Rekordsieg im Halbfinale

7:1! Deutsche demütigen Brasilien

08.07.2014

Selecao schlittert im Halbfinale in böses Debakel.

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Brasilien - Deutschland 1:7 (0:5)
Belo Horizonte, Estadio Mineirao, 57.000, SR Rodriguez (MEX)

Brasiliens Traum vom sechsten Fußball-Weltmeistertitel ist bei der Heim-Endrunde auf extreme Art im Halbfinale geplatzt. Die Selecao schlitterte am Dienstag in Belo Horizonte gegen Deutschland in ein 1:7-(0:5)-Debakel und kassierte damit die höchste Niederlage in einem WM-Semifinale überhaupt. Die Deutschen dürfen hingegen mehr denn je vom vierten Weltmeistertitel träumen.

Spiel nach 30 Minuten entschieden
Die Scolari-Truppe präsentierte sich nur in den Anfangsminuten in akzeptabler Verfassung, brach dann aber völlig auseinander. Nach Toren von Thomas Müller (11.), Miroslav Klose (23.), der mit Treffer Nummer 16 zum alleinigen WM-Rekordtorschützen aufstieg, Toni Kroos (24., 26.) und Sami Khedira (29.) war schon nach der ersten halben Stunde alles klar. "Joker" Andre Schürrle (69., 79.) machte den Abend für die Brasilianer mit einem Doppelpack noch bitterer. Oscar (90.) konnte für inferiore Gastgeber nur mehr Resultatskosmetik betreiben.

WM-Premiere
Die Deutschen sorgten mit ihrem Sieg für ein WM-Novum, hatte doch zuvor noch nie (in neun Anläufen) ein europäisches Team in Südamerika gegen eine südamerikanische Mannschaft in der K.o.-Runde gewonnen. Der dreifache Weltmeister überwand im Gegensatz zu 2006 sowie 2010 und damit wie 2002 das Halbfinale - und das in einer beeindruckenden Art und Weise. Eine gelungenere Revanche für das 0:2 gegen die Brasilianer im Endspiel 2002 in Yokohama im zuvor einzigen direkten WM-Duell kann man sich nicht vorstellen.



Für die DFB-Truppe war es der zweithöchste WM-Sieg nach dem 8:0 in der Gruppenphase gegen Saudi-Arabien am 1. Juni 2002 in Sapporo. Nun wartet am Sonntag in Rio de Janeiro der Sieger der Mittwoch-Begegnung Argentinien gegen Niederlande.



Ambitionierter Beginn der Selecao
Die Deutschen setzten auf die selbe Formation, die im Viertelfinale Frankreich 1:0 bezwungen hatte. Bei den Brasilianern ersetzte Bernard den verletzten Neymar, für den gesperrten Kapitän Thiago Silva rückte Bayerns Dante in die Mannschaft. Brasiliens Kapitän David Luiz und Goalie Julio Cesar hatten noch während der Hymne das Trikot des verletzten Superstars Neymar in Händen gehalten. Die Hoffnung, das Turnier für den an einem Lendenwirbelbruch leidenden Barca-Offensivspieler zu gewinnen, erfüllte sich aber keinesfalls.

Brasilien - Deutschland: 0:4

Der Gastgeber, der vor der Partie im Trainingscamp noch Besuch von Team-Psychologin Regina Brandao bekommen hatte, begann zwar aggressiv, leistete sich dann aber für etwas mehr als eine Viertelstunde einen kollektiven Aussetzer. Nach einem Kroos-Corner stand Müller im Strafraum völlig frei und vollendete aus sieben Metern volley zum 1:0 (11.). Kroos war auch beim zweiten Treffer beteiligt, über ihn und Müller kam der Ball zu Klose, der zuerst an Julio Cesar scheiterte und im zweiten Versuch ins Eck traf (23.). Das war der Anfang vom Ende für die Brasilianer.



Lehrstunde für geschockte Brasilianer
Sie leisteten sich zum Teil haarsträubende Fehler, gaben sich zudem förmlich auf. Kroos kam außerhalb des Sechzehners an den Ball, da Müller das Leder nicht richtig getroffen hatte, und sein Schuss passte genau (24.). Gerade einmal zwei Minuten später machte Kroos nach Khedira-Zuspiel seinen Doppelpack perfekt. Dem noch nicht genug, legte Khedira (29.) nach Özil-Vorarbeit einen weiteren Treffer nach. Die Brasilianer waren bis zur Pause nicht in der Lage, sich von dem Schock zu erholen.



In Hälfte zwei präsentierte sich die Scolari-Truppe dann von einer deutlich besseren Seite, sie profitierte aber auch klarerweise davon, dass die Deutschen im Hinblick auf das Finale Kräfte schonten, mehr als einen Gang zurückschalteten. Der Anschlusstreffer wäre schnell fällig gewesen, Manuel Neuer hatte allerdings etwas dagegen. Der Bayern-Goalie klärte eine Ramires-Hereingabe (51.), parierte einen Oscar-Schuss mit dem Fuß (52.) und machte eine Paulinho-Doppelchance (53.) eindrucksvoll zu Nichte.



Ehrentreffer durch Oscar
Damit hatte der fünffache Weltmeister aber auch sein Pulver verschossen. Julio Cesar bewahrte die Brasilianer mit einer Parade bei einem gut angetragenen Müller-Schuss vor dem 0:6 (61.). Das fiel aber doch noch. Nach Lahm-Hereingabe war Schürrle zur Stelle (69.), zehn Minuten später stillte er seinen Torhunger neuerlich. Mesut Özil hatte in Minute 90 noch das 8:0 auf dem Fuß. Im Gegenzug betrieb Oscar noch Ergebniskosmetik (90.). Die Brasilianer kassierten damit im sechsten Anlauf ihre erst zweite WM-Halbfinal-Niederlage gegen ein europäisches Team nach 1938 (gegen Italien).



 

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Miroslav Klose (Deutschland-Torschütze/WM-Rekordtorschütze): "Ich kann es noch nicht so richtig fassen, das ist schwer nach so einem Spiel. Wir haben wirklich super angefangen, und dass wir toll harmonieren können, sieht man auch schon im Training. Wir sind wirklich eine Einheit. Wir haben den Gegner auch gut analysiert. Und Toni (Kroos) bringt die Standards genau dort hin, wo sie hingehören."

Thomas Müller (Deutschland-Torschütze): "Das war natürlich nicht unbedingt zu erwarten. Aber da sieht man mal, wie unterschiedlich Spiele laufen können. Die Räume waren größer als gegen defensiv eingestellte Mannschaften. Das haben wir überragend ausgenutzt, irgendwann bist du als Gegner gebrochen. Jetzt müssen wir noch einmal durchziehen, Vollgas geben und uns das Ding holen. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Jetzt wird man uns in den Himmel loben."

Julio Cesar (Brasilien-Tormann)
: "Ich kann es nicht erklären. Es ist einfach schwierig, das zu erklären. Die Deutschen waren einfach stark, das müssen wir anerkennen. Nach dem ersten Tor sind wir zusammengebrochen, das hatte keiner erwartet. Ich bin wirklich sehr traurig, besonders ich. Ich hätte heute lieber 1:0 mit einem Fehler von mir gewonnen als ein 1:7 zu erleben. Ich bin aber sicher, dass die Spieler wieder aufstehen werden."

David Luiz (Brasilien-Kapitän/Innenverteidiger):
"Ich wollte nur meinem Volk Freude bereiten, allen, die so viel zu leiden haben. Leider haben wir das nicht geschafft. Ich möchte mich bei allen Brasilianern entschuldigen."

Joachim Löw (Deutschland-Teamchef): "Es war wichtig der Leidenschaft und den Emotionen der Brasilianer mit Ruhe, Abgeklärtheit, Behaglichkeit zu entgegnen und auch mit Mut. Das haben wir auch gemacht. Brasilien war dann auch geschockt, das hatten sie nicht erwartet, von daher hatten wir dann leichtes Spiel. Wir haben gut geordnet gespielt und gewusst, dass wenn wir schnell kontern und schnell nach vorne spielen, die Abwehr der Brasilianer ungeordnet ist. Wir haben gewusst, wenn wir das gut machen, werden wir sie auch erwischen. Alle haben ihre Aufgabe wahnsinnig gut und konzentriert erfüllt. Es geht jetzt weiter, ein bisschen Demut ist auch gut. Man darf das jetzt nicht überbewerten und muss konzentriert bleiben bis am Sonntag. Die Spieler sind sehr geerdet und bereit, den nächsten Schritt zu machen.

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