Scharner über seinen Abgang vom Team, sein kaputtes Verhältnis zu Koller und sein Gewissen.
Am Abend vor dem Ländermatch gegen die Türkei (2:0) hatte Paul Scharner einen Entschluss gefasst: Er würde nie wieder für Österreich spielen! Der 32-Jährige plante einen der spektakulärsten Abgänge, die es beim ÖFB-Team je gegeben hat …
Skandal.
Noch vor dem Match packte der Niederösterreicher seine Sachen und flog nach Hamburg, wo Scharner seit diesem Sommer beim HSV unter Vertrag steht. Zurück ließ er einen fassungslosen Teamchef Marcel Koller. Scharner hatte von dem Schweizer allen Ernstes eine schriftliche Einsatzgarantie für die nahende WM-Qualifikation gefordert. Als Koller ablehnte, gab Scharner dem Magazin News ein Skandal-Interview, das noch vor dem Ankick zum Türkei-Match erschien. Darin polterte er: „Mit Koller fahren wir nie zur WM 2014!“ Und jammerte: „Ich kann nur alles in die Waagschale werfen, wenn ich fix dabei bin, nicht wenn ich als Kaderfüller herumrenne.“
Einzigartig.
Koller zu dem einzigartigen Vorfall: „Ich kann es nicht akzeptieren, wenn einer einen Stammplatz fordert. So war die Situation. Unter mir wird er sicher nicht mehr spielen.“ Unterstützung erhält er von Ex-Teamchef Hans Krankl: „Wer eine Stammplatzgarantie für sich fordert, hat im Nationalteam nichts zu suchen.“
Front.
Also – zumindest klare Fronten? Nein! Am Tag nach dem Türkei-Spiel wurde es richtig schmutzig. Da stellte sich Scharner in Hamburg vor ca. 15 Reporter und behauptete: „Ich habe nie einen Stammplatz gefordert. Koller hat die Unwahrheit gesagt. Es geht um Wertschätzung. Ohne Koller würde ich sehr gern für mein Heimatland spielen.“
Verpasst.
Scharner behauptete sogar: „Ich bin ein sehr umgänglicher Typ, ein Profi durch und durch.“ Dabei war der durchgeknallte Typ, der so gern Hornbrillen trägt, schon zweimal aus einer Mannschaft geflogen: 2003 verweigerte Scharner dem damaligen Austria-Coach Jogi Löw seine Einwechslung in einem Ligaspiel gegen den GAK. Scharner wurde entlassen, floh nach Norwegen (zu Brann Bergen). 2006 weigerte er sich unter Josef Hickersberger, beim Vier-Länder-Turnier in der Schweiz zu spielen. Er flog aus dem Team, verpasste die EM 2008.
Egotrips.
Was treibt Scharner zu solchen Egotrips? Szenekenner vermuten, dass sein Berater und Mentaltrainer Valentin Hobel (53) dahintersteckt. Der Guru, der gern weiße Schals trägt, hat Scharner mit ausgiebigem Mentaltraining zu dem gemacht, der er ist: Ein mäßig begabter Kicker, der es dank unerschütterlichen Selbstbewusstseins und eisernen Willens bis nach England und Deutschland gebracht hat. Aber auch einen gnadenlosen Egozentriker, der unter chronischer Selbstüberschätzung leidet. Und vergessen hat, dass Fußball ein Teamsport ist.
INTERVIEW:
ÖSTERREICH: Herr Scharner, wie geht es Ihnen nach dem turbulenten Abflug vom Team?
Paul Scharner: Diese Sache hat mich sehr mitgenommen. Ich hatte eine Vision, wollte unbedingt zur WM 2014. Der Traum ist geplatzt. Ich kann das noch nicht so einfach aus meinem Hirn wegwischen.
ÖSTERREICH: Warum musste es dann so weit kommen?
Scharner: Es geht um Wertschätzung. Teamchef Koller hat mir erklärt, dass er mit Prödl und Pogatetz ein besseres Gefühl hat. Da habe ich meine Zweifel bekommen.
ÖSTERREICH: Bitte konkreter?
Scharner: Ich habe am Dienstagvormittag ein Gespräch mit Koller gehabt. Da hat er mir erklärt, dass ich als Innenverteidiger zu wenig Spiele habe. Da habe ich zuerst mal geschluckt, am Nachmittag dann ganz normal trainiert. Dann habe ich Herrn Koller einen Brief geschrieben.
ÖSTERREICH: In dem Sie eine Stammplatzgarantie gefordert haben?
Scharner: Nein, die habe ich nicht gefordert, nur Wertschätzung, Akzeptanz und Respekt. Ich habe 330 Erstligaspiele und über 200 Einsätze in der Premier League, bin der erfahrenste Spieler im Team. Wenn die Wertschätzung nicht da ist, kann ich sehr ungemütlich werden.
ÖSTERREICH: Darum sind Sie mit einem Interview in die Offensive gegangen?
Scharner: Ich habe am Samstag ein ganz normales Interview gegeben. Ich war ja guter Dinge. Am Dienstag habe ich es dann geändert. Ich wollte wegen der neuen Situation einen Crash provozieren, dachte mir, dann kommen die Leute zusammen. Fußball ist doch ein öffentlicher Beruf, da sollte man so professionell sein und sich nachher im Sinne der Sache zusammenraufen. Das sollte ein Wachrütteln sein.
ÖSTERREICH: Der Schuss ist aber voll nach hinten losgegangen …
Scharner: Stimmt. Als ich den Teamchef am Mittwoch vom Interview unterrichtet habe, wollte er, dass ich es zurückziehe. Das ging aber nicht mehr. Dann ist er vor die Mannschaft getreten und hat gesagt, dass ich entlassen bin. Jetzt geht es rund im Blätterwald, auch in Deutschland. Und der Scharner ist wieder der Schwarze Peter. Typisch Paul, heißt es. Damit muss ich leben. Ich bin kein bunter Vogel, sondern eine eigene Persönlichkeit, ein sehr umgänglicher Typ, ein Profi durch und durch.
ÖSTERREICH: Ist Ihre Teamkarriere jetzt endgültig beendet?
Scharner: Ich habe nie gesagt, dass ich nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen werde. Für Österreich zu spielen, ist eine Herzensangelegenheit für mich.
ÖSTERREICH: Wie geht es nun weiter mit Ihnen?
Scharner: Meine ganze Konzentration gehört dem HSV.
ÖSTERREICH: Dort befürchtet man schon, dass Sie heute abreisen, weil Sie im Pokal in Karlsruhe nicht erste Wahl sind?
Scharner: Ich habe kein Problem, mich auf die Bank zu setzen. Trainer Fink hat es mir erklärt. Ich werde alles geben, um Stammspieler zu werden.
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