Niederösterreichs Landeschef lobt Kurz in höchsten Tönen und gibt sich von Kern enttäuscht.
Für einen Erwin Pröll tut’s nicht irgendein Berg, es muss schon der höchste sein. Weil Niederösterreichs Landeshauptmann es liebt, an die Grenzen zu gehen, verlässt er mangels geeigneter Gebirge seine Heimat und radelt den Großglockner hinauf – und das drei Monate vor seinem 70er.
Pröll übt heftige Kritik am neuen Bundeskanzler
Tags davor hat er ÖSTERREICH zum Interview empfangen. Die Erleichterung ist ihm anzuhören, dass er sich die Hofburg-Wahl erspart hat. Ehrliches Mitgefühl für Van der Bellen und Hofer schwingt beim wahrscheinlich erfahrensten Wahlkämpfer des Landes mit, wenn er darüber spricht, was ein Jahr Wahlkampf mit permanenten Auf und Abs für Psyche und Physis bedeuten.
Pröll ist froh, in Niederösterreich geblieben zu sein. 2018 wird hier wieder gewählt und der Landeschef will sich nicht festlegen, ob er noch einmal antritt. Wetten dagegen sind eher nicht zu empfehlen.
Neuwahl im Bund hält er für einen „Schmarren“ für SPÖ und ÖVP, ausschließen kann er sie nicht. Über Mitterlehner kein böses Wort, aber Außenminister Sebastian Kurz preist er in den höchsten Tönen: „Eines der größten Talente, die mir je begegnet sind.“
Was Pröll, immer noch der einflussreichste ÖVP-Politiker, allerdings über Kanzler Kern zu sagen hat, lässt erahnen, dass der Wahlkampf doch nicht in weiter Ferne liegt.
Niederösterreichs Landeshauptmann Pröll im Interview
ÖSTERREICH: Sind Sie im Nachhinein doppelt froh, nicht bei der Hofburg-Wahl angetreten zu sein?
Erwin Pröll: Das können Sie mir glauben. Die Entscheidung war natürlich von meiner Familie und mir wohl überlegt und wenn man sich jetzt vor Augen hält, was da alles auf uns zugekommen wäre, bin ich sehr froh, dass ich meine Arbeit weiter in Niederösterreich leisten darf.
ÖSTERREICH: Was sagen Sie zu dem Schlamassel? Gibt es einen Schuldigen?
Pröll: Zunächst hat die Produktionsfirma die Verantwortung. Es ist schon lächerlich, dass eine derart wichtige innenpolitische Entscheidung offensichtlich an einem Klebstoff hängt. Meines Erachtens wird auch das Amt des Bundespräsidenten enorm beschädigt. Die Politik hat jetzt, wie so oft, für andere den Rücken hinzuhalten und die Affäre bestmöglich zu managen. Erfreulich ist das nicht.
ÖSTERREICH: Wie beschädigt ist das Amt?
Pröll: Sehr. Immer mehr Menschen fragen mich: Ist es überhaupt nötig, einen neuen Präsidenten zu wählen. Ich bejahe das natürlich immer, aber es wird schon eine große Herausforderung, egal wer Präsident wird, die Menschen davon zu überzeugen, dass das Staatsoberhaupt eine wesentliche und wichtige Funktion in der Republik hat.
ÖSTERREICH: Für das Image Österreichs ist es verheerend. Wenn man deutsche Medien liest …
Pröll: Bitte, hier soll niemand seine Psyche abreagieren, auch in Köln hat es schon einmal eine Wahlverschiebung gegeben. In Deutschland hat man jedenfalls wenig Grund, Häme walten zu lassen, denn der Klebstoff kommt ja angeblich von dort. Aber das sind alles Lappalien. Der entscheidende Punkt ist, dass man jetzt auf Bundesebene darauf achten muss, noch größeren Schaden abzuwenden.
ÖSTERREICH: SPÖ und ÖVP haben bei dieser Präsidentenwahl desaströs abgeschnitten. Haben Sie die Konsequenzen daraus gezogen?
Pröll: Ich glaube schon, dass beide Parteien in eine Phase des Nach- und Überdenkens eingetreten sind. Die nötigen organisatorischen Konsequenzen sind noch nicht gezogen worden.
ÖSTERREICH: Was muss sich da ändern?
Pröll: Viel. Das Erscheinungsbild, der Arbeitsstil, der Wille, dass man gemeinsam etwas weiterbringen will.
ÖSTERREICH: Diesen Eindruck macht die Koalition nicht …
Pröll: Leider. Ich sag es ganz offen, ich habe mir vom neuen Bundeskanzler mehr erwartet. Wie er den New Deal angekündigt hat, habe ich mir gedacht: O. k., der meint es ernst, und die SPÖ wagt tatsächlich einen Neustart. Aber es ist vollkommen anders gekommen: Die SPÖ driftet unter dem Vorsitz von Kern immer weiter nach links, ob in der Frage der Notverordnung, der Ankündigung einer Maschinensteuer bis hin zur in internationalen Medien geäußerten Theorie, die EU müsse wieder mehr Schulden machen. Ein Bundeskanzler muss einsehen, dass er nicht nur Vorsitzender einer Partei sein kann, sondern er hat über den Dingen zu stehen. Da hat der Bundeskanzler noch einiges an Lehrgeld zu zahlen. Leider.
ÖSTERREICH: Enttäuscht von Kern?
Pröll: Die Erwartungen, die ich in ihn gesetzt habe, hat er bis jetzt nicht erfüllt.
ÖSTERREICH: Die Performance der ÖVP macht Sie glücklicher?
Pröll: Wenn eine Partei sich bei 20 Prozent bewegt, kann man nicht zufrieden sein. Gar keine Frage. Ich glaube, dass sich auch in meiner Partei all jene, die jetzt beklagen, dass die FPÖ so weit vorne ist und alles Mögliche heraufbeschwören, die Frage stellen müssen, warum die FPÖ so weit vorne ist. Die Antwort: Nicht, weil sie so überzeugende Arbeit leistet, sondern weil so viele Wähler angesichts der aktuellen Regierungsarbeit einen Dritten suchen.
ÖSTERREICH: Wer trägt die Hauptschuld am zerstrittenen Bild der Koalition?
Pröll: Von der SPÖ kommt zu wenig. Manchmal hab ich den Eindruck, die folgt einem inneren Trieb. Wenn von der ÖVP ein Vorschlag kommt – Notverordnung, 1-Euro-Job, Mindestsicherung – ist die erste Reaktion einmal Nein. Dann vergehen einige Wochen, bis sich die SPÖ bequemt, sich dem ÖVP-Standpunkt anzunähern. Wozu die unnützen Kilometer? Wäre doch besser, gleich einen vernünftigen Mittelweg einzuschlagen und die Trotzreaktion auszulassen. Je mehr Ideologie, desto konfliktträchtiger und erfolgloser wird das.
ÖSTERREICH: Bei der Mindestsicherung zeichnet sich jetzt ein Kompromiss ab …
Pröll: Aber auch nach dem Schema: Am Anfang war das Nein. Ich versteh überhaupt nicht, warum der Bundeskanzler den Sozialminister an der freien Leine herumlaufen und so destruktiv sein lässt. Jetzt setzt sich unser Grundsatz durch, dass jemand, der arbeitet, mehr im Geldbörsel spüren muss als einer mit einem arbeitslosen Einkommen. Es scheint, als würde sich die SPÖ uns da annähern. Aber ich will den Tag nicht vor dem Abend loben, weil ich dem Sozialminister und der Linken in der SPÖ nicht über den Weg traue. Wenn es bis zum 1. Jänner keine Bundeslösung gibt, wird Niederösterreich seinen eigenen Weg bei der Mindestsicherung im Alleingang gehen.
ÖSTERREICH: Wäre Außenminister Kurz kanzlerfit?
Pröll: Die Frage stellt sich zurzeit nicht. Der Vizekanzler und Parteiobmann hat gesagt, er will weiter in seinen Funktionen bleiben, und Kurz hat betont, dass er diese nicht anstrebt. Das ist für mich zunächst einmal bare Münze. Was die Qualifikation von Kurz betrifft, hat er nicht nur internationale Reputation, sondern er hat gezeigt, dass er ein exzellentes Talent ist. Für mich ist er eines der größten Talente, die ich in meiner politischen Arbeit kennengelernt habe. Er hat großartige Voraussetzungen dafür, in Zukunft eine entscheidende Rolle in der Innenpolitik zu spielen.
ÖSTERREICH: Wird vor Herbst 2018 gewählt?
Pröll: Sollte die Entscheidung anstehen, können wir gerne wieder ein Interview machen. Die Politik ist so raschlebig geworden und da kann von heute auf morgen eine völlig neue Situation entstehen. Ich gehe davon aus, dass das, was der Bundeskanzler mir gegenüber immer wieder äußert, ehrlich gemeint ist – auch wenn sich hartnäckig das Gerücht hält, er wolle doch in Neuwahlen gehen. Aber einfache Frage: Wer außer der FPÖ könnte Interesse an vorzeitigen Wahlen haben? Angesichts der klimatischen politischen Situation wäre es ein Schmarren für die Regierungspartner, jetzt an Neuwahlen zu denken.
ÖSTERREICH: Es gibt Leute, die sagen: Gewinnt Hofer die Wahl, könnte die ÖVP mit Kurz in Neuwahlen gehen. Weil die Österreicher nach einem blauen Präsidenten nicht auch noch einen blauen Kanzler wollen, böte sich da ein Zeitfenster …
Pröll: Kaffeesudleser! Denen würde ich raten, keinen türkischen Kaffee mehr zu trinken, sondern einen ohne Sud.
ÖSTERREICH: Ist TTIP tot?
Pröll: Es ist zunächst auf die lange Bank geschoben. Vor den US-Wahlen wird sich da gar nichts bewegen.
ÖSTERREICH: Was halten Sie davon, dass Kanzler Kern über TTIP und CETA die Partei abstimmen lässt?
Pröll: Ich wünsche ihm alles Gute, denn das ist genau die Art der Politik, die zu hinterfragen ist. Meines Wissens ist das ohne Absprache mit dem Vizekanzler passiert. Es war immerhin SPÖ-Kanzler Faymann, der auf EU-Ebene ein Verhandlungsmandat in Auftrag gegeben hat. Da kann man nicht sagen: Damit hab ich nichts zu tun. Ich schaue mir gern aus der Loge an, was der Kanzler eines Tages in Sachen CETA und TTIP tun wird und wie er sich da aus der Falle befreien wird, die er sich aus populistischen Gründen selbst aufgestellt hat.
ÖSTERREICH: Das Flüchtlingsproblem scheint sich entspannt zu haben. Ist das trügerisch?
Pröll: Es scheint tatsächlich so. Wichtig ist aber, wachsam zu bleiben. Deshalb erwarte ich mir, dass die Notverordnung so schnell wie möglich kommt. Es wäre lächerlich, eine Feuerwehr erst dann zu gründen, wenn das Haus in Flammen steht.
ÖSTERREICH: Notverordnung also gleich und nicht erst ab Nr. 37.500?
Pröll: So ist es.
ÖSTERREICH: Wie sehen Sie die Zukunft Europas?
Pröll: Schon etwas kritisch. Die fehlende Solidarität, wie in der Flüchtlingsfrage, zeigt die Schwächen schonungslos auf. Ich hätte auch vor einem Jahr Brexit nicht für möglich gehalten. Generell ist natürlich schon ein Rechtsruck bemerkbar, andererseits gefällt es mir absolut nicht, wenn der luxemburgische Außenminister laut über einen Ausschluss Ungarns aus der EU nachdenkt. Das sind schon Töne, die auf Entsolidarisierung hinweisen. Man muss da schon sehr umsichtig vorgehen, um die Dinge nicht sehenden Auges zerfallen zu lassen.
Interview: W. Schima