RBR-"Superhirn" Adrian Newey im ausführlichen Interview.
Er gilt als ebenso eigenwillig wie genial. Technikchef Adrian Newey ist das Trumpf-Ass von Red Bull Racing auf dem Weg zum Sieganwärter in der Formel 1. Der Engländer hatte schon in der Vergangenheit bei einschneidenden technischen Regeländerungen oft das richtige Händchen bewiesen. Vor dem Saisonstart in Melbourne sprach er über die Ideen hinter dem RB5, die größten Herausforderungen im Reglement und die Gewichtsproblematik in der Königsklasse.
Gefällt Ihnen der Ausdruck "Superhirn"?
Newey
(lacht): "Um ehrlich zu sein, ich lese eigentlich nicht wirklich viel
Zeitung. Ich genieße meinen Job und das, was ich mache. Ich versuche,
auf meine eigene Art und Weise vorzugehen. Das hat bisher immer ganz gut
funktioniert."
Die neue Saison beginnt mit einschneidenden Regeländerungen. Wie
groß ist die Chance, dadurch neue Ideen einzubringen und vielleicht
sogar langfristig die Hierarchie zu verändern?
Newey: "Es sind
sehr große Änderungen - wohl die größten seit der Einführung
flacher Unterböden 1983. Wir haben mit einem weißen Blatt Papier
begonnen. Das eröffnet viele Möglichkeiten. Wir haben versucht,
die Auswirkungen auf die fundamentale Architektur des Autos zu verstehen. Wo
wir Chancen sehen, nützen wir sie - aber nur solange sie den guten
Prinzipien des Ingenieurwesens entsprechen."
Haben drei andere Teams diese Prinzipien verletzt? Red Bull hat gegen
Brawn GP, Toyota und Williams berufen.
Newey: "Das ist etwas
anderes. Die drei Teams versuchen mit den Doppeldecker-Diffusoren ein
Schlupfloch im Reglement zu nützen. Das versuchen wir alle. Ob es etwas
Illegales ist, steht derzeit zur Debatte. Für mich haben sie etwas Illegales
gemacht, aber das ist meine persönliche Meinung."
In der Vergangenheit haben Sie bei revolutionären Änderungen stets
das richtige Händchen bewiesen. Was macht Sie zuversichtlich, dass das
auch auf den RB5 zutrifft?
Newey: "Das ist im Moment unmöglich zu
beantworten. Wir haben ein Auto gebaut, das keine Weiterentwicklung eines
alten Autos ist. Wir haben neue Zugänge gefunden. Ob wir einen besseren oder
schlechten Job als andere gemacht haben, werden wir sehen."
Glauben Sie daran, dass Sie mit diesem Auto regelmäßig um Siege oder
sogar um die WM kämpfen können?
Newey: "Das kann man noch
nicht sagen. Diese Saison ist sehr ungewöhnlich, denn die
Entwicklungsgeschwindigkeit ist unglaublich hoch. Ein Team kann am Beginn
der Saison schnell sein, wenn es aber nicht so schnell weiterentwickelt wie
andere, fällt es zurück. In diesem Punkt haben große Teams mit
großen Werken uns gegenüber Vorteile. Wir müssen also cleverer
sein als sie."
Sie haben in Ihrer Karriere mit sehr guten, zum Teil außergewöhnlichen
Fahrern zusammengearbeitet. Wie schätzen Sie die Paarung Mark
Webber/Sebastian Vettel ein?
Newey: "Eine sehr gute Aufstellung.
Mark ist sehr erfahren - und schnell. Sebastian ist viel jünger, zeigt aber
bereits unglaubliche Reife. Ich weiß nicht, wo er diese Fähigkeiten gelernt
hat, aber er gibt sehr präzises Feedback. Er ist der jüngste
Grand-Prix-Sieger aller Zeiten und damit ein potenzieller Star."
Sie gelten als sehr introvertierter Mensch. Welche Emotionen würde der
erste Sieg von Red Bull Racing in Ihnen auslösen, nachdem Vettel im
Vorjahr für Toro Rosso in Monza gewonnen hat?
Newey: "Der Toro
Rosso ist im Prinzip dasselbe Auto wie der Red Bull. Beide werden von Red
Bull Technologies in der Fabrik in Milton Keynes konstruiert. Dieser Sieg
war also bereits etwas Spezielles für mich. Daran wollen wir heuer
anschließen."
Was waren die größten Herausforderungen, die das neue Reglement mit
sich gebracht hat?
Newey: "Das ist einfach - Anpressdruck
zurückzubekommen. In ersten Simulationen haben wir 50 Prozent weniger
gehabt als im Vorjahr. Es war eine Menge Arbeit, soviel wie möglich davon
zurückzuholen."
Sie haben sich dabei offensichtlich mehr auf die Flügel als auf Unterboden
und Diffusor konzentriert. Warum das?
Newey: "Das ist aus intensiven
Studien - numerisch und im Windkanal - entstanden. Wir haben eine andere
Lösung gefunden als die meisten anderen Teams. Wir sind in eine andere
Straße gegangen. Das Heck ist wohl der größte Unterschied. Wir haben es
viel niedriger gestalten können. Das ganze Chassis folgt dieser Philosophie."
Ihr Motorenpartner Renault verwendet das Hybridsystem KERS schon dieses
Wochenende. Haben Sie nie daran gedacht?
Newey: "Wir hätten KERS
schon dieses Wochenende einsetzen können, Mark ist aber ein schwerer
Fahrer. Wir haben diskutiert, KERS nur für Sebastian einzusetzen.
Dadurch würden wir aber beide Fahrer kompromittieren, weil man
Erfahrungen aus einem Auto nicht auf das andere übertragen könnte. Wir
werden KERS erst einsetzen, wenn es für beide Fahrer Sinn macht.
BMW-Sauber etwa hat aber diesen Weg gewählt: KERS für Leichtgewicht
Nick Heidfeld, kein KERS für Robert Kubica.
Newey: "Es ist eine
unbefriedigende Lösung, wenn das Gewicht eines Fahrers so eine große
Rolle spielt. Es wäre besser, wie im Go-Kart ein Mindestgewicht für
Fahrer samt Sitz festzulegen und dort Ballast einzufügen. Das wäre fair."