Der Spanier Sastre hat am Sonntag die 95. Auflage der Tour de France gewonnen. Der Österreicher Bernhard Kohl wurde sensationeller Dritter.
Die 95. Tour de France war eine Rundfahrt der Überraschungen. Carlos Sastre, mit eindrucksvoller Leistung Solosieger in L'Alpe d'Huez, ließ sich dank starkem Zeitfahren das Gelbe Trikot durch Cadel Evans nicht mehr entreißen und gewann mit 58 Sekunden Vorsprung als dritter Spanier in Serie (nach Oscar Pereiro und Alberto Contador). Bernhard Kohl stellte als Gesamt-Dritter 51 Jahre nach Adolf Christian Österreichs bisher beste Tour-Platzierung ein und hatte nach 3.650 Kilometern nur 1:13 Minuten Rückstand auf Sastre und 15 Sekunden auf den zweitplatzierten Evans. Gewinner der letzten Etappe nach Paris war der Belgier Gert Steegmans.
Auf den letzten 143 Kilometern von Etampes nach Paris bestand die Welt Kohls und seines Teams Gerolsteiner nur noch aus roten Punkten. Der gesamte Betreuerstab vom Buschauffeur bis zum Masseur war eingekleidet in Replika des Bergtrikots, Teams-Autos und Busse waren mit Pünktchen beklebt und Kohl selbst trug zum weißen Trikot mit den roten Punkten stilgerecht eine rote Hose. Die ersten 100 Kilometer gerieten für die Besten zum Triumphzug, es wurde geplaudert und gescherzt. Kohl holte sich bei der Bergwertung der vierten Kategorie standesgemäß Platz eins - mit Zustimmung des gesamten Feldes und zusätzlichem Schwung durch Anschieben von seinem Landsmann Bernhard Eisel.
Ernstes, letztes Drittel
Erst auf dem letzten Drittel, auf den
zehn Runden auf den Champs Elysees, ging es ernst zur Sache. Steegmans, der
200 Meter vor dem Ziel aus dem Windschatten eines Kollegen unwiderstehlich
antrat, feierte im Massensprint vor dem Deutschen Gerald Ciolek seinen
zweiten Etappensieg bei der Tour und den ersten für das Team Quick Step bei
der heurigen Auflage.
Für Kohl gingen vor den Augen seiner Mutter, die einen Ehrenplatz auf der Präsidententribüne bekommen hatte, drei atemberaubende Wochen zu Ende. "Das ist ein absoluter Traum, die Erfolge hätte ich in dieser Dimension nie erwartet", sagte der 26-Jährige nach dem entscheidenden Zeitfahren. Und steckte sich die Ziele für die nächsten Saisonen ("Die besten Jahre liegen noch vor mir") gleich höher: "Mein Ziel muss sein, in den nächsten zwei bis drei Jahren um den Sieg mitzufahren."
Das hat er auch diesmal bereits getan. Nach der Bergankunft in Hautacam (10. Etappe/Tages-4.) in den Pyrenäen war er Vierter, nach der Bergankunft in Prato Nevoso (15. Etappe) sogar Zweiter, nur sieben Sekunden hinter Fränk Schleck. In den zwei weiteren Alpen-Etappen, auf denen das Team CSC-Saxo-Bank von Schleck und Sastre dominierte, verteidigte Kohl mit beinahe heroischer Leistung den Podestplatz (Gesamt-Dritter in L'Alpe d'Huez). Nach Rang neun im Zeitfahren am Samstag erlebte er "ein unglaubliches Glücksgefühl" - der dritte Gesamtrang war ihm nicht mehr zu nehmen.
Neue Angebote für Kohl
Kohls Vertrag läuft mit Saisonende
aus, Manager Siegi Fröhlich berät nun einen Athleten der Spitzenklasse. Das
Einkommen wird dementsprechend steigen. Angebote diverser Rennställe liegen
bereits vor, doch Kohl will dem Rennstall von Manager Hans Michael Holczer
die Treue halten, sollte dieser in letzter Minute doch noch einen Nachfolger
für Sponsor Gerolsteiner finden. Eine Entscheidung sollte noch in dieser
Woche fallen, Kohl wartet diese ab.
Die letzte Tour des Teams Gerolsteiner war auch dessen erfolgreichste. Neben Kohl zeigte auch dessen Zimmerkollege Stefan Schumacher auf, gewann beide Zeitfahren und trug das Gelbe Trikot. Damit war die Tour für die Fahrer auch finanziell recht einträglich. Kohl fuhr mit seinen Platzierungen rund 130.000 Euro Preisgeld für die Mannschaftskasse ein (100.000 für den dritten Gesamtrang, 25.000 für das Bergtrikot) - sein "Kilometergeld" von rund 35 Euro klingt für die dreiwöchigen Strapazen dennoch bescheiden. Die Startgelder in den acht oder neun Kriterien der zwei kommenden Wochen bringen jedoch ein schönes Zubrot.
Der 33-Jährige Sastre durfte nach seiner achten Tour erstmals und begleitet von seinen zwei Kindern in Paris im Gelben Trikot jubeln, sein erst fünfter Profisieg bringt 450.000 Euro. "Don Limpio" (Saubermann), wie er von spanischen Medien genannt wird, kommt zwar aus dem Team des später in die spanische Blutdoping-Affäre verwickelten Manolo Saiz, hat aber selber keinen Fleck auf seiner Weste. "Ich bin sauber. Ich weiß, was ich geleistet habe und wie ich gelitten habe, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt stehe. Aber es wird wie überall in der Gesellschaft immer Leute geben, die betrügen. Gegen sie müssen wir kämpfen", sagte der Familienvater.
"Zeitfahren ihres Lebens"
Evans, dem Vorjahres-Zweiten,
gelang die zuvor zweimal geschaffte Halbierung seiner Endplatzierung diesmal
nicht. Der Schritt auf das oberste Podest war dem Australier noch zu groß.
Der zweifache Gewinner der Österreich-Rundfahrt war überrascht über die
Leistungen von Sastre und Kohl im Zeitfahren. "Ich habe bei der ersten
Zwischenzeit geglaubt, ich sei gut unterwegs, aber als ich die Marke von
Kohl gehört habe, war ich verblüfft."
Drei oder vier Konkurrenten hätten das Zeitfahren ihres Lebens bestritten, sagte Evans. "Was kann ich da machen, ich habe alles gegeben, es war nicht genug." Der 31-Jährige, im Vorjahr Etappensieger im Zeitfahren, gibt sich noch drei oder vier Profijahre. "Ich schaue nach vorne, ich werde wieder versuchen, die Tour zu gewinnen."