Englands Leidensweg bei Fußball-Großereignissen ist hinlänglich bekannt. Mit Ausnahme des WM-Triumphs 1966 im eigenen Land gelang den "Three Lions" kein einziger großer Titelgewinn.
Zuletzt scheiterte man im EM-Finale vor eineinhalb Jahren im Wembley-Stadion an Italien, und zwar in bester englischer Tradition im Elfmeterschießen. Vor der WM in Katar spricht einiges für ein Ende der Misserfolgsserie - aber auch einiges dagegen.
Als Vorteil für die Engländer gilt der Zeitpunkt des Turniers. Normalerweise kommen die Kicker von einer harten Premier-League-Saison geschlaucht zu einer WM, diesmal sollten sie sich in starker physischer Verfassung befinden. Größter Pluspunkt ist aber die Qualität des Kaders. England verfügt vor allem in der Offensive über viele hochkarätige Spieler.
Im Gegensatz dazu gilt die Abwehr als fehleranfällig. Um dieses Manko zu kaschieren, setzt Teamchef Gareth Southgate oft auf Defensive, was zuletzt aber auch nicht den gewünschten Erfolg brachte. Im September stieg England aus der höchsten Klasse der Nations League ab. Das letzte Gruppenspiel, ein Heim-3:3 gegen Deutschland, war sinnbildlich für die englischen Probleme.
England muss sich auf die Stärken konzentrieren
Die Gastgeber agierten in dieser Partie zunächst mit einer äußerst zurückhaltenden Spielweise und lagen nach 67 Minuten 0:2 zurück. Mit dem Rücken zur Wand ließ Southgate seine Mannschaft stürmen - binnen zehn Minuten stellte England auf 3:2, ehe man im Finish noch den unglücklichen Ausgleich kassierte. Ex-WM-Torschützenkönig Gary Lineker fasste danach zusammen: "Wenn England gezwungen ist, seine Stärken zu zeigen (Angreifen), dann wirken sie wie eine gute Mannschaft. Wenn sie versuchen, ihre Schwächen zu überdecken (Verteidigen), wirken sie wie eine schlechte Mannschaft."
Der nunmehrige TV-Moderator reihte sich damit in eine immer größer werdende Reihe von Southgate-Kritikern ein. Bei der WM 2018 wurde der 52-jährige Trainer mit dem Semifinal-Einzug zum Darling der Nation, doch seit dem Vorjahr mehren sich die Zweifel. Damals entfachten die Engländer bei der EM eine große Euphorie, das Finale und Southgates Entscheidungen rund um das Elferschießen - so etwa die späten Einwechslungen der Fehl-Schützen Marcus Rashford und Jadon Sancho - sorgten aber für Ernüchterung.
Southgate muss jetzt liefern
Einst forderte die "Yellow Press" einen Adelstitel für den Teamchef, spätestens seit dem Nations-League-Desaster mit nur drei Punkten aus sechs Partien samt einer historischen 0:4-Heimniederlage gegen Ungarn ist die Stimmung gekippt. Da hilft es nichts, dass Southgate eine ansehnliche Bilanz vorzuweisen hat. Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2016 hat er fünf K.o.-Spiele bei großen Turnieren gewonnen, in den 66 Jahren zuvor war England dies nur neun Mal gelungen. In den vergangenen sechs Jahren hat Southgate seine Truppe in zwei Halbfinali geführt, in den 66 Jahren davor hatte England nur drei erreicht.
Dennoch muss der Coach in Katar liefern, sonst ist er wohl den Job wohl los - trotz seines bis 2024 laufenden Vertrags. "Ich weiß, dass ich dafür beurteilt werde, was bei der WM passiert. Ich bin nicht so arrogant zu glauben, mein Vertrag wird mich davor schützen", erklärte Southgate.
Er sei aber zuversichtlich und appellierte an die Spieler. Sie hätten die Chance, mit dem WM-Titelgewinn in Katar zum größten englischen Team überhaupt zu werden: "Wir wollen, dass die Spieler den Enthusiasmus spüren, den sie seit ihrer Kindheit haben." Ein Schlüsselspieler in Englands Team ist Kapitän Harry Kane. Tottenham-Coach Antonio Conte ist überzeugt, dass sein Stürmer in Katar Leistung bringen werde: "Er kommt in der besten physischen und mentalen Verfassung zur WM", sagte der Italiener. Kane hat am Samstag sein in dieser Saison 12. Premier-League-Tor erzielt.