Nach Abschied machte Thomas Muster klar: Familie ist ihm wichtiger als Tennis.
Die Stadthalle, Dienstag, 21.50 Uhr. Muster hat soeben sein letztes Match auf der ATP-Tour verloren. 2:6, 3:6 gegen Supertalent Dominic Thiem (18). Standing Ovations. Unter Tränen verabschiedet sich die Tennislegende von ihren Fans: „Ihr seid mein Motor gewesen.“ Dann blickt er zur Loge seiner Familie: „Ich bedanke mich auch bei allen, die mich in meiner Karriere begleitet haben – ganz vorne stehen meine Eltern, die mir alles ermöglicht haben.“ Er kämpft mit den Tränen. „Und bei meiner Frau, die mir erlaubt hat, noch einmal mit dem Tennis zu beginnen und so meine Midlife-Crisis zu überwinden. Danke, Caroline!“ So emotional haben wir den größten Tennisspieler des Landes, der in seiner Glanzzeit (44 Turniersiege inkl. French Open) immer wieder mit einer Maschine verglichen wurde, noch nie erlebt.
Bei seiner letzten ATP-Pressekonferenz ist Muster dann wieder gefasst. Er vergleicht seinen Abschied mit dem letzten Arbeitstag vor der Pension. „Es war ein wunderschöner Tennisabend mit einer tollen Atmosphäre. Okay, ich hätte besser spielen können, aber das war diesmal nicht entscheidend.“
Zeit für kranken Vater
Denn in Musters neuem Leben – er schlägt nur mehr bei einem Senioren-Event in Chile und im November beim kleinen Challenger-Turnier in Salzburg auf – gibt es andere Prioritäten. Der Vater einer zweijährigen Tochter: „Es gibt einen Krankheitsfall in unserer Familie, der mir sehr nahegeht.“ Muster will für seinen schwer kranken Vater Heinz (73) da sein.
„Jetzt braucht mich meine Familie mehr“
ÖSTERREICH: Haben Sie sich den Abschied so emotional vorgestellt?
Thomas Muster: Es hat schon vor dem Match begonnen, als ich immer wieder Anfälle von Rührung hatte. Dann waren so viele Gedanken da: Von früher, als ich hier im Finale verloren hab, Wehmut, Freude. Die Tränendrüse ist offen, und man soll die ersten Punkte spielen. Da kommt schon sehr viel zusammen.
ÖSTERREICH: Sie hatten Ihr Comeback als Experiment bezeichnet – funktionierte es?
Muster: Auf jeden Fall. Auch wenn ich nicht viele Matches gewonnen habe: Ich habe gesehen, was man mit intensivem Training im relativ fortgeschrittenen Alter erreichen kann. Es war für mich ein unglaublicher Kick, ins Auto zu steigen, zu Turnieren zu fahren und gegen Jungs zu spielen, die ums Überleben kämpfen. Aber irgendwann fällt der letzte Vorhang. Und der Abschied hat genau gepasst. Ich habe noch einmal gesehen, wie viel mir diesen Ankerkennung gibt – wie der Applaus bei einem Künstler.
ÖSTERREICH: Wie geht’s jetzt für Sie weiter?
Muster: Eigentlich wollte ich die Saison zu Ende spielen und auch nächstes Jahr. Aber es gibt Dinge, die wichtiger sind. Jetzt braucht mich, meine Familie dann mehr als das Tennis.
ÖSTERREICH: Warum ist Ihnen das plötzlich so wichtig?
Muster: Weil es in unserer Familie einen Krankheitsfall gibt, der mir sehr nahe geht.
ÖSTERREICH: Inwiefern hat Sie das Comeback verändert?
Muster: Es war für mich eine Erdung. Als ich zum ersten Mal mit dem Tennis augehört habe, bin ich von meinem Leben davongelaufen. Aber irgendwann muss man dazu stehen. Irgendwann hatte ich die Reife und hab mir gesagt: Ich bin kein Kaufmann oder irgendwas, ich bin Tennisspieler. Aber leider kann man nicht bis 80 spielen – irgendwann einmal muss man aufhören. Und das war jetzt genau richtig. Es war eine unglaublich lehrreiche Zeit, ich bereue gar nichts.
ÖSTERREICH: Immer wieder kam die Frage: Warum haben Sie sich das angetan?
Muster: Ich hab mir gar nichts angetan, ich hab das alles freiwillig gemacht – mit viel Spaß.
K. Okresek