Teamchef Rangnick will Leistungen wie gegen Türkei auch bei EM sehen
Ralf Rangnick hat das Stimmungshoch im österreichischen Fußball-Nationalteam zweieinhalb Monate vor EM-Start wohlwollend zur Kenntnis genommen. Der Teamchef mahnte aber dazu, Leistungen wie am Dienstag beim 6:1-Testspielsieg in Wien gegen die Türkei auch beim Turnier in zweieinhalb Monaten in Deutschland auf den Platz zu bringen. "Es geht immer darum, was in Zukunft passiert", betonte der Deutsche, der sich auf einige schwierige Kaderentscheidungen wird einstellen müssen.
Das ÖFB-Team trifft nach dem höchsten Sieg seit viereinhalb Jahren erst am 29. Mai in Windischgarsten wieder zusammen. Rangnick ringt nach den zuletzt starken Auftritten mit sich, ob er überhaupt mehr als die 20 im EM-Kader vorgesehenen Feldspieler in die Vorbereitung mitnehmen soll. "Wovor es mir wirklich ein bisschen graust, ist, ganz ehrlich, wenn dann dort alle fit sind und wir womöglich 23 eingeladen haben, dann am 7. Juni zu sagen, ich habe keine Rose für euch. Das ist nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig."
"Keine einfache Aufgabe"
Die Kadergröße wurde nach der Corona-EM 2021 von der UEFA von 26 wieder auf 23 Mann reduziert - inklusive Torhütern. Der erste Lehrgang des Jahres mit dem Länderspiel-Doppel gegen die Slowakei (2:0) und Türkei hätte ihm die Entscheidungen nicht leichter gemacht, sagte Rangnick. "Es haben einige Spieler schon sehr auf sich aufmerksam gemacht. Das wird keine einfache Aufgabe. Aber so ist es mir lieber, als wenn wir nicht so viel nachdenken müssten."
Einige Akteure wie Romano Schmid und Andreas Weimann rechtfertigten ihre Einwechslungen bereits in der Slowakei. Schmid überzeugte gegen die Türken auch in der Startelf. Rangnick wollte keinen Spieler herausheben. "Es war eine bärenstarke Mannschaftsleistung von uns, eine Willensleistung auch - vor allem, weil es auch eine Viertelstunde gab, wo es nicht einfach war."
In dieser hatten die Türken vor der Pause das Spiel fest im Griff, entzogen sich durch ihre Ballsicherheit dem österreichischen Pressing. "In der zweiten Halbzeit war es richtig gut, was wir gespielt haben, vor allem gegen den Ball", lobte Rangnick. Von den sechs ÖFB-Toren seien vier aus Pressing- bzw. Gegenpressingsituationen entstanden. "Dass es eine unserer größten Stärken ist, wie die Mannschaft insgesamt bei Ballbesitz des Gegners agiert, ist kein Geheimnis."
Das wollen die Österreicher auch bei der EURO zeigen. "Wir sind mit der aktuellen Verfassung der Mannschaft zufrieden, obwohl uns schon einige nicht nur Stammspieler, sondern auch Führungsspieler gefehlt haben", erinnerte Rangnick an die Ausfälle von David Alaba, Marko Arnautovic oder Marcel Sabitzer. "Jeder hat auf dem Platz Verantwortung übernommen, auch in Phasen, in denen es nicht so lief. Das war am Ende entscheidend. Richtig los geht es aber erst am 17.6., dann zählt es richtig - und am 21.6. und am 25.6."
"Beste Team zu sein"
Dann stehen in dieser Reihenfolge die EM-Gruppenspiele gegen Frankreich, Polen und die Niederlande auf dem Programm. Fünf Partien in Folge hat das ÖFB-Team mittlerweile gewonnen. "Wir haben uns nicht für die EURO qualifiziert nach dem olympischen Motto 'Dabeisein ist alles'", betonte Rangnick. Man wolle dort Leistungen wie in den Tests gegen Deutschland (2:0) oder nun die Türkei abrufen.
"Wir haben das Ziel, mit die beste, oder sogar die beste Mannschaft als Team auf dem Platz zu sein bei der EURO", erklärte Rangnick. Die ÖFB-Auswahl soll jene Mannschaft sein, gegen die es am schwierigsten sei, Tore zu erzielen oder gar nur Chancen zu kreieren. "Dazu war das ein guter Schritt, dass wir gegen eine so spielstarke Mannschaft wie die Türkei so wenig zugelassen haben", sagte der Teamchef. Andererseits habe man selbst sehr viel herausgespielt. "Das gibt der Mannschaft schon auch das Gefühl, wozu sie imstande ist."
Sind nicht in der Waldorfschule
Dabei fehlten mit Alaba, Arnautovic und Sabitzer die drei Stars, die jeweils schon zwei EM-Turniere in den Beinen haben. "Solange wir gegen den Ball so spielen, ist es sehr schwer gegen uns, selbst wenn einige Leistungsträger ausfallen", meinte Rangnick. "Aber wir müssen es erst einmal schaffen, auf dem gleichen Niveau dann auch bei der EURO zu spielen." Man gehe mit einem guten Gefühl in die nächsten länderspielfreien Wochen. "Dann müssen wir schauen, wer es nachher wirklich schafft, am 29. Mai in Windischgarsten dabei zu sein."
Bei Alaba wird es nach dessen im Dezember erlittenen Kreuzbandriss ein schwierig zu gewinnender Wettlauf gegen die Zeit. Er werde mit seinen Spielern in Kontakt sein, versicherte Rangnick. Wöchentliche Telefonate mit allen EM-Kandidaten will er aber nicht führen. "Es ist jetzt bei uns nicht so, dass es zugeht wie in der Waldorfschule, dass wir ständig einen Schulkreis nach dem anderen machen."
Rangnick will selbst möglichst viele Spiele vor Ort beobachten - kommende Woche etwa das Cup-Halbfinale zwischen Salzburg und Sturm Graz (4. April). Auch deutsche Bundesliga steht auf dem Menüplan. "Damit wir die Eindrücke, die wir bekommen, weiterhin in die Nominierung einfließen lassen können", erklärte der 65-Jährige. Wie viele Spieler er nach Windischgarsten mitnimmt, will er in Ruhe überlegen. "Das hängt auch davon ab, was in den nächsten Wochen noch passiert." Vor allem auf dem Gesundheitssektor.