Paul Scharner
Jetzt spricht der neue Teamkapitän
04.06.2009
England-Legionär gegen Serbien erstmals Kapitän: "Brauchen Fundament".
Ihr bisheriger Clubtrainer Steve Bruce wechselt von Wigan zu Sunderland.
Für Sie überraschend?
Scharner: "Definitiv, das ist eine
große Überraschung. Er hat sehr lange beteuert, dass er in Wigan
bleibt. Ich hoffe, dass das für mich keine Probleme bedeutet. Der
Generalmanager hat gesagt, dass er nicht einen Steve Bruce und einen Paul
Scharner hergeben will."
Bruce würde Sie gerne weiter haben. Werden Sie ihm nach Sunderland
folgen?
Scharner: "Nein, Sunderland kann ich mir nicht wirklich
vorstellen. So gut bin ich mit der Spielanlage von Bruce auch nicht zurecht gekommen.
Und sportlich wäre es im Vergleich zu Wigan derzeit sicherlich keine
Verbesserung."
Ihr Vertrag läuft bis 2011. Gehen Sie davon aus, auch in der kommenden
Saison für Wigan zu spielen?
Scharner: "Eigentlich habe ich
beschlossen, dass ich mich verändern will. Die Situation ist durch den
Trainerwechsel jetzt etwas anders. Die Deadline ist am 31. August. Bis dahin
kann noch sehr viel passieren. In Norwegen (Brann Bergen) habe ich damals
(August 2004) auch erst zwei Minuten vor Mitternacht unterschrieben."
Angebote gibt es einige. Wie groß schätzen Sie derzeit Ihren Marktwert
ein?
Scharner: "Ein Marktwert ist immer relativ. Er setzt sich aus mehreren
Komponenten zusammen - das Alter, die Nationalität, der Club, bei dem
man spielt. Meine festgeschriebene Ablösesumme beträgt sechs
Millionen Pfund (6,98 Mio. Euro). Interessensbekundungen gibt es von vier
Clubs in England und in Deutschland. Das ist ein Prozess. Auch Deutschland
ist nicht auszuschließen."
Waren Sie mit der abgelaufenen Saison zufrieden?
Scharner: "Ich
würde das letzte Jahr als ein Krisenjahr bezeichnen. Ich bin mit einer
Knöchelverletzung gestartet, habe wegen des Comebacks im Nationalteam
aber durchgebissen. Das habe ich bis in den Dezember hinein gespürt. Schnell
habe ich meinen Stammplatz verloren. Halbfit hat man in der Premier League
keine Chance. Das letzte Saisondrittel habe ich dann im Mittelfeld gespielt."
Dort spielen Sie auch im Nationalteam. Würden Sie mittlerweile nicht
mehr unterschreiben, dass die Innenverteidigung Ihre beste Position ist?
Scharner:
"Das ist die große Schwierigkeit in meiner Karriere - ich weiß es
nicht. Es gibt ein großes Ich und ein kleines Ich und die bekämpfen
sich ständig. Ich bin gerade dabei, das auszuarbeiten. Für den
Markt ist es nicht gut, keine fixe Position zu haben. Daher muss ich mich
bei meinem nächsten Schritt wohl entscheiden."
In welchen Bereichen haben Sie sich in den vergangenen Jahren im Ausland
besonders weiterentwickelt?
Scharner: "Wenn du wöchentlich gegen
absolute Topspieler spielst, bleibt dir nichts anders übrig, als dich
weiterzuentwickeln. Paul Scharner steht für Entwicklung - körperlich und
fußballerisch, aber vor allem als Persönlichkeit. Das Wichtigste ist
die Lebenserfahrung. Daher begrüße ich es auch, dass viele junge
Österreicher ins Ausland gehen. Das ist vielleicht das Problem des
englischen Fußballs. Dort macht das niemand. Es ist auch kein Ziel."
Österreich hat eine junge Mannschaft wie lange nicht. Was kann und
muss ein Kapitän so einem Team geben?
Scharner: "Für mich ist
es eine Aufgabe, in der Entwicklung dieser jungen Spieler mitzuhelfen.
Routiniers und Legionäre sind da besonders gefordert. Wir brauchen ein
Fundament, auf dem der österreichische Fußball aufbauen kann. Wir haben
viele junge Talente. Das ist die Arbeit aus zehn Jahren Leistungszentren und
Akademien. Jetzt müssen wir nur noch an unseren Fußball glauben."
Sind vor diesen zehn Jahren Versäumnisse passiert?
Scharner:
"Wenn man den schlechtesten Blickwinkel hernimmt, dann haben wir seit
der 1978er-Generation (WM-Siebenter) keinen Erfolg mehr gehabt. Man hat
etwas versäumt. Ich würde das mit einer Verletzung vergleichen.
Die geht auch nicht über Nacht weg, aber man muss etwas dagegen tun.
Ich werde höchste Leistungsbereitschaft bringen. Vielleicht können wir
schon erfolgreich sein, vielleicht aber auch erst die nächste Generation."
Täuscht der Eindruck, dass es im Teamtraining derzeit ungewöhnlich
hart zur Sache geht?
Scharner: "Nein, es ist tatsächlich so -
ähnlich wie in England. Es ist sehr viel Tempo drin, einige Junge sind
sogar etwas übereifrig. Da war ich selbst nicht anders. Als
Führungsspieler ist es jetzt aber auch unsere Aufgabe, für Ruhe zu
sorgen."
War es für Sie klar, nach dem Ausfall von Emanuel Pogatetz zum Kapitän
ernannt zu werden?
Scharner: "Das habe ich schon bei der ersten
Zusammenkunft in Kärnten so verstanden. Ich war auch in Wigan schon Kapitän.
Es wird aber natürlich ein spezielles Gefühl, erstmals die
Nationalmannschaft aufs Feld zu führen."
Was hat sich unter Teamchef Dietmar Constantini im Gegensatz zu seinem
Vorgänger Karel Brückner geändert?
Scharner: "Die
Kommunikation. Der Teamchef ist ein Kommunikator. Das wirkt sich auf das
Team aus. Da wird umarmt, da wird abgeschlagen. Es herrscht eine gute
Stimmung. Spielerisch war das Problem bei Brückner, dass er nur ein System
auf Lager gehabt hat. Leider hat das nicht so gut funktioniert."