Das niederländische Fußball-Nationalteam beschäftigt vor dem EM-Gruppenfinale am Dienstag (18.00/live ServusTV) in Berlin gegen Österreich wieder einmal eine Stilfrage - jene des Mittelstürmers.
Während der quirlige Memphis Depay in den ersten beiden EM-Partien hauptsächlich mit seinem neuen Stirnband aufgefallen ist, eroberte Wout Weghorst mit seiner Durchschlagskraft die Herzen der "Oranje"-Fans. Gegen das ÖFB-Team könnte der "Joker" seine Chance in der Startelf erhalten.
Im EM-Auftaktspiel gegen Polen (2:1) schoss der eingetauschte Weghorst die Niederländer zum Sieg. Beim folgenden 0:0 gegen Frankreich forderte das halbe, in Orange getauchte Stadion schon nach nicht einmal einer halben Stunde lautstark seine Einwechslung. "Das gibt mir sehr viel Energie", sagte der 1,97-Meter-Mann. "Sie wertschätzen mein Spiel, darauf bin ich schon stolz." Weghorst-Trikots sind laut Angaben des niederländischen Verbandes im Online-Shop ausverkauft. Es herrscht ein regelrechter Hype.
Dabei ist Weghorst kein großer Name des Weltfußballs. Der Premier-League-Club Burnley verlieh den Angreifer regelmäßig, zuletzt eine Saison an die TSG Hoffenheim. Davor war ein Leihengagement bei Manchester United nicht von Erfolg gekrönt. Seine beste Zeit hatte der Sturmtank bis 2022 in Wolfsburg - dort, wo das niederländische Team während der EURO residiert. "Es ist schön, wieder hier zu sein. Es fühlt sich vertraut an", sagte Weghorst am Sonntag in der Autostadt. Dort störte zwar ein Sommerfestival mit der Band Silbermond seinen Schlaf. "Das war schon laut", lächelte der 31-Jährige. "Aber es war okay."
Weghorst weiß, was ihn erwartet
Die Österreicher bereiteten den "Oranjes" im Hotel Ritz-Carlton in Wolfsburg noch keine schlaflosen Nächte. "Wir wissen, was auf uns zukommt", betonte Weghorst, der seinen Wert bei großen Turnieren bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat. Im WM-Viertelfinale 2022 rettete er die Niederländer mit zwei späten Toren nach 0:2-Rückstand gegen den späteren Weltmeister Argentinien in die Verlängerung - im Elfmeterschießen kam allerdings das Aus.
Depay oder Weghorst? Diese Frage stellt sich nicht nur Teamchef Ronald Koeman, sondern auch die niederländische Öffentlichkeit. "Das sind zwei unterschiedliche Spieler mit unterschiedlichen Qualitäten", sagte Liverpool-Star Cody Gakpo über seine Nebenleute. Jene von Weghorst liegen ganz klar im Strafraum. Im Gegensatz zum 20 Zentimeter kleineren Depay ist er der Typ Stoßstürmer, über den viele erfolgreiche "Oranje"-Teams in der Vergangenheit verfügt haben.
Für Depay, bei Atletico Madrid Reservist, spricht seine beachtliche Torquote. 45 Treffer hat der 30-Jährige in 94 Länderspielen erzielt. Nur noch fünf fehlen ihm auf den niederländischen Rekordtorschützen Robin van Persie. Die EM-Tests gegen Kanada und Island (jeweils 4:0) Anfang Juni verliefen vielversprechend, nach den ersten beiden Gruppenspielen mehrte sich aber die Kritik. "Ich bin in der Luft gehangen", beklagte sich Depay nach dem 0:0 gegen Frankreich, gab aber auch zu: "Ich verstehe die Fragen. Es stimmt, dass ich besser werden muss."
Intensive Gespräche
Mit Koeman führte er am Samstag auf dem Trainingsplatz ein ausführliches Gespräch. "Ich bewahre einen kühlen Kopf und weiß, was ich zu tun habe", versicherte Depay. Auf die Meinung anderer gibt der Hobby-Rapper ohnehin wenig. "Who cares" (Wen interessiert's) stand auf das Stirnband gestickt, das er gegen Polen getragen hatte. Auf das Accessoire setzt er seit Beginn der EM-Vorbereitung. Seither erfreut sich auch dieses bei den "Oranje"-Fans immer größerer Beliebtheit.
Eine Leistungssteigerung erhofft sich der Anhang auch von RB-Leipzig-Jungstar Xavi Simons, der auf der EM-Bühne bisher noch nicht geglänzt hat. Anstelle des 21-Jährigen könnte auf dem rechten Flügel erneut Jeremie Frimpong, der bei Deutschlands Meister Bayer Leverkusen eine überragende Saison gespielt hat, beginnen. Ob Koeman Simons in einer anderen Rolle in der Startformation belässt, ist offen. Mit Gelben Karten vorbelastet ist nur das Mittelfeld-Duo Joey Veerman und Jerdy Schouten von PSV Eindhoven.
Qualität haben die Niederländer genug im Kader. Liverpools Ryan Gravenberch etwa hat in den ersten beiden EM-Partien noch keine Minute gespielt - ebenso wie Matthijs de Ligt. Der 70-Millionen-Euro-Mann von Bayern München muss sich in der Innenverteidigung hinter Kapitän Virgil van Dijk (Liverpool) und Stefan de Vrij (Inter Mailand) anstellen.