Mercedes-Teamchef Toto Wolff anerkennt, dass sein jahrelang überlegenes Team derzeit in der Formel 1 nur noch dritte Kraft ist.
Weder er noch Star-Pilot Lewis Hamilton würden sich davon aber runterziehen lassen, sondern vielmehr noch viele erfolgreiche Jahre in der Motorsport-Königsklasse einplanen. "Der Plan ist, dass Lewis noch fünf bis zehn Jahre fährt. Kein Spaß", erklärte Wolff beim Grand Prix von Österreich in Spielberg.
Tom Brady sei bald 45 und der spiele sogar American Football. "In dem Alter kann man also wohl auch noch Auto fahren", erläuterte Wolff bei einem Medientermin im Fahrerlager des Red Bull Rings Zuhörern, die auf Hamiltons 37 Jahre verwiesen. "Sein Ausdauer, seine Anpassungsfähigkeit ist enorm", so Wolff.
Rasch aus dem Jammertal
Und der Österreicher geht davon aus, dass man nach Überwindung der aktuellen Krise auch wieder zum Siegerteam werden wird. "Zyklen beginnen und enden. Wir sind nicht da, um acht, sondern zehn WM-Titel zu gewinnen. Wir müssen das also umdrehen, um wieder an der Spitze mitzufahren."
Derzeit liegt das jahrelang so dominierende Mercedes-Team hinter Red Bull und Ferrari auf Platz drei. Das ganze Unternehmen arbeite hart daran, "damit das Jammertal nicht allzu lange dauert", so Wolff. Dafür würden sich alle Mitarbeiter enorm ins Zeug legen. "Wir formulieren alle unsere gemeinsamen und individuellen Ziele und versuchen, diese dann zu erreichen", erklärte er. Diese aufgeschriebenen Ziele ("Templates") würde jeder Mercedes-Mitarbeiter stets mit sich führen.
Wolff nennt Gründe
Hamilton hatte vergangenen Dezember in einem dramatischen Finale seinen achten Fahrer-Titel knapp verpasst. Max Verstappen sei ein würdiger Weltmeister und das habe nichts mit dem "Wie" der WM-Entscheidung, die letztlich den Rennleiter den Job kostete, zu tun, betonte Wolff. "Es ist wichtig, dass man abschließen kann."
Dass Mercedes aktuell hinterher fährt, hat für Wolff klare Gründe. Durch die Regeländerungen seien vor allem erfahrene Ingenieure gefragt gewesen, die in der Zeit der Ground-Effekt-Autos in den 1980ern bereits im Dienst gewesen seien. Leute wie Rory Byrne (Ferrari) oder Adrian Newey von Red Bull etwa. "Es ist ein Unterschied, ob du von etwas gehört oder es tatsächlich selbst erlebt hast", erklärte Wolff die offensichtliche Tatsache, dass Mercedes sein neues Auto schlicht "zu tief" gebaut hat.
"Zuerst dachten wir, dass wir dadurch einen ganz klaren Wettbewerbsvorteil haben werden. Als wir erkannt haben, dass das nicht so ist, war der Zug schon abgefahren", gibt Wolff heute offen zu. "Das haben wir total unterschätzt, das haben Red Bull und Ferrari besser gelöst."
Bouncing
So schlägt sich speziell Mercedes auch mit dem neuartigen "Hüpfen" der Autos herum. Ehemaligen Formel-1-Piloten, die Hamilton und Co. diesbezüglich Wehleidigkeit vorwarfen, richtet Wolff aus: "Wenn die sich ins Auto setzt, fallen ihnen die Dritten aus dem Mund. Das Bouncing ist so arg, dass du als Pilot die Strecke nicht mehr siehst."
Er sei überzeugt, dass auch er selbst noch einiges zur Besserung der Situation beitragen könne, ist Wolff überzeugt. "Die Daten weisen darauf hin, dass wir uns insgesamt in die richtige Richtung bewegen. Wir wollen wieder gewinnen. Aber Anspruch darauf haben wir keinen, auch die anderen arbeiten Tag und Nacht hart." Dass beide Mercedes-Fahrer im Spielberg-Qualifying ähnliche Unfälle hatten, erklärte Wolff so: "Das Auto ist extrem giftig zu fahren."
Wirtschaftlich sei man sehr zufrieden, denn die Formel 1 boome. Man bekomme regelmäßig Kaufangebote, vor allem aus Amerika. "Aber niemand verkauft derzeit, auch Mercedes ist unverkäuflich", legte sich Drittel-Eigentümer Wolff fest. Für neue Teams sei derzeit auch kein Platz, also auch nicht für Michael Andretti. "Mehr Teams, das würde die Formel 1 verwässern." Ein möglicher Einstieg von Porsche mit Red Bull sei etwas anderes, weil man da über ein bestehendes Team in die Formel 1 kommen würde.
Viel Lob bekommt Formel-1-Chef Stefano Domenicali. "Ein Glücksgriff. Er ist ambitioniert und kennt sich super aus." Die Aufstockung des Cost Cap (Budgetgrenze; Anm.) sei absolut notwendig gewesen. "Unsere Kosten sind um Millionen gestiegen. Dazu kommt die Inflation, dabei haben wir die Mitarbeiter-Gehälter in den letzten zwei Jahren nicht angepasst." Der jetzige Kompromiss sei so, dass er für die kleinen Teams zu viel und für die großen zu wenig sei. "Aber manchmal ist es auch ein gutes Verhandlungsergebnis, wenn alle unzufrieden sind."