Die Lazio-Ultras hatten auf einer Autobahn-Raststätte einen Angriff auf Fans von Juventus Turin organisiert.
Die Familie des am Sonntag erschossenen Lazio-Fans Gabriele Sandri hat am Samstag bestritten, dass der Tifoso in seiner Tasche Steine für einen Angriff auf Juve-Ultras auf der Autobahnraststätte in der toskanischen Stadt Arezzo hatte. Dort war er von einem Verkehrspolizisten erschossen worden.
Nur Steinfragmente
"In den Taschen meines Bruders sind nur einige
kleine Steinfragmente gefunden worden. Niemand darf das Ansehen meines
Bruders beschmutzen", sagte Cristiano Sandri, Opfer des getöteten Tifoso. Er
bestritt auch, dass sein Bruder 2002 wegen Beteiligung an Gewaltaktionen in
Mailand festgenommen worden war. Gabriele sei lediglich von der Polizei
vorgewarnt worden, berichtete der Bruder.
Mordanklage
Der Todesschütze des italienischen Fußball-Fans
Gabriele Sandri, der am Sonntag auf einer Autobahnraststätte in der Nähe der
toskanischen Stadt Arezzo erschossen wurde, wird wegen Mordes angeklagt. Das
bestätigte die Staatsanwaltschaft von Arezzo am Donnerstag. Gegen den
Verkehrspolizisten, der weiterhin seine Unschuld beteuert, war bisher wegen
Totschlags ermittelt worden. "Es ist eine unverzeihliche Tat, weil
Waffen die absolut letzte Lösung sein sollten", sagte Staatsanwalt
Ennio Di Cicco.
Kein Versehen
Nach Angaben des italienischen Innenministers,
Giuliano Amato, hat sich der tödliche Schuss auf den Fußball-Anhänger
entgegen ersten Polizeiberichten doch nicht versehentlich aus der Waffe des
Beamten gelöst. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Verkehrspolizist
von der anderen Seite der Autobahn mit ausgestreckten Armen geschossen habe,
berichtete Amato vor dem Parlament.
Zeugen belasten Polizisten
Aus Ermittlerkreisen ging hervor,
dass der Polizist, Luigi Spaccarotella, einen Warnschuss in die Luft
gefeuert hatte, nachdem er beobachtet hatte, wie ein Auto mit Lazio-Fans auf
eine Gruppe von Juve-Ultras losgegangen war. Der Polizist hatte erzählt,
dass sich ein zweiter Pistolenschuss versehentlich gelöst hatte. Zeugen
berichteten jedoch, dass der Polizist mit gestrecktem Arm auf das Auto mit
dem Lazio Fan Gabriele Sandri geschossen hatte, vermutlich um die Reifen zu
treffen. Dabei war der römische Tifoso tödlich getroffen worden. Gegen den
Polizisten werde wegen möglichen Totschlags ermittelt.
Meisterschaft soll gestoppt werden
Nach dem Tod Sandris und den
daraus resultierenden Krawallen im ganzen Weltmeister-Land forderte der
Ex-Internationale und jetzige Teammanager Gigi Riva einen kompletten Stopp
der italienischen Meisterschaft. "In Italien ist es zu Situationen wie
in einem Bürgerkrieg gekommen. Wir müssen die Meisterschaft abbrechen, bis
man das Problem der Gewalt gelöst hat", meinte Riva.
Platini will harte Strafen
UEFA-Präsident Michel Platini
plädiert für drakonische Strafen gegen gewalttätige Fans: "Sie
sollten ins Gefängnis - und zwar nicht nur für zwei Monate, sondern für zwei
Jahre. Und sie sollten niemals wieder ein Stadion betreten dürfen".
Gegen die Gewalt-Exzesse von Fußball-Hooligans hatte der Franzose eine
kuriose Idee. "Jeder Zuschauer sollte ein Kind mit ins Stadion bringen.
Das wäre das beste Gegenmittel für Gewalt", so Platini nach
Angaben italienischer Medien.
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Kaka: "Ihr tötet unseren Sport"
Die Fußballstars
im Weltmeisterland Italien wehren sich gegen die Zerstörung ihres Sports
durch kriminelle Fans und drohen mit einer Abwanderung ins Ausland. "Basta!
Diese Ausschreitungen töten unseren Sport", warnte AC Milans
Brasilianer Kaka und drohte den Tifosi: "Die Stars werden aus Italien
weggehen". Auch italienische Teamspieler wollen sich nicht länger zu "Geiseln
radikaler Anhänger" machen lassen. Teamchef Roberto Donadoni
verurteilte die Krawalle nach dem Tod eines Lazio-Fans am Sonntag auf das
Schärfste: "Das ist zum Kotzen!"
"Ich hatte gedacht, mit der Tötung des Polizisten Filippo Raciti im Februar in Catania sei der Tiefpunkt erreicht gewesen, aber unser Job wird immer schwieriger", klagte Teamstürmer Vincenzo Iaquinta im Trainingslager vor dem entscheidenden EM-Qualifikationsspiel am Samstag in Schottland, in dem der Weltmeister nicht verlieren darf. Iaquinta geht es wie vielen echten Fans: "Ich würde heutzutage kein Kind mehr mit ins Stadion nehmen".
Seedorf: "Wie Bürgerkrieg"
Die Profis erkennen
ihren Sport nicht mehr wieder. "Es ist, als ob Bürgerkrieg herrsche und
wir sind mittendrin, obwohl wir gar nichts dafür können",
sagte Milans Clarence Seedorf. Die Regierung müsse eingreifen, forderte der
Niederländer. Und die Regierung in Rom griff ein: Auf das vehemente Drängen
der Sportministerin Giovanna Melandri hin beschloss der Fußballverband
(FIGC) am Montagabend eine Spielpause für die Serie B und C. Die Serie A hat
wegen der EM-Qualifikation am Wochenende ohnehin spielfrei. Immerhin 56
Spiele fallen aber aus.
"Wir müssen das Gute im Fußball retten", forderte Teamkeeper Gianluigi Buffon, während sich die Staatsanwaltschaft in Rom mit nie dagewesener Härte um das Böse im Fußball kümmerte. Den bei den Fan-Krawallen in Rom festgenommenen Randalierern drohen Haftstrafen von fünf bis zehn Jahren. Möglich werden derart lange Gefängnisstrafen durch die Anklage wegen "terroristischen Aktionen". Ein gezielter und geplanter Angriff auf eine Polizeistation sei keine einfache Randale mehr, sondern Terrorismus, sagen die Staatsanwälte, die ohnehin politische Scharfmacher hinter den Randalierern vermuten.