Heinrich Bergmüller im Interview

Maier-Guru mit schonungsloser ÖSV-Analyse

20.03.2020

Ex-ÖSV Trainer Heinrich Bergmüller zeigt mögliche Fehler des österreichischen Skiverbands auf.

Zur Vollversion des Artikels
© GEPA
Zur Vollversion des Artikels

Von Hermann Maier über Michael Häupl bis Maria Höfl-Riesch - Heinrich Bergmüller trainierte die Elite. Im Interview mit "ÖSTERREICH" zieht der 67-Jährige nach der der ersten kugellosen ÖSV-Saison seit 25 Jahren Bilanz, spart dabei nicht mit Kritik am Verband.

 

ÖSTERREICH: Durch die Corona-Absagen blieb der ÖSV kugellos, verlor den Nationencup. War die Pleite dennoch verdient?

Heinrich Bergmüller: So ist der Sport, das ist zu akzeptieren. Ich möchte nicht sagen, dass es verdient ist, es waren mehrere Umstände. Es ist aber ein Warnsignal.

ÖSTERREICH: Welche wären das angesichts der Ski-Krise?

Bergmüller: Meines Erachtens hat der ÖSV aus den vergangenen Jahren nichts gelernt und kein System was Kondition betrifft. Die Ausdauer wird vernachlässigt, Krafttraining steht viel zu sehr im Vordergrund. Marcel Hirscher, seine überragenden Leistungen in Ehren, hat diese Thematik noch verstärkt. Er ist mit sehr guten Grundlagen ins Team gekommen und hat zuletzt völlig überzogen, was er auch zugegeben hat.

Durch die Carving-Technik wurde der Skisport auch wesentlich intensiver. Der Kraftausdauerfaktor wurde noch dominanter, das hat aber wenig mit Maximalkraft zu tun.

Nach der schlechtesten Saison 1976/77 habe ich beim ÖSV als Konditionstrainer begonnen. Damals waren Methoden wie mit Gewichten den Berg hinauflaufen, Cross Training usw. Usus, wie sie nun derzeit wieder praktiziert werden.

ÖSTERREICH: Ein Grund für die vielen Verletzungen?

Bergmüller: Es ist einer der Hauptgründe. Kreuzbandrisse kommen zwar immer wieder vor, aber Skifahren ist hochlaktazid, sprich man übersäuert extrem. Da ist die Grundlagenausdauer und damit verbunden die Regenerationsfähigkeit der wesentliche Schlüssel. Laktat schädigt Gelenksknorpel und Bindegewebe und verzögert die Regeneration. Ständig hohe Intensitäten arbeiten die Grundlagen auf. Wenn die also fehlen, wird es gefährlich. Dazu wird immer mehr Skigefahren und somit immer weniger regeneriert.

ÖSTERREICH: Ist der Terminkalender zu dicht?

Bergmüller: Nein, nicht unbedingt, es liegt großteils an der Vorbereitung. Ich habe Daten aus Körperanalysen von Damen, über die ich mich gar nicht näher äußern will. Aber ein Großteil hat keine Grundlagenausdauer, weil die Vorbereitung zu kurz ist, um ein Fundament zu aufzubauen, da es meist während der Saison schon wieder aufgebraucht ist. Da liegt das Problem, da viele aus dem Nachwuchs diesbezüglich nichts mitbringen. Wenn ich mir manche Österreicherinnen im zweiten Lauf anschaue, habe ich immer größte Angst, dass irgendwer stürzt oder etwas reißt.

ÖSTERREICH: Sie waren selbst lange beim ÖSV. Wie wurde da gearbeitet?

Bergmüller: Nach Olympia 1992 hatten wir eine große RTL-Krise. Damals war nur Richard Kröll in der Weltrangliste unter den Top-20. Ich habe das Team übernommen und viel Wert auf Grundlagenausdauer gelegt. Ein Jahr später hat Christian Mayer die RTL-Kugel geholt und wir hatten fünf Läufer in den Top-15. Mit dem gleichen Konzept wurden viele Athleten zu Erfolgen geführt: Götschl, Mancuso, Höfl-Riesch, Zettel, Walchhofer, Sykora und viele andere!

Nicht zu vergessen die Zeit von Hermann Maier, Ortlieb, Eberharter, Strobl, Assinger, Trinkl und so weiter. Da hat mein Ex-Leichtathletik-Schützling Toni Giger als Rennsportleiter meine Konzepte übernommen. Als er 2010 aufgehört hat, wurde alles verworfen und in Richtung Kraft ausgelegt.

ÖSTERREICH: Hermann Maier war Ihr Vorzeige-Athlet, richtig?

Bergmüller: Maier war kein ÖSV-Produkt, aber das Beste, was dem Verband passieren konnte. Er hat mit der Gruppe trainiert und ist allen davongefahren. Dadurch mussten sich alle steigern. Bei ihm ist immer gesagt worden: „Der Bergmüller lässt nur Radfahren oder moderat trainieren“. Das stimmt nicht ganz, es wurden viele andere Inhalte wie auch Kraft trainiert. Die Regeneration und Grundlagenausdauer waren aber die Säulen, auf die Kraft aufgebaut werden konnte. Übrigens: Thomas Sykora hatte eine mäßige Ausdauer-Basis, wir haben daher nur an der Grundlagenausdauer gearbeitet und er hat ohne eine einzige Krafteinheit fünf Slaloms in Serie gewonnen.

ÖSTERREICH: Was macht die Schweiz derzeit besser?

Bergmüller: Erstens hat Hirscher in den letzten Jahren viel kaschiert. Zweitens hat die Schweiz viel von uns gelernt und übernommen. Einige Schweizer Trainer, auch der Ex-Alpin-Direktor Rudi Huber waren Österreicher. Zu seiner Zeit (2013 – 2015, Anm.) war ich mit ihm viel in Kontakt, habe mich auch mit verantwortlichen Schweizern getroffen. Außerdem war einer meiner früheren Mitarbeiter, den ich in Obertauern zum Fitnesstrainer ausgebildet habe, Peter Meliessnig, in der Schweiz tätig, der inzwischen vom ÖSV zurückgeholt wurde.

ÖSTERREICH: Wer ist für die Krise verantwortlich?

Bergmüller: Puelacher hat als Herrentrainer das Sagen, ich bin von ihm nicht überzeugt. Auch die Jahre von Präsident Schröcksnadel sind gekommen, frisches Blut wäre längst überfällig. Maier war Schröcksnadels größtes Glück, dann Hirscher, denn beide haben seine Bilanz geschönt und Zugang zu Sponsorgeldern eröffnet. Es fängt aber schon im Nachwuchs und bei den Landesverbänden an. Bei der letzten Junioren-WM war Österreich nur Neunter knapp vor Belgien. Heuer waren zwar vor allem die Mädchen in den Speed-Bewerben überragend – aber das sagt noch nicht aus, ob sich diese teils schon Weltcup-erprobten Läuferinnen durchsetzen werden.

ÖSTERREICH: Was muss sich ändern?

Bergmüller: Man müsste sich auf bewährte Konzepte zurückbesinnen. Mir ist unverständlich, dass ein höchsterfolgreiches Konzept mit dem unzählige Siege und Medaillen geholt wurden totgeschwiegen, ignoriert und verworfen wurde. Und ich würde mir auch erwarten, dass Leute wie Maier, Ortlieb, Assinger oder vor allem ÖSV-Vizepräsident Walchhofer, die ohne mich nie so erfolgreich gewesen wären, auch einmal den Mund aufmachen. Sie vergessen alles - das ist eine österreichische Krankheit.

Interview: Michael Hintermüller

Zur Vollversion des Artikels