Bernhard Eisel (41) gehört zu den gefragtesten Insidern im Radprofi-Zirkus.
Im 19,6-km-Zeitfahren an der Adria-Küste wird sich gleich zum Auftakt des 106. Giro d’Italia die Spreu vom Weizen trennen. Bora-Profi-Patrick Konrad, 2018 Gesamt-Siebenter, muss als Edelhelfer für die Mitfavoriten Lennard Kämna und Aleksandr Wlasow fahren. Er hofft auf den einen oder anderen Etappensieg, den ihm Ex-Profi Bernhard Eisel (41) durchaus zutraut. Lesen Sie, wie der Steirer den Spagat zwischen Sportlicher Leiter bei Bora und Eurosport-Experte schafft.
oe24: Herr Eisel, wie werden Sie den Giro erleben?
Bernhard Eisel: Ich lasse mir’s in München im Eurosport-Studio gut gehen. Für den Giro und die Tour de France hab ich bei Bora-hansgrohe frei. Ich werde jede Etappe vom Start bis zum Ziel verfolgen – mit Experten-Kollege Jens Voigt. Dazu haben wir noch Alberto Contador im Einsatz und Philippe Gilbert auf dem Motorrad.
oe24: Bora-Teammanager Ralf Denk meinte, Sie würden aus der Studio-Perspektive mehr sehen als jeder vor Ort …
Eisel: Tatsächlich bin ich im Studio nicht abgelenkt und kann mich voll auf das Geschehen auf der Straße konzentrieren. Sechs Stunden Radrennen schauen, davon träumt doch jeder Radsportfan, oder?
oe24: Und davor bzw. danach tauschen Sie sich mit Ihrem Team aus?
Eisel: Da ich weiß, wie viel Stress meine Leute vor Ort haben, halte ich mich zurück. Das meiste bekomm ich über die sozialen Kanäle mit.
oe24: Wie haben Sie Ihr erstes Jahr als sportlicher Leiter erlebt?
Eisel: Es ist unter dem Motto „Learning by doing“ gelaufen. Ich habe immer gewusst, dass es viel Arbeit ist: Du musst dir wirklich jeden Zentimeter der Strecke anschauen, teilweise über Google Streetview einprägen. Dabei vergeht sehr viel Zeit. Und die Fahrer wollen alles wissen.
oe24: Hat sich der Radrennsport in den vier Jahren seit Ihrem Rücktritt verändert?
Eisel: Es ist alles noch professioneller geworden, es wird viel aggressiver gefahren. Auf den letzten 20 Kilometern einer Etappe sind heute alle Klassementfahrer vorn dabei. Von denen kann jeder alles.
oe24: Beneiden Sie Ihre Nachfolger?
Eisel: Nein, die sind jeden einzelnen Tag gefordert, da bleibt kein Tag zum Ausruhen. Für die Fans ist das super, weil es kein langweilige Etappe mehr gibt.
oe24: Und der Giro jetzt, heißt es, hat es richtig in sich …
Eisel: Vor allem ab Mitte der 2. Woche geht es gefühlt nur mehr vertikal dahin, außerdem gibt’s drei lange Zeitfahren. Das ist ein Mega-Giro.
oe24: Härter als die Tour de France?
Eisel: Von der Papierform ist der Giro immer härter als die Tour. Der Unterschied: Früher ist das Hauptaugenmerk auf der Tour gelegen, das hat sich inzwischen bissl Richtung Giro verlagert, auch da ist jedes große Team top aufgestellt.
oe24: Was empfehlen Sie den Radsportfans in Österreich?
Eisel: Für die gibt’s einige Etappen in der Nähe der Grenze. Zum Beispiel das supersteile Bergzeitfahren auf der vorletzten Etappe von Tarvis auf den Monte Lussari. Ich bin raufgefahren – im Pick-up, im normalen Pkw kommst da nicht hoch.
oe24: Und wer wird als Sieger in Rom ankommen?
Eisel: Es bleibt bei den üblichen Verdächtigen, es wird auf ein Duell zwischen Primoz Roglic und Remco Evenepoel hinauslaufen. Wobei wir als Titelverteidiger (Bora-Profi Jay Hindley lässt den Giro aus und gibt im Juli sein Tour-Debüt, d. Red.) mit Kämna und Wlasow um das Podest mitfahren wollen.
oe24: Und Patrick Konrad?
Eisel: Er ist richtig gut drauf und wird die beiden unterstützen. Über die Jahre hat er sich die Härte für eine dreiwöchige Tour erarbeitet. Er weiß, wie man eine Etappe gewinnt.