Setzt Türkis-Grün unter Druck

Ludwig: "Sozialliberale Koalition wäre auch im Bund interessant"

01.11.2020

Bürgermeister Michael Ludwig im großen ÖSTERREICH-Interview zu Rot-Pink.

Zur Vollversion des Artikels
© TZÖ /Artner
Zur Vollversion des Artikels
ÖSTERREICH: Warum haben Sie sich entschieden, mitten in der Krise mit den Neos das Experiment ­einer neuen Koalition zu ­wagen?
Michael Ludwig: Es gab zehn Jahre eine gut funk­tionierende Koalition mit den Grünen – zumindest in den meisten Fällen. Ich will Rot-Grün keine Steine nachwerfen, auch wenn zuletzt öfter Differenzen sichtbar wurden. Es war einfach Zeit für etwas Neues. Und das ist die erste sozialliberale Fortschrittskoalition Österreichs. So eine Konstellation wäre in Zukunft auch für andere Ebenen interessant – immerhin hat das in Nordrhein-Westfalen erstmals 1956 funktioniert und wurde dann gut zehn Jahre später zu einem Erfolgsmodell für ganz Deutschland.
 
ÖSTERREICH: Sie wollen, dass Rot-Pink auch im Bund versucht wird?
Ludwig: Die sozialliberale Koalition hat in Deutschland sehr gut funktioniert, und die Zeit der Opposition während dieser Phase war auch für die CDU sehr gut und wichtig.
 
ÖSTERREICH: Wollen Sie die VP in Opposition schicken?
Ludwig: Die ÖVP sitzt seit 1945 nur unterbrochen durch die Regierungen Kreisky und Sinowatz in der Bundesregierung. Da wäre es doch interessant, wenn es auch einmal im Bund eine andere Konstellation gibt.
 
ÖSTERREICH: Hält Ihr Fahrplan für Rot-Pink in Wien?
Ludwig: Ich sehe auf beiden Seiten hohe Bereitschaft zu schnellen Verhandlungen auf Augen­höhe.
 
ÖSTERREICH: Wir haben berichtet, dass Sie einen Öko-Paukenschlag planen. Wird Wien bald klimaneutral?
Ludwig: Ich selbst bin seit den 1980er-Jahren umweltpolitisch engagiert, und die SPÖ treibt das ebenso lange voran. Da geht es nicht um Parteipolitik. Mir ist Klimaschutz persönlich einfach sehr wichtig.
 
ÖSTERREICH: Wird etwa der Lobautunnel nicht gebaut, wie es die Neos fordern?
Ludwig: Das liegt nicht mehr im Bereich der Stadtpolitik. Die Sache ist entschieden.
 
ÖSTERREICH: Teilen Sie die Neos-Forderung nach mehr Ressourcen für Bildung?
Ludwig: Bei der Bildung gibt es viele Übereinstimmungen. Ich muss aber gemeinsam mit unserem Finanzstadtrat Peter Hanke darauf schauen, dass die budgetären Vorgaben eingehalten werden. Da werden wir mit Augenmaß das Geld verteilen müssen, etwa auch für die Arbeitsmarktpolitik.
 
ÖSTERREICH: Ihre eigenen Jungsozialisten nennen es Wahnsinn, mit den neoliberalen Neos eine Koalition einzugehen – Stichworte Mietrecht und Privatisierungen.
Ludwig: Vieles davon, etwa das Mietrecht, ist ­Bundesangelegenheit und wird in Wien gar nicht verhandelt. Und beiden Parteien ist klar, dass sie nicht 100 Prozent ihrer eigenen Vorstellungen durchbringen werden.
 
ÖSTERREICH: Dass Sie für Privatisierungen wären, wäre mir aber völlig neu …
Ludwig: (lacht) Es ist nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Wir haben eine hervorragende Daseins­vorsorge und ein öffent­liches Gesundheitswesen, das weltweit gelobt wird. In der aktuellen Krise ist es wichtig, dass das gut funktioniert. Da sind Privatisierungsdebatten fehl am Platz.
 
ÖSTERREICH: Ist Transparenz, etwa die Halbierung der Parteienförderung, ein Knackpunkt?
Ludwig: Mir ist Transparenz selbst absolut wichtig. Und es ist gut und richtig, dass wir das Thema aufgreifen. Zur Parteienförderung möchte ich derzeit den Verhandlungen nicht vorgreifen.
 
ÖSTERREICH: Werden Sie Wiederkehr den Vizebürgermeister zugestehen?
Ludwig: Ich will eine Koalition auf Augenhöhe. Es ist gut vorstellbar, dass – wenn das Gesamtpaket passt – die Neos das Vizebürgermeisteramt bekommen.
 
ÖSTERREICH: Sie sagten im Parteivorstand, dass das SP-Team unverändert bleibt …
Ludwig: Das Personelle kommt am Ende. Aber es stimmt. Ich bin stolz auf mein Team. Auch wenn wir abhängig von dem Ressort der Neos einige inhaltliche Kompetenzen neu ordnen müssen, wird es so bleiben. Es hat sich sehr bewährt, und ich bin so selbstbewusst, dass ich starke Persönlichkeiten neben mir im Team sehr gut vertrage. Das Regierungsteam braucht den Vergleich mit keinem anderen Team zu scheuen …
Zur Vollversion des Artikels