Nach der demütigenden 0:6-Pleite gegen Spanien gerät DFB-Coach Löw in Erklärungsnot.
Die historische 0:6-Demolierung durch Spanien hat am Dienstagabend nicht nur hoffnungsfrohe Spanier, sondern eine schwer verunsicherte deutsche Fußball-Nationalelf hinterlassen. Vor allem der Plan von Teamchef Joachim Löw, bis zur EM 2021 eine verjüngte, aber nicht minder konkurrenzfähige Truppe zu schmieden, steht nun infrage. Der Coach selbst sitze aber fest im Sattel, betonte DFB-Direktor Oliver Bierhoff: "Das Vertrauen ist da, daran ändert auch dieses Spiel nichts."
"Desolate DFB-Elf lässt sich vorführen" (Stuttgarter Zeitung), "Jogi, das war peinlich" (tz), "Lehrstunde für Löw" (Frankfurter Rundschau), "Die Barbiere von Sevilla. Spanien rasiert Deutschland" (Ostthüringer Zeitung), "Das Debakel schockt" (Mitteldeutsche Zeitung) oder "Der Untergang" (Nürnberger Zeitung). Deutschlands Tageszeitungen waren am Mittwoch um drastische Beschreibungen nicht verlegen. Und eine völlig hilf- und orientierungslose DFB-Elf hatte es ihnen auch nicht schwer gemacht. Zweieinhalb Jahre nach dem WM-Vorrunden-K.o. schwant den deutschen Fans neuerlich Böses.
Statt den erhofften Gruppensieg zu feiern, steht Löw nach dem sportlichen Untergang in Andalusien plötzlich vor den Trümmern seiner ohnehin kritisch begleiteten Aufbauarbeit. "Es war ein Abend, an dem uns absolut nichts gelungen ist. Wir sind enttäuscht und absolut sauer", sagte Löw. "Wir hatten keinen Zugriff, keine Zweikampfhärte, kein Zweikampfverhalten", monierte der einstige Tirol- und Austria-Coach, dessen Team nun vier Monate pausiert, ehe im März ein Länderspiel-Dreierpack zum Start der WM-Quali ansteht.
Trennung nach 13 Jahren beim DFB?
"Wir haben gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind nach den letzten Spielen und diesem Jahr, das insgesamt schwierig war. Wir haben jetzt einen richtigen Rückschlag hinnehmen müssen", gestand der Weltmeister-Coach von 2014. "Ob ich mir Sorgen um meinen Job machen muss, müssen sie andere fragen", meinte er nach seinem 189. Länderspiel. Im DFB-Führungszirkel könnten freilich Fragen laut werden, ob die Symbiose Löw-Bierhoff nach 16 gemeinsamen Verbandsjahren die nötige Reformkraft und Krisenfähigkeit besitzt.
Unausweichlich ist der vielstimmig erschallende Ruf nach einer Rückkehr der Ex-Weltmeister Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels zur Stabilisierung der Mannschaft. Ohne das hochdekorierte Trio ist das Team offenbar führungslos. Mittelfeldspieler Toni Kroos und Tormann Manuel Neuer allein genügen nicht. Vom großen Rest hat keiner die Persönlichkeit, den Charakter oder die Erfahrung, um als Leader aufzutreten. Auch nicht das Quintett von Champions-League-Sieger Bayern München, das in Spanien in der Startelf stand. "Das Vertrauen ist jetzt im Moment nicht völlig erschüttert. Diese junge Mannschaft hat auch die Fähigkeit, sich so zu entwickeln, dass wir eine leistungsstarke, konkurrenzfähige Mannschaft haben. Davon bin ich absolut überzeugt", sagte Löw dazu knapp.
Die historischen Fakten der höchsten Niederlage seiner Amtszeit werden Löw aber dauerhaft begleiten. Mit sechs Toren Differenz hatten die Deutschen zuletzt am 24. Mai 1931 in Berlin gegen Österreichs Wunderteam verloren. In der Nachkriegszeit war bisher ein 3:8 gegen Ungarn in der Gruppenphase der WM 1954 Deutschlands höchste Pleite gewesen. Die spanische Sportzeitung "Marca" beschrieb das Geschehen von Sevilla gar mit einer "Vernichtung": "Die Mannschaft, die sonst immer andere erdrückt, wurde zu einem Spielzeug in den Händen der Spanier, einem kaputten Spielzeug."
Spanien "hungrig" wie einst
Im Gegensatz zu Löw scheint Spaniens Coach Luis Enrique am besten Weg, ein junges, hungriges und erfolgreiches Team auf die Beine zu stellen. Nur wenige Führungsspieler wie Sergio Ramos oder Sergio Busquets sind aus der goldenen Ära mit dem WM-Titel 2010 und den EM-Titeln 2008 und 2012 übrig geblieben. Jungstars wie der 20-jährige Triplepacker Ferran Torres von Manchester City oder Leipzigs hochveranlagter Dani Olmo sollen es nun richten. Und das Niveau kann weiter angehoben werden, denn Spanien spielte gegen Deutschland nicht einmal in Bestbesetzung. Thiago fehlte genauso wie Busquets oder Barcas 18-jähriger Jungstar Ansu Fati, der nach einem Meniskusriss vier Monate pausieren muss.
"Dieses Ergebnis wird die jungen Spieler ermutigen. Jetzt wissen sie, dass sie das Level haben", betonte Luis Enrique, und Ramos fügte hinzu: "Diese historische Nacht wird uns helfen, als Team zu wachsen." "Deutschland hatte seine beste Mannschaft aufgestellt, und ich denke, dass wir von Anfang an sehr gut gespielt haben. Es war eines der besten Spiele der Nationalmannschaft", betonte Luis Enrique.