menschen in unserem Land Beschäftigung wie heute. Die Auftragsbücher der Unternehmen der Industrie füllen sich Gott sei Dank wieder kontinuierlich. Und auch unsere Währung, der Euro, ist stabilisiert und der Rettungsschirm funktioniert. Wir haben damit beste Vorraussetzungen um Österreich in einen soliden und dauerhaften Aufschwung zu führen. Und dennoch, ich sage das sehr klar und deutlich heute, spüren wir alle in der öffentlichen Diskussion insgesamt zu wenig von Aufbruch und Optimismus.
Gleichzeitig stellt der zunehmende Stillstand in wesentlichen Zukunftsfragen unseres Landes den Glauben der Bevölkerung an die Lösungskompetenz und den Lösungswillen der Politik in Frage. Wir alle wissen, was eigentlich notwendig wäre: Abbau der Schulden als Entlastung für die Zukunft, Gesundheitsreform, Sicherung, langfristige Sicherung der Pensionen, Frage der Bildungszukunft unserer Kinder und der Jugend und auch die Fragen des Zuzugs und der Integration. Und obwohl wir das alle wissen, verharren wesentliche Teile der Politik in bequemen Opportunismus und auch kurzfristigen Populismus.
Warum führ ich das so aus? Weil ich immer wollte, dass wir in Österreich etwas weiterbringen und das wünsche ich mir auch für die Zukunft. Aber es ist klar, um diese großen Aufgaben zu bewältigen, bräuchte ich mehr Kraft als in den letzten Jahren und nicht weniger. Und ich habe nach meinem beidseitigen Lungeninfarkt vor nun drei Wochen, alles daran gesetzt, eine rasche und nachhaltige Genesung zu erreichen. Und ich habe mich mit meinen Ärzten in dieser Zeit sehr, sehr intensiv beraten über die Folgen und Risiken meines Lungeninfarkts. Dabei wurde klar, dass meine gesundheitliche Situation Risiken birgt, die mit engagierter Spitzenpolitik, so wie ich das auch verstehe, nicht auf Dauer vereinbar sind.
Und vor diesem Hintergrund hab ich mich entschieden, aus der Politik zu gehen. Nicht gegen die Politik, sondern für meine Familie und meine Gesundheit entschieden. Angesichts der gesundheitlichen Risiken, denen ich ausgesetzt bin, muss ich leider zur Kenntnis nehmen, dass ich den Anspruch, den ich für mich selber in der Politik definiert habe, nämlich als Parteiobmann für die Funktionäre und die Menschen da zu sein, als Finanzminister in Brüssel, in Washington, international mich konsequent und auch persönlich engagiert für Österreich einzusetzen und auch als Vizekanzler in der Koalition nicht ausreichend erfüllen kann. So wie ich das von mir erwarte und so wie das manchmal und von vielen auch erhofft wurde.
Eine Lehre der letzten Jahre ist für mich auch, dass man für seinen Bereich Verantwortung übernehmen muss. Für sich selbst und für die Gesellschaft und ich tue das heute und ziehe mich vollständig aus der Politik zurück. Darüber habe ich heute morgen den Bundeskanzler informiert, den Bundespräsidenten informiert, mein ganzes Regierungsteam, die Mitglieder des ÖVP-Parteivorstandes ebenfalls informiert. Es wird morgen eine Parteivorstandssitzung in Wien geben, für den Vormittag eingeladen, wo wir über meine Nachfolge beraten werden. Zwei Jahre vor der nächsten Nationalratswahl möchte ich, und das ist ein inniger Wunsch, und ich werde alles dafür tun, möchte ich ein geordnetes Haus übergeben. In der Partei, hier im Finanzministerium und auch als Vizekanzler. Ich stehe also bereit, einen guten Übergang in der Partei und der Koaltion zu begleiten.
Diese zügige Vorgangsweise soll aber auch dafür Verantwortung tragen, dass die Regierung handlungsfähig bleibt und ihre Aufgabe bis 2013 verlässlich fortsetzen kann. Ich verlasse die Politik mit Dankbarkeit, diesem Land acht Jahre gedient zu haben - unter drei Bundeskanzlern in drei Bundesregierungen. Zunächst als Landwirtschafts- und Umweltminister, dann als Finanzminister und Vizekanzler sowie als ÖVP-Parteivorstand. Es war eine sehr spannende Zeit, wir konnten auch viel bewegen. Von der großen Agrarreform 2003, mit der alles begonnen hat, über den grünen Pakt für Österreichs Bauern, die Gentechnikfreiheit, die Ökoenergie, die große Steuerentlastung des Jahres 2009, geordnete Budgets unter schwierigsten Bedingungen, aber vor allem die wohl bedeutsamsten, schwierigsten und im Rückblick auch richtigen Entscheidungen in der Bewältigung der Wirtschafts-, Finanz und Euro-Krise.
Und meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten sie mir auch hier, ein offenes Wort. Ich habe in dieser Bewältigung dieser Krise eines gemerkt: Wie wichtig die ordnende Hand und Kraft der Politik ist. Bringen wir der Politik in Zukunft wieder mehr Anerkennung entgegen. Im Rückblick freue ich mich auch, dass etliche Dinge bleiben, aus dem Perspektivenprozess, den ich der Partei leiten konnte. Aus dem Projekt Österreich, nachhaltige Impulse, dass junge Menschen mit 16 wählen können, Einführung und Absetzbarkeit der Spenden, jahrzehntelang umstritten. Mit der Einführung des Transferkontos im Blick auf Leistungsgerechtigkeit in unserem Land einen neuen Anstoss gegeben. Neben diesen großen Themen freut es mich auch, dass wir 2009, und vielfach untergegangen, in der ÖVP viele wichtige Wahlen gewinnen konnten. Ich danke meinen Wegbegleitern in der Regierung, in meinem Büro, in der Partei, die sehr persönlich, sehr viel eingesetzt haben. Ich bedanke mich bei den Beamtinnen und Beamten, die heute hier sind, im Landwirtschafts- und Umweltministerium - schöne Grüße -, aber vor allem hier im Finanzministerium. Ich danke auch meiner Familie, die acht Jahre auf vieles verzichten musste, aber mich immer verständnisvoll begleitet und getragen hat. Und schließlich gilt mein tiefster Dank den Rettungskräften im Tirol. Ihnen verdanke ich mein Leben. Ich habe in den vergangen acht Jahren mit Freude, Leidenschaft und Einsatz meiner Heimat Österreich gedient, der Europäischen Idee, von der ich glaube, dass sie die Zukunft des Kontinents sein wird, wie nie zuvor. Ich habe auch in den lezten drei Jahren alles für die Partei gegeben. Und wenn ich die Partei jetzt als Obmann verlasse, weiß ich, wieviel Kraft und Zukunft in der Partei steckt. Für mich beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt. Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, die sie heute so zahlreich da sind, darf ich für eine durchwegs kritische, aber immer faire Berichterstattung - ich sage das nach acht Jahren sehr klar und deutlich - danken. Die Entscheidung war schwer, aber sie ist richtig. Dankeschön!