Koalition einig: Flüchtlinge dürfen Lager zunächst nicht verlassen.
Asylwerber werden sich künftig die ersten fünf Tage in der Erstaufnahmestelle aufhalten müssen. Das sieht ein Kompromiss zur sogenannten Mitwirkungspflicht vor, den ÖVP-Innenministerin Maria Fekter und SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos am Dienstag gemeinsam präsentiert haben. Zwar können Asylwerber in dieser Zeit die Erstaufnahmestelle verlassen, jedoch droht ihnen in diesem Fall eine umgehende Festnahme.
Verlängerung möglich
Konkret sieht die Neuregelung vor, dass sich die Asylwerber ab Stellen des Antrags 120 Stunden zur Verfügung halten müssen. Liegt ein Wochenende dazwischen, können sie bis zu sieben Tage dazu angehalten werden, in der Erstaufnahmestelle zu bleiben.
"Rote Karte" für Asylwerber
Während dieser Zeit erhalten die Flüchtlinge laut Fekter eine "rote Karte". Wenn sie dann das Flüchtlingslager verlassen und aufgegriffen werden, ist für die Exekutive bei einer Ausweiskontrolle sofort erkennbar, dass sich die Asylwerber eigentlich in der Erstaufnahmestelle zu befinden hätten. Die Folge wären dann Verwaltungsstrafen bis hin zur Verhängung von Schubhaft.
Quasi kleinere Gebietsbeschränkung
Die Innenministerin sieht in dieser Maßnahme letztlich eine Verkleinerung der Gebietsbeschränkung, die schon bisher festlegt, dass sich die Asylwerber während des Zulassungsverfahrens nur im politischen Bezirk der Erstaufnahmestelle aufhalten dürfen. Wie die Innenministerin betonte, sei der gegenwärtige Passus "totes Recht", da man von Asylwerbern nicht erwarten könne, dass sie die Grenzen der Bezirke Vöcklabruck (für die Erstaufnahmestelle Thalham) beziehungsweise Baden (für Traiskirchen) genau kennen. Allerdings wird diese Gebietsbeschränkung trotzdem nicht außer Kraft gesetzt. Sie gilt für Flüchtlinge dann, wenn ihr Zulassungsverfahren, bei dem festgestellt wird, ob Österreich für den Asylwerber zuständig ist, nach sieben Tagen noch nicht abgeschlossen ist.
Verfassungskonforme Lösung
Verteidigungsminister Darabos zeigte sich erfreut, dass mit der nunmehrigen Regelung eine verfassungskonforme Lösung gelungen sei. Eine 120-stündige Mitwirkungspflicht sei nicht nur zumutbar, sondern auch richtig. Fekter betonte, dass die Maßnahme Österreich für Schlepper unattraktiver mache.
Ausnahmen aber möglich
Das Verlassen der Erstaufnahmestelle während des Zulassungsverfahrens ist für Asylwerber unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies gilt allerdings nur, wenn dringende familiäre Verpflichtungen vorliegen bzw. Behördenwege oder etwa ärztliche Behandlungen vonnöten sind. Der Besuch eines Supermarktes oder eines Lokals wäre hingegen nicht möglich, selbst wenn man dafür vom Flüchtlingslager nur um die Ecke gehen müsste. Über den Hauptausgang sollten Asylwerber solche Ausflüge ohnehin nicht versuchen. Laut Fekter würde dann wohl die Polizeistation einen Beamten ausrücken lassen, um den Flüchtling in die Erstaufnahmestelle zurückzuhalten.
Faymann sieht richtigen Kompromiss
Auch SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann ist zufrieden mit dem Kompromiss zur Mitwirkungspflicht. Die Lösung sei verfassungskonform und bringe keine Diskussion in einer Rechtsfrage, "in der wir besonders sensibel vorzugehen haben", so der Regierungschef nach dem Ministerrat. Für den SPÖ-Vorsitzenden ist die Mitwirkungspflicht ein Beleg für die Arbeitsfähigkeit der Regierung: "Wenn wir ein Thema in die Hand nehmen, wird das mit hohem gegenseitigen Respekt abgewickelt."
Bundesamt für Migration und Asyl geplant
Der Begutachtungsentwurf zur Mitwirkungspflicht soll noch diese Woche vorgelegt werden. Am 19. Oktober ist der Beschluss im Ministerrat vorgesehen, in Kraft treten soll das Gesetz mit Anfang 2011. Länger dauern wird es zur Etablierung des Bundesamts für Migration und Asyl. Dieses soll seine Arbeit erst 2013 aufnehmen. Vorgesehen ist, dass alle Migrations- und Asylagenten in dieser neuen Behörde gebündelt werden, die auf dem als Erstinstanz dienenden Bundesasylamt aufsetzt. Wie Darabos erläuterte, seien bisher nicht weniger als 113 Behörden (die Bezirkshauptmannschaften, Magistrate, Bundespolizeidirektionen) mit diesen Angelegenheiten befasst gewesen. Einzig der Bereich Beschäftigung bleibt ausgeklammert, hier wird weiter das Arbeitsmarktservice zuständig sein.
Opposition unzufrieden
Mit den Verschärfungen im Asylrecht durchwegs unzufrieden zeigen sich die Oppositionsparteien. Die FPÖ will, dass Asylwerber in einer Asyleinrichtung bleiben müssen, bis das ganze Verfahren positiv oder negativ bewertet wird. Das BZÖ fordert, dass ein Asylwerber, der vor der Erstabklärung das Erstaufnahmezentrum verlässt, automatisch seines Asylantrages verlustig geht und die Grünen kritisieren wiederum die drohenden Festnahmen beim Verlassen der Aufnahmestelle.
FPÖ befürchtet zahllose "Illegale"
"Jeder österreichische Bundesheersoldat muss mindestens 14 Tage durchgehend in einer Kaserne verbringen." Daher sollen Asylwerber bis zum Abschluss des Verfahren kaserniert bleiben, verlangt FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache. Andernfalls sei zu befürchten, dass nach "dieser Woche jene, die Asylmissbrauch betreiben, in der Illegalität verschwinden." Jene, die keinen Missbrauch betrieben, würden hingegen "froh" über die Unterkunft und die Versorgung sein: "Ein Mensch, der ernsthaft verfolgt wird, wird das schätzen."
BZÖ ärgert sich über "Mogelpackung"
BZÖ-Menschenrechtssprecher Gerald Grosz bezeichnete die geplanten Maßnahmen als "löchrige Mogelpackung". Er forderte, dass ein Asylwerber, der vor der Erstabklärung das Erstaufnahmezentrum verlässt, automatisch seines Asylantrages verlustig geht. "Wenn ein Asylwerber versucht unterzutauchen, dann ist davon auszugehen, dass er kein Interesse daran hat, legal in Österreich zu leben, also muss dann sein Asylantrag auch automatisch als nicht mehr existent betrachtet werden", so Grosz.
Grüne schimpfen die SPÖ
Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun warf der SPÖ vor, angesichts der Wien-Wahl "wieder einmal vor Strache und Fekter in die Knie gegangen" zu sein. Noch vor kurzem hätten die Sozialdemokraten das "kollektive Einsperren" von Asylwerbern wegen Verfassungswidrigkeit abgelehnt. Nun werde dem Einsperren bloß ein "beschönigendes Etikett verpasst, das macht es weder besser noch verfassungskonform", kritisiert sie. Die Grünen bestehen "angesichts des starken Verdachts auf Verfassungswidrigkeit" vor der Beschlussfassung auf ein Hearing mit Verfassungsexperten im Innenschuss des Parlaments.
"Auch wenn die Anwesenheitspflicht von Asylwerbern jetzt Mitwirkungspflicht genannt wird, ändert es nichts an der Tatsache, dass Menschen hier unrechtmäßig in "Haft" gehalten werden", kritisiert auch Caritas-Präsident Franz Küberl. Ein genereller Freiheitsentzug riskiert bewusst, dass das verfassungs-, menschen-und europarechtlich garantierte Recht auf persönliche Freiheit verletzt wird. Küberl bezeichnet diese Maßnahme als vollkommen überzogen.
Kritik kommt auch von Diakonie-Direktor Michael Chalupka. Die massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit der letzten Fremdenrechtsnovelle werde um ein Detail erweitert. "Alle sechs Monate eine neue Fremdenrechtsnovelle zu präsentieren und ganze Passagen des gerade beschlossenen für ungenügend zu erklären, zeugt nicht von verantwortungsbewusstem Umgang mit der Grundrechtsmaterie", so Chalupka.