Vor dem Silverstone-Doppel traf ÖSTERREICH Mercedes-Boss Toto Wolff zum Sommer-Talk.
Noch bevor das erste Silverstone-Weekend losging der Corona-Schock. Sergio Perez wurde positiv getestet. Offenbar hat sich der Racing-Point-Pilot bei einem Trip nach Mexiko mit dem Corona-Virus infiziert. "Das zeigt, dass man nicht leichtfertig damit umgehen darf. Das Virus existiert", meint Wolff, als er sich gestern vorm bei dem Qualifying noch einmal telefonisch bei ÖSTERREICH meldete. "Es kann Pech gewesen sein, dass Perez zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Andererseits hört man, dass Checo viele Selfies gemacht hat und offenbar mit vielen Menschen zusammen gekommen ist."
ÖSTERREICH: Hat Mercedes jetzt die Vorsichtsmaßnahmen verschärft?
Toto Wolff: Wir haben ein eigenes Ärzteteam bei den Rennen und schärfen unseren Mitarbeitern ein, worauf es ankommt. Dabei appellieren wir vor allem an die Vernunft der Leute. Und die Fahrer halten wir von allen Meetings fern.
ÖSTERREICH: Wie anstrengend sind die Triple-Header mit drei Rennen innerhalb von zwei Wochen und die enge Saison für Sie?
Wolff: Mir macht das überhaupt nix, ich finde diesen Rhythmus sogar besser, als jedes zweite Wochenende ein Rennen zu fahren. Ich schlafe in meinem Motorhome an der Strecke und gehe 100 Meter ins Fahrerlager. Und dazwischen werde ich ständig getestet.
ÖSTERREICH: Nerven die Corona-Vorsichtsmaßnahmen?
Wolff: Es kann schon unangenehm werden. Oft hast du das Gefühl, sie schieben dir das Stäbchen durch die Nase bis ins Kleinhirn. Aber inzwischen hab ich mich daran gewöhnt. Es ist schon okay. Wenn du weißt, dass jeder im Fahrerlager alle vier Tage getestet wird, gibt dir das ein Gefühl der Sicherheit. Aber wie das Beispiel Perez zeigt, müssen wir immer damit rechnen, dass auch ein Teammitglied positiv getestet wird. Aber für diesen Fall haben sich alle sehr viele Gedanken gemacht.
ÖSTERREICH: Bei Ferrari beklagen sich Crew-Mitglieder, dass sie ihre „Blase“ wochenlang nicht verlassen dürfen, während Manager und Fahrer dazwischen immer wieder nach Hause fliegen dürfen. Wie halten Sie Ihre Mitarbeiter bei Laune?
Wolff: Natürlich ist es nicht einfach, wenn du wochenlang weg bist, eine Woche zu Hause und dann wieder drei Wochen weg. Das geht extrem an die Substanz. Beim Management ist es etwas anderes, wir müssen zwischendurch Termine wahrnehmen, mit Sponsoren sprechen usw. Bei den Fahrern können aus Regenerationsgründen Ausnahmen gemacht werden. Aber prinzipiell will ich, dass alle bei uns gleichgestellt sind. Lewis Hamilton zum Beispiel ist zwischen den beiden Spielberg-Rennen an der Strecke geblieben und hat die Zeit genützt, um jeden Tag mit den Ingenieuren zu arbeiten.
ÖSTERREICH: Bei der Konkurrenz macht sich Frust breit, weil Mercedes so überlegen ist. Und es sieht nicht danach aus, als ob sich das so rasch ändern würde, oder?
Wolff: Unser Auto und der Motor sind sicher ein Monster-Paket, vielleicht das Beste, das wir je hatten. Luft nach oben haben wir noch bei der Haltbarkeit. Deswegen dürfen wir noch nicht in Sicherheit fühlen. Wir sind gerade erst drei Rennen gefahren, und Red Bull ist in den vergangenen Jahren immer gegen Ende der Saison richtig stark geworden.
ÖSTERREICH: Gegen Racing Point, die ja auch mit Mercedes-Motoren unterwegs sind, läuft ein Protest. Können Sie die Aufregung nachvollzielen?
Wolff: Ich kann nachvollziehen, dass jemand protestiert, um etwas klarstellen zu lassen. Renault sagt, es geht ihnen ums Prinzip – aber in Wahrheit geht’s ihnen gegen den Strich, dass Racing Point so viele Punkte hat.
ÖSTERREICH: Renault behauptet sinngemäß, dass Racing Point mit umlackierten Mercedes-Boliden unterwegs ist …
Wolff: Es geht um die Grundsatzfrage: Wollen wir Kundenteams zulassen? Damit verdienen große Teams gutes Geld und die Kleinen performen besser, echte Win-win-Situation also. Dazu brauchst du Allianzen, und die hat Renault verschlafen.
ÖSTERREICH: Und wie wird der Streit enden?
Wolff: Wer auch immer den Protest verliert, wird Einspruch erheben. Dann geht das ganze vors Gericht, und dann wird klar gestellt. Dann fliegen die Fetzen.
ÖSTERREICH: Lawrence Stroll macht aus Racing Point im nächsten Jahr Aston Martin. Wird Sebastian Vettel dann für dieses neue Team fahren?
Wolff: Ich weiß, dass Gespräche laufen. Es ist nicht leicht, Checo Perez durch Vettel zu ersetzen, weil er ist ein wichtiger und ein positiver Bestandteil des Teams. Aus Aston-Martin-Sicht wäre das allerdings ein Riesenknüller. Deutschland ist der zweitwichtigste Markt für Aston Martin. Aber bei dieser Entscheidung will ich (Wolff hält Anteile am Aston-Martin-Konzern, d. Red.) dem Team nicht dreinreden.
Interview: Knut Okresek