"Hochstapler"
Frankreich rechnet mit Versagern ab
18.06.2010
Französische Medien "pfeifen auf dieses Team" und schimpfen "Hochstapler".
Frankreich ist keine "Grande Nation" mehr, zumindest nicht im Fußball. Das hat die Nationalmannschaft am Donnerstag wieder einmal eindrucksvoll bewiesen. Die Franzosen stehen bei der WM in Südafrika nach einer verdienten 0:2-Niederlage gegen Mexiko bereits nach zwei Gruppenspielen vor dem Aus. Seit dem im Elfmeterschießen verlorenen WM-Finale 2006 gegen Italien ist es für die "Equipe Tricolore" unter Raymond Domenech nur noch bergab gegangen. Nun scheint ein neuer Tiefpunkt erreicht.
"Kleine Fußballnation"
"Wir fühlen uns wie eine
kleine Fußball-Nation. Und das tut sehr weh", gestand Kapitän Patrice Evra.
"Das ist eine Katastrophe. Ein anderes Wort gibt es dafür nicht." Denn die
Franzosen wissen um die Klasse, die in ihrer Mannschaft stecken würde.
Allein, es handelt sich um individuelle Klasse. "Dass Problem ist, dass wir
auf dem Feld keine Mannschaft sind", erkannte Evra. Teamchef Domenech, der
nach der WM von Laurent Blanc abgelöst wird, hat es offenbar wieder nicht
geschafft, die Stars zusammenzuschweißen - und muss sich daher Kritik
gefallen lassen.
Hoffen und beten
"Diese Bleus haben in Südafrika nicht mehr viel
zu suchen", meinte die Zeitung "Le Parisien". "Am Dienstag müssen wir
gewinnen und beten." Denn im Falle eines Unentschiedens zwischen
Tabellenführer Uruguay und Mexiko würden diese beiden Teams aus Gruppe A fix
in die nächste Runde einziehen - unabhängig vom Ergebnis Frankreichs gegen
Südafrika. Die Hoffnungen der Franzosen nährt lediglich, dass wohl keiner
der beiden Konkurrenten als Gruppenzweiter im Achtelfinale gegen Argentinien
antreten möchte.
"Wir brauchen ein Wunder", gestand Mittelfeldspieler Jeremy Toulalan. Die heimische Presse hat das Team bereits abgeschrieben. "Wir pfeifen drauf, diese Bleus verdienen es nicht", betonte die Sportzeitung "L'Equipe". "Keine Trauer, keine Enttäuschung, und vor allem keine Wut. Das würde diesen Männern zu viel geben, das sie nicht wert sind." Nach dem 0:0 gegen Uruguay warten die Franzosen weiterhin auf einen WM-Treffer, gegen die Mexikaner waren sie nicht einmal zu einer echten Torchance gekommen.
Ribery falsch besetzt
Die Offensive ist zwar hochkarätig besetzt,
mit Karim Benzema ließ Domenech aber einen Topstürmer zu Hause. Zudem musste
gegen Mexiko neben Rekordtorschütze Thierry Henry auch Spielmacher Yoann
Gourcuff auf der Bank schmoren. An seiner Stelle war Franck Ribery sichtlich
damit überfordert, das Spiel im Zentrum zu organisieren. Der Bayern-Star
fühlt sich am Flügel deutlich wohler, hat er bereits mehrfach betont.
Domenech scheint es egal zu sein.
Harte Kritik am Teamchef
"Domenech ist gescheitert", schrieb "Le
Figaro". "Zwischen Arroganz, Realitätsverweigerung und Missverständnissen
gräbt sich die Tricolore systematisch ihr Grab." Schon bei der EURO 2008
waren die Franzosen nach schwachen Leistungen in der Gruppenphase
gescheitert. "Ich habe geglaubt, dass wir unsere Lektion von 2008 gelernt
haben", meinte Kapitän Evra. "Aber wir haben es nicht getan." Domenech rang
nach der nächsten Pleite nach Worten. "Wir haben alle enttäuscht, die an uns
geglaubt haben", sagte der Teamchef.
Während die Franzosen wie schon bei der WM 2002, als sie als Titelverteidiger ohne Tor geblieben waren, vor dem vorzeitigen Aus stehen, wähnen sich die Mexikaner im siebenten Himmel. Joker Javier Hernandez und Altmeister Cuauthemoc Blanco per Elfmeter schossen das Tor zum fünften WM-Achtelfinale in Folge weit auf. "Wir haben aber noch einen langen Weg vor uns", betonte Hernandez, der gegen Uruguay von Beginn an stürmen dürfte. Arsenal-Jungstar Carlos Vela fällt mit einer Muskelverletzung im Oberschenkel nämlich auf unbestimmte Zeit aus - der einzige Wermutstropfen.
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"L'Equipe": "Hochstapler. Das nullenhafte Auftreten der französischen Mannschaft widerlegt alle Reden von Raymond Domenech und seinen Spielern über ihre Charakterstärke und ihre Fähigkeit zur Reaktion. Diese Bleus verdienen es nicht. Wir pfeifen drauf. Keine Trauer, keine Enttäuschung, und vor allem keine Wut. Das würde diesen Männern zu viel geben, das sie nicht wert sind."
"Le Parisien": "Diese Bleus haben in Südafrika nicht mehr viel zu suchen. Am Dienstag müssen wir gewinnen und beten."
"Liberation": "Blauer Albtraum. Domenech und die französische Mannschaft sind praktisch ausgeschieden. Ribery ist ein Kreisel: Er dreht sich um sich selbst, macht ein Loch in den Rasen und fällt am Ende um. Kaputt."
"Le Figaro": "Domenech ist gestern gescheitert. Zwischen Arroganz, Realitätsverweigerung und Missverständnissen gräbt sich die Tricolore seit zwei Jahren systematisch ihr Grab."
"Le Progres": "Das ist die absolute Vergeudung, eine Art innerste Leere, von der sich der französische Fußball vielleicht nicht so schnell erholt. Weit entfernt von den ruhmreichen Kampagnen 1958, 1982, 1986, 1998 und 2006 hat die französische Mannschaft auf afrikanischem Boden auf ganzer Linie versagt."