Streit
Protest gegen Ammanns Bindung
19.02.2010
ÖSV will Protest einlegen, sollte Ammann sie weiter verwenden.
Mit dieser Aktion hat sich Österreichs Skisprung-Führung zumindest bei einigen Leuten im Springer-Zirkus keine Freunde gemacht. Der ÖSV droht, im Falle eines neuerlichen Einsatzes der modifizierten Bindung von Simon Ammann nach dem ersten Durchgang am Samstag einen offiziellen Protest einzulegen. Bei der Mannschaftsführersitzung am Donnerstagnachmittag an der Schanze im Whistler Olympic Park erläuterte Cheftrainer Alexander Pointner die Bedenken und legte gleichzeitig ein achtseitiges Dossier zur Begründung vor.
Großer Materialvorteil
In diesem wird Ammann die Verletzung
des Artikels 222.1-222.5 der Internationalen Wettkampf-Ordnung vorgeworfen.
Außerdem wurde von einem ähnlichen, in Österreich bereits 2008 "ausgiebig"
getesteten Bindungssystem berichtet. "Bei den Tests stellte man fest, dass
die gebogene Koppelstange den Aufkantwinkel des Skis so stark verringert,
dass auf einer Großschanze Weitengewinne von fünf bis zehn Metern erzielt
werden konnten. Allerdings stellte man auch fest, dass das so getunte
Flugsystem den Sprung in Grenzbereichen (Aufwind/Rückenwind, sehr hohe
Anfahrtsgeschwindigkeiten etc.) kaum noch steuerbar macht. Bei Aufwind zum
Beispiel können die auftretenden Kräfte unkontrollierbar werden, es drohen
Stürze", heißt es in dem Dossier.
Der Nordische ÖSV-Direktor Toni Innauer habe 2008 entschieden, dass die neue Bindung von ÖSV-Springern nicht eingesetzt werde, da sie mit der IWO (Internationale Wettkampfordnung) nicht in Einklang zu bringen sei.
Schweizer wollen nichts ändern
Der Schweizer Disziplinenchef
Gary Furrer die Vorwürfe zurück und kündigte auch an, dass Ammann sehr wohl
mit dieser Bindung springen werde. "Für uns ist das einfach nicht
nachvollziehbar", so Furrer. "Es ist absolut im Rahmen des Reglements. Wir
haben alles eingehalten. Es ist im Gegenteil sogar etwas Übliches, dass man
die handelsüblichen Bindungen leicht anpasst. Wenn so ein Protest gemacht
wird, dann müsste man gleichzeitig 20 weitere Proteste einlegen für jede
Modifizierung und Änderung jedes Athleten."
Auf die Technik kommt's an
Letztlich zähle die Technik des
Sprunges. "Und es ist ja nicht eine neue Bindung, man kennt das schon
längst." Im Leistungssport versuche man ständig zu optimieren. "Wenn
Österreich schon ein ähnliches System auch versucht hat und Erfolg damit
hätte, dann ist nicht nachvollziehbar, warum man es nicht weiterverfolgt."
Sieht Furrer dies als Versuch, die Schweizer zu verunsichern, also als eine Art Psychokrieg? "Da muss ich schmunzeln. Ich glaube, die Verunsicherung ist bei den Österreichern zu finden, wenn sie so reagieren. Wir können es gelassen zur Kenntnis nehmen. Wir wissen, was wir springen und in welchem reglementarischen Bereich das zu finden ist."
Österreicher nur neidisch?
Gerade Österreich sei bekannt
dafür, dass es "unglaublich viel Input bietet und sehr viel investiert und
auch im Materialbereich unglaublich viel forscht und auslotet.
Möglicherweise ist es tatsächlich so, dass man im Moment etwas neidisch auf
die eher kleine Schweiz schaut - die Skisprung-Schweiz", sagte Furrer.
FIS-Kontrollor: "Kein Regelverstoß"
Das Ballyhoo,
das es in früheren Zeiten im alpinen Lager zwischen Österreich und der
Schweiz gegeben hat, scheint nun auf die Skisprung-Szene ausgelagert zu
sein. Doch die Schweizer und der dreifache Olympiasieger Simon Ammann
erhalten auch Unterstützung von FIS-Kontrollor Sepp Gratzer. "Ich sehe bei
dieser Bindung keinen Regelverstoß", sagte Gratzer. Er könne einer
Jury-Entscheidung nicht vorgreifen, aber die Jury müsse sich an das
Reglement halten. "Und ich finde im Reglement keinen Passus, der dagegen
spricht, dass diese Bindung zugelassen wird."
FIS-Renndirektor Walter Hofer wird die Informationen des ÖSV an die zuständigen Gremien und Jurymitglieder weiterleiten, informierte er im Anschluss an die Mannschaftsführersitzung, die von einem Großaufgebot von TV-Sendern und Journalisten besucht wurde. Der Wertungsdurchgang müsste aber erst stattfinden, so der FIS-Renndirektor, um danach gegen einen definierten Regelverstoß zu protestieren. Das Dossier des ÖSV sei lediglich eine Information gewesen.
Ob Hofer dies als Tricks oder Mätzchen des ÖSV einstufe? "Ich erkenne weder einen Trick, noch ein Mätzchen, sondern einfach, dass jede Mannschaft auf ihre Art und Weise die Plattform nützt, um sich zu artikulieren. Wir haben das emotionslos anzunehmen", erläuterte Hofer.
Jury muss urteilen
"Ich kann nur sagen, dass ich hier niemanden
präjudizieren kann. Einzig und allein die Jury ist angehalten nach
objektiven Kriterien zu urteilen. Dann wird es darauf ankommen, auf was der
Protest lautet." Grundsätzlich gebe es für die Ski, den Anzug und
mittlerweile auch das Gewicht der Athleten extreme Reglementierungen. Zudem
hat ein Springer jederzeit die Möglichkeit, sein Material prüfen zu lassen,
was Ammann wohl auch tun wird - oder schon getan hat. So könnte man die
gelassene Reaktion aus der Schweiz sowie Gratzers klares Statement auch
interpretieren.
Probleme bei der Landung
In einem einzigen Punkt, allerdings
allgemein die Bindung betreffend, gab Hofer indirekt den Sicherheitsbedenken
der Österreicher recht. Skispringen sei in den vergangenen Jahren alles in
allem sicherer geworden, durch das individuelle Verwenden verschiedener
Flugsysteme habe man aber beim Aufsprung Probleme bekommen. "In der
Landephase, das muss ich zugeben, gibt es hin und wieder Situationen, in
denen das jetzige Bindungssystem dem Athleten manchmal Probleme bereitet."
Nicht alle Springer seien in der Lage, eine quasi normale Landung zu machen.
"Sie ziehen einen Fuß bei, weil eben die Adjustierung für die Flugphase
wichtiger ist."