Vernichtendes Zeugnis

Vranitzky kritisiert Europapolitik

13.10.2011

Ex-Kanzler: Den EU-Regierungen mangelt es an Gestaltungswillen.

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© TZ Österreich/Hochmuth
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Der frühere Bundeskanzler Franz Vranitzky (S) hat der Europapolitik der EU-Staaten ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Ganz Europa habe eine Krankheit überzogen, "und diese Krankheit heißt, dass die Regierungen in den Mitgliedsländern so gut wie keine Europapolitik machen", sagte Vranitzky am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion in Wien. Konkret forderte er die Regierungen der kleineren und mittleren Länder auf, sich stärker in Brüssel einzubringen. "Wir müssen nicht immer nur abnicken, was Merkel und Sarkozy in Wirklichkeit eh nicht zusammenbringen."

Den EU-Regierungen mangle es an Gestaltungswillen und Solidarität, erinnerte Vranitzky an seine Kooperation mit anderen EU-Regierungschefs in den 1990er Jahren. "Wir sind auf Almhütten in Tirol gegangen, haben uns eingesperrt, zusammen nachgedacht und gesagt: So machen wir es." Auf diese Weise sei etwa die Beschäftigungspolitik in den damaligen EU-Vertrag gebracht worden.

Als konkretes Beispiel nannte Vranitzky die Regulierung der Finanzmärkte. Wenn der österreichische Bundeskanzler für die Finanztransaktionssteuer eintrete, "dann kratzt es in London nicht einmal wie die Ameise am Elefanten. Wenn wir alle miteinander auftreten, hätte das ein anderes Gewicht". Doch werden die meisten EU-Staaten von Koalitionsregierungen geführt, die "innenpolitisch nicht stark" seien. "Und weil das so ist, kommt es auf europäischer Ebene zu zaghaften und uncouragierten Schritten, weil die Exponenten Sorge haben, dass sie, wenn sie nach Hause kommen, nicht durchkommen." Was Österreich betreffe, so solle man angesichts des Stillstands der SPÖ-ÖVP-Koalition "übers Wahlrecht nachdenken", so Vranitzky in Anspielung auf das Mehrheitswahlrecht.

"Wenn wir uns jetzt nach zwei Perioden SPÖ-ÖVP-Koalition immer wieder sagen lassen müssen, hier wird blockiert, hier ist Stillstand, und wir die Perspektive haben, nach einer Nationalratswahl im Prinzip keine Änderung der Situation zu haben, sind die Aussichten nicht sehr galoppierend. Das muss sehr gründlich überdacht werden", so Vranitzky.




 

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